Frankfurter Plädoyer für eine herrschaftsfreie Medizin

Vortrag auf dem anästhesiologischen Aktionstag des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten am 11. November 2006 in Frankfurt am Main

Carlos A. Gebauer

Sehr geehrte Damen,sehr geehrte Herren,

ich danke für die Einladung, heute bei Ihnen über Leninismus, Sozialismus und das deutsche Sozialgesetzbuch sprechen zu dürfen.

Nachdem meine Vorredner Sie bereits im Fußmarsch intensiv durch das Dickicht und Untergehölz namentlich des Vertragsarztrechtes und des Krankenhausrechtes für Ärzte geführt haben, möchte ich nun den Versuch unternehmen, gleichsam einen kleinen historischen Hubschrauberflug über diesen sozialrechtlichen Dschungel zu unternehmen. Denn aus dem Abstand besehen erschließen sich dem Betrachter häufig erst diejenigen Zusammenhänge, die – inmitten des Gestrüpps – verborgen bleiben.

Wegen der Nähe Ihres heutigen Veranstaltungsortes zu der langjährigen Wirkungsstätte des berühmten Neomarxisten Jürgen Habermas habe ich mich – in Ihrem vermuteten Einverständnis – entschlossen, meinen heutigen Ausführungen den Titel „Frankfurter Plädoyer für eine herrschaftsfreie Medizin“ zu geben.

Der Hintergrund ist einfach: Jürgen Habermas hat die Welt nicht nur unerquicklich durch marxistische Augen betrachtet, sondern weitaus erbaulicher (auch) die interessante Theorie des sogenannten „herrschaftsfreien Diskurses“ vertreten. Zur Wahrheit kann demnach nur ein solcher Diskurs unter Menschen führen, der nicht von Herrschafts- oder Machtinteressen einzelner Beteiligter gelenkt und beeinträchtigt wird.

Nach meinem Dafürhalten verhält es sich mit Medizin nicht anders: Nur dann, wenn sie frei von Herrschaft und Macht ausgeübt und in die freie Verantwortung von Ärzten (und Patienten!) gestellt ist, kann sie zu allseitigem Nutzen und allseitigem Wohle ausgeübt werden.

Ich habe an anderen Stellen in jüngerer Vergangenheit gegenüber Ärzten immer wieder darauf hingewiesen, daß eine „herrschaftsfreie Medizin“ – namentlich in der Gestalt frei abgeschlossener zivilrechtlicher Verträge zwischen Ärzten und Patienten – nichts Ungewöhnliches und nichts Ungehöriges ist. Nur Verträge zwischen Menschen entsprechen einem mitmenschlichen Beisammensein und einem Handeln mit Menschenmaß. Ich will heute versuchen, Ihnen zugleich zu vermitteln, daß die Situation, in der Sie sich derzeit als Kassen- und Krankenhausärzte befinden, ebensowenig außergewöhnlich und unvorhersehbar ist. Vielmehr ergibt sich diese Situation aus langfristigen gesellschaftspolitischen Weichenstellungen, die der „historische Hubschrauberblick“ recht deutlich erhellt.

Ich möchte Ihnen zur Einstimmung ein kurzes Zitat zur Verlesung bringen und Sie mögen – während ich vorlese – spekulieren, aus welchem Munde es wohl stammt. Was glauben Sie: Ist es ein Rückblick eher von Renate Schmidt (SPD) oder von Ursula von der Leyen (CDU), wenn wir lesen:

Statt des 10- bis 12-stündigen Arbeitstages …. ist jetzt der 7-Stunden-Arbeitstag eingeführt, und einzelne …. arbeiten 6 Stunden und weniger am Tage bei einer sechstägigen Arbeitswoche, bzw. sie haben bei gleicher Arbeitsdauer die 5-Tage-Woche mit zwei arbeitsfreien Tagen; allgemein wurden gesündere Arbeitsbedingungen geschaffen; …. das Realeinkommen der Arbeiter in der Industrie und im Bauwesen ist …. gestiegen, die …. Verkürzung der Arbeitszeit in Rechnung gestellt; …. die Wohn- und Lebensbedingungen haben sich bedeutend verbessert; die Bildung ist allgemein und wird vom Staat finanziert; die Gesellschaft bestreitet einen bedeutenden Teil der Aufwendung für die Erziehung der heranwachsenden Generation. …. Die Zahl der Schüler in den allgemeinbildenden Schulen ist …. angewachsen; es wurde ein einheitliches System der Altersversorgung geschaffen. Die Renten werden vom Staat …. bezahlt. Das Rentenalter ist …. niedriger als in den meisten anderen Ländern; die kostenlose medizinische Betreuung und der Schutz von Mutter und Kind wurden eingeführt.“

Ich behaupte, daß Sie kaum verbindlich werden entscheiden können, welche unserer bundesrepublikanischen Vertreter diese gar zu vertraut klingenden Thesen formuliert haben. Erstaunt sein werden Sie aber vielleicht, zu hören, daß es Thesen des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Sowjetunion sind, die im Jahre 1970 zum 100. Geburtstag Wladimir Lenins verfaßt wurden1.

Vielleicht ist der Untergang des Ostblocks eine doch nicht allzu fern liegende geschichtliche und gesellschaftspolitische Konstellation?

Um die Mechanismen zu erklären, die das Zusammenleben einzelner Individuen in einer Gemeinschaft nach unserem bundesrepublikanischen Staatsverständnis ermöglichen sollen, greife ich in jüngerer Zeit gerne auf eine Geschichte zurück, die der deutsch-amerikanische Nationalökonom Hans-Hermann Hoppe vor einiger Zeit erzählte. In dieser Geschichte wird die Fiktion ausgearbeitet, am kommenden Sonntag wären Weltwahlen. Jeder erwachsene Mensch, der zum Zeitpunkt der Wahl auf dieser Erde lebt, hat eine Stimme. Was wäre das Ergebnis einer solchen Weltwahl? Es bedarf keiner großen Phantasie, um zu erkennen, daß es zu einer indisch-chinesischen Koalitionsregierung käme.

Nähme man weiter an, diese indisch-chinesisches Koalitionsregierung setzte es sich zur Aufgabe, durch Umverteilung gleiche Lebensbedingungen und „soziale Gerechtigkeit“ unter allen Menschen herzustellen, so liegt eine Erkenntnis nicht fern: Eine Analyse dieser Koalitionsregierung ergäbe, daß der Westen und Amerika über verhältnismäßig viele Güter verfügen, andere Länder hingegen über weniger Güter (zum Beispiel China und Indien). Es käme zu einer Umverteilung. Denn die Mehrheit könnte die Minderheit überstimmen.

Das, was anhand dieser Fiktion auf der Hand liegt, läßt sich in ein einfaches Schema übertragen: Wenn A und B mit C in einer Gemeinschaft leben und feststellen, daß C etwas besitzt, was A und B gerne auch besäßen, so haben A und B zwei Möglichkeiten. Die eine ist, selbst fleißig zu sein und sich das zu beschaffen, was C bereits besitzt. Die zweite ist, eine demokratische Abstimmung zwischen A, B und C darüber durchzuführen, ob C verpflichtet ist, A und B jeweils sein Besitztum herauszugeben, wenn die Mehrheit aus den Reihen dafür stimmt. Die weiteren Details hierzu bedürfen erkennbar keiner weiteren Ausführung.

Demokratietheoretiker haben genau dieses Problem gesehen. Und sie haben ein Mittel gegen die hieraus drohenden Gefahren für Minderheiten (und insbesondere für die kleinste aller Minderheiten: das Individuum) geschaffen. Diese Mittel heißen Grundrechte und/oder Menschenrechte. Diese Grundrechte werden bisweilen bezeichnet als „negative Kompetenznormen für den Staat“. Dies bedeutet nichts anderes als: Im Bereich des Grundrechtes hat der Staat keine Befugnis, Gesetze zu erlassen. Grundrechte sind folglich nichts anderes als „Laß-mich-in-Ruhe-Rechte“.

Eines dieser „Laß-mich-in-Ruhe-Rechte“ ist beispielsweise Ihre Berufsfreiheit als Ärzte. Wenn Sie sich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zur Hand nehmen, dann stellen Sie fest, daß Sie in Wahl, Ausbildung und Ausübung Ihrer Berufsfreiheit grundsätzlich Freiheit genießen. Allerdings kann in Ihre diesbezüglichen Berufsfreiheiten gesetzlich eingegriffen werden. Mißlich hieran ist, daß die Eingriffsbefugnisse in diese Grundrechte wiederum von Mehrheiten definiert werden.

Das macht die Sache nicht einfacher. Denn namentlich für das Sie interessierende Gesundheitswesen wird von dem Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, die Allgemeinheit habe ein ganz überragend wichtiges Interesse daran, daß dieses öffentliche Gesundheitswesen funktioniere. Spiegelbildlich also minimiert sich der Umfang Ihrer Berufsfreiheit. Eine typische Formulierung des Bundesverfassungsgerichtes hierzu lautet etwa:

Neben der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut bezeichnet hat, hat gerade im Gesundheitswesen der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist für das Gemeinwohl anerkanntermaßen von hoher Bedeutung. Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierbarkeit einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems und bei der damit verbundenen Steuerung des Verhaltens der Leistungserbringer leiten lassen darf.2

Damit ist die Lage für Sie als Ärzte und „Leistungserbringer“ nicht einfach. Ihre Möglichkeit, zivilrechtliche Verträge mit Patienten zu schließen, ist auf Basis dieser Verfassungsrechtsprechung erheblich eingeschränkt. Mehr noch: In allerjüngster Zeit müssen wir sogar von einem bundesdeutschen Landessozialgericht lesen:

Artikel 12 Abs. 1 GG [das Grundrecht der Berufsfreiheit] schützt zwar auch die Freiheit des (Zahn)arztes, sich zu entscheiden, ob er im Rahmen des vertrags(zahn)ärztlichen Versorgungssystems oder privatrechtlich tätig werden möchte. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn diese Freiheit … durch konzertiertes Verhalten zu dem Zweck mißbraucht wird, Druck auszuüben, etwa um dem Gesetzgeber oder die Normgeber der Selbstverwaltung der Vertrags(zahn)ärzte zur Änderung von Rechtsvorschriften zu bewegen … Denn die Berufsausübungsfreiheit des (Zahn)arztes wird durch Gemeinwohlbelange beschränkt, zu denen insbesondere der Schutz eines funktionierenden vertrags(zahn)ärztlichen System im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört.3

Daß allerdings in Wahrheit aus ökonomischen Gründen mit geradezu naturgesetzlicher Zwangsläufigkeit nur und ausschließlich zivilrechtliche Verträge zwischen Ärzten und Patienten auf Dauer zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung der Gesamtbevölkerung führen, hat sich unter den gegebenen Bedingungen der deutsche Sozialgesetzgebung und –rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten traurig bewahrheitet. Es ist geradezu der empirisch-experimentelle Nachweis darüber geführt worden, daß die Konstruktion des SGB V weder für stabile Finanzierungsgrundlagen sorgen kann, noch auch für eine dauerhaft gute medizinische Versorgung der Bevölkerung. Ganz zu schweigen von einer nachhaltig angemessenen und die Grundrechte aller Beteiligten respektierenden Vergütung der sogenannten „Leistungserbringer“.

Die Einzelheiten hierzu habe ich in meinem freundlicherweise viel gelesenen Aufsatz „Lenin und der Kassenarzt“ im einzelnen dargelegt. Ich werde an dieser Stelle nicht weiter auf diesen Gesichtspunkt eingehen4. Sie interessiert, aus welchen Gründen heute – und nach Maßgabe der anstehenden „Gesundheitsreform“ aus den „Eckpunkten“ der Bundesregierung – weiterer existenzbedrohender und existenzvernichtender politischer und rechtlicher Druck auf Sie ausgeübt wird. Auch hier stehen Sie – leider – nicht in einer historisch zufälligen Situation. Vielmehr folgen alle bisherigen und absehbar künftigen Entwicklungen zu Lasten ihrer Berufsfreiheit als Ärzte einer ebenso traurigen wie gefährlichen politischen Automatik.

Der Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat schon im Jahre 1944 auf diese Gefahren hingewiesen. Unter anderem formulierte er wörtlich:

Sobald der Staat die Planung des …. Wirtschaftslebens übernimmt, ist unvermeidlich, daß die Frage, welche Stellung den einzelnen Individuen und Gruppen zukommt, zum Kernproblem der Politik wird. …. Wenn ich mich recht erinnere, so war es Lenin selber, der …. das …. Schlagwort einführte: ’Wer -Wen?’ …. Wer plant wen? Wer dirigiert und beherrscht wen?“5

Genau dies ist das, was Sie derzeit in den Medien beobachten und an Ihren eigenen Abrechnungsbescheiden, Frequenztabellen etc. ablesen. Welche Stellung Ihnen als Kassenärzten zukommt, wird im Kern von der Politik definiert und bestimmt. Ihre individuellen Vorstellungen treten mehr und mehr in den Hintergrund. Es ist – so auch typischerweise heute – kein Zufall, daß in derartigen Debatten immer wieder an George Orwells Roman „1984“ erinnert wird. Ebenso, wie die jetzigen politischen Behauptungen, es werde der Wettbewerb gestärkt, genau das Gegenteil dessen besagen, was tatsächlich legislativ beabsichtigt ist, hatte George Orwell beschrieben, wie aus Kriegsministerien Friedensministerien werden. Tatsächlich war George Orwell im Jahre 1944 Leser eben des vorzitierten Friedrich August von Hayek und hat mit seinem Roman „1984“ ausdrücklich der philosophischen und nationalökonomischen Darstellung Friedrich August von Hayeks eine literarische Fortführung beigeben wollen.

Ein anderer Nobelpreisträger, Karl Raimund Popper, formulierte etwa zeitgleich – in der deutschen Ausgabe 1958 – folgendes:

Ich möchte …. hinzufügen, daß jede Art ökonomischer Intervention …. die Tendenz haben wird, die Gewalt des Staates zu vergrößern. …. Wenn wir …. dem Staat …. durch das interventionistische ’Planen’ zusätzliche Gewalt verschaffen, dann kann es leicht geschehen, daß wir unsere Freiheit verlieren.“6

Genau diese Tendenz, die Karl R. Popper beschrieb, den Staat zu vergrößern, ist das, was Sie heute in ihrer eigenen, aktuellen Lebenssituation erfahren. Die bereits öffentlich-rechtlich ausgestaltete Funktion beispielsweise eines Gemeinsamen Bundesausschusses, die bislang (noch) ansatzweise in selbstverwalteten Händen einer Gesundheitsverwaltung lag, soll nach den heutigen Plänen der Bundesregierung gänzlich in eine staatlich gelenkte Medizin überführt werden. Die Gewalt des Staates wird durch interventionistisches Planen – auch im Gesundheitswesen – schlicht vergrößert.

Hayek und Popper haben sich mit ihren zitierten Werken gegen eine tragische Tendenz des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gewendet, die ich Ihnen mit einem weiteren Zitat illustrieren möchte:

Wir waren die ersten, die erklärt haben, daß die Freiheit des Individuums um so mehr beschränkt werden muß, je komplizierter die Zivilisation wird.“

Das, was in diesem Zitat scheinbar so plausibel daherkommt, entspringt schlicht einer totalitären Ideologie. Das Zitat stammt nämlich von Benito Mussolini und aus dem Jahre 19297. Aus einer merkwürdigen Angst vor einer sich verkomplizierenden Welt wird der Wunsch, mit staatlicher Gewalt „auf Biegen und Brechen“ steuernde Wirtschaftsplanung zu betreiben. Diese jedoch erreicht genau das Gegenteil dessen, was sie zu erreichen vorgibt: Statt wohliger, warmer Verhältnisse für alle werden unfreie und unsägliche Verhältnisse produziert.

Daß nach der heute absehbaren Modifizierung Ihrer Berufsbedingungen nicht dezidiert ein Berufsverbot ausgesprochen wird (etwa nach dem Motto: Es gibt zu viele Kassenärzte, wir müssen 35 % von Ihnen mit einem Berufsverbot belegen o.ä.), steht dieser generellen Tendenz zur Aushöhlung der Versorgung vor Ort nicht entgegen.

Es stehen durchaus andere gesetzgeberische Mittel zur Verfügung, dasselbe Ziel auf – um mit Roland Baader (einem Schüler Friedrich August von Hayeks) zu sprechen – „Samtpfoten“ zu erreichen. Nicht anders beispielsweise ging die Deutsche Demokratische Republik mit dem von ihr ungeliebten Hauseigentümern um. Hauseigentümer in der DDR wurden in der Regel nicht mit einmaligem Verwaltungsakt zugunsten des Staates bzw. Volkseigentumes enteignet. Vielmehr wurden sie in eine wirtschaftliche „Klemme“ getrieben. Einerseits wurde ihnen (noch sozialistischer Doktrin, daß Wohnraum billig zu sein habe) auferlegt, daß Mieten z. B. nur 30 Mark betragen dürfen. Andererseits aber wurde durch entsprechende kommunale Anweisungen dafür gesorgt, daß Häuser kostenträchtig, z. B. für 30.000 Mark, saniert werden mußten. Da die Unterhaltskosten für das Haus aus den vereinnahmten Mieten nicht getragen werden konnten, waren die Eigentümer zunächst auf den Verbrauch ihres eigenen Kapitales angewiesen. War dieses erschöpft, bot ihnen in der Regel die örtliche Kreissparkasse einen Spezialkredit an. Diese wurde mit einer Hypothek „mit Vorrang vor allen übrigen Lasten“ in das Grundbuch eingetragen. Nach mehrmaliger Wiederholung dieses Vorganges war das Grundstück zugunsten der Kreissparkasse hemmungslos überschuldet. Dies war dann der Zeitpunkt, zu dem ein Mitarbeiter der kommunalen Gebäudeverwaltung das freundliche Übernahmeangebot unterbreitete, um den Eigentümer von den nicht mehr tragbaren Lasten zu befreien.

Wenn Ihnen die heute beabsichtigte Ausdünnung der Kassenarztversorgung zugunsten von Polikliniken (genannt Medizinische Versorgungszentren) in etwa ähnlich vorkommt, so ist dies keine historische Zufälligkeit. Auch die Klemme, die das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen konstruiert, ist durchaus perfide: Wenn die Kassenärzte aussteigen wollen, steht ihnen hierfür kein Schutz durch Menschenrechte zu; wenn sie im System bleiben, schrumpfen ihre Honorare bis unter die Grenze der faktischen Existenzchance. Sie stehen also ersichtlich in einer schwierigen Kontinuität historischer Entwicklungen.

Was also ist zu tun?

Nach meiner Überzeugung haben Sie als Kassenärzte nur eine einzige Möglichkeit: Sie können (wahrscheinlich am ehesten über sogenannte „Körbe“) in großer Zahl aus der kassenärztlichen Versorgung aussteigen. Sie müssen (!) sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichsam en bloc aussteigen, um den Planern Ihres Berufslebens die Chance zu nehmen, durch ängstlich im System bleibende Kollegen eine dürftige Notversorgung der Menschen vorübergehend sicherzustellen. Denn nur wenn Sie als Ärzte insgesamt (!) sich in Ihren Interessen für Ihre Patienten nicht aufteilen lassen, wird Ihnen auf Dauer eine herrschaftsfreie Medizin zu Gunsten dieser Patienten überhaupt noch möglich sein. Dies ermöglicht Ihnen dann anschließend, mit Ihren Patienten sinnvolle und zivilrechtliche Behandlungsverträge abzuschließen. Denn nur wer den „Gesundheitsplanern“ ihre Planungsmöglichkeiten nimmt, der nimmt ihnen auch ihre Potentiale zur Gängelung von Ärzten.

Wenn ich mir Ihre rechtliche und wirtschaftliche Situation als Ärzte betrachte, so komme ich zu dem für mein Land wenig schmeichelhaften Ergebnis: Es nicht mehr die Zeit, die Freiheit zu verteidigen, sondern es ist Zeit, Ihre Freiheit zurückzuerobern. Es geht um die Freiheit zu individueller Entscheidungsbefugnis statt zu bürokratischer Fernsteuerung. Es geht darum, daß der Mensch „Arzt“ den Menschen „Patient“ als sein individuelles Mitgeschöpf ernst nehmen und respektvoll behandeln kann, statt den Kranken nur als Objekt eines technisch-bürokratischen Verwaltungsmechanismus plankonform abzuarbeiten.

Wenn nämlich tatsächlich richtig wäre, daß unser heutiges Sozialversicherungswesen ein so großartiges wäre, wie bisweilen behauptet wird, dann frage ich mich: Warum werden wir mit Mitteln des Strafrechtes (§ 266 a StGB etc.) in dieses System hineingezwungen?

Sie alle sind heute versammelt aus einer bestimmten beruflichen Perspektive. Dies hier ist also keine unmittelbar politische Versammlung. Weil wir jedoch in unserem Land Gesundheit und Medizin verpolitisiert haben, ist unausweichlich, auch zu politischen Fragen am Rande Stellung zu beziehen. Ich stelle deswegen klar: Ich habe nichts gegen Sozialismus; ich wende mich nur dagegen, daß man unfreiwillig an ihm teilnehmen muß.

Ich habe auch nichts gegen Planung. Aber Zwangsplanung wäre allenfalls dann akzeptabel, wenn der Planer allwissend ist (und allwissend kann auch ein noch so investigativ tätiger Planer im Raum- und Zeitkontinuum unserer Welt niemals sein; mit anderen Worten: nicht einmal das Bundesgesundheitsministerium verfügt über eine Zeitmaschine, derer es jedoch bedürfte, um aus gesicherter Zukunftserkenntnis heraus heutige Planung zu betreiben).

Mir ist wohl bewußt, daß Kritiker gegen den sogenannten „Systemausstieg der Kassenärzte“ ins Feld führen, daß durch ihn die Sicherheit der Kassenärzte im heutigen System verlorenginge. Diesen Kritikern entgegne ich jedoch: Glauben Sie ernsthaft, daß es für Sie in dem heutigen System noch irgendeine Sicherheit gibt?

Gegen einzelne, die Kassenärzten zu dem Ausstieg raten, wird polemisiert, sie wollten mit den ausgestiegenen Kassenärzten anschließend nur eigene Geschäfte machen. Diesen Kritikern entgegne ich: Ja, es werden Geschäfte gemacht. Aber auch die Ärzte werden ihre Geschäfte mit diesen Menschen machen können.

Gegen die Perspektive des Abschlusses zivilrechtlicher Verträge wird erklärt: Ärzte sind keiner Unternehmer. Ich sage demgegenüber: Wer die Verantwortung für das Leben seiner Patienten übernehmen kann, der hat auch das intellektuelle und seelische Handwerkszeug, um sein eigenes Leben wirtschaftlich zu beherrschen.

Betrachten Sie also nach allem nüchtern Ihre eigene wirtschaftliche und rechtliche Situation als Kassenärzte. Und dann denken Sie bisweilen an eine jahrhundertealte indianische Weisheit: „Wenn du merkst, daß das Pferd, das du reitest, tot ist – dann steig ab!

1 Lenins Ideen und Werk sind unsterblich, Thesen des Zentralkomitees
der KPdSU zum 100. Geburtstag Wladimir Iljitsch Lenins, APV-Verlag,
Moskau 1970, Seite 33 f.
2 BVerfG NJW 2001, 1797 [1780]
3 LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. vom 13.09.2006 L 3 Ka 90/05 (dort
Seite 23)
4 vgl.: „Lenin und der Kassenarzt“ bei www.make-love-not-law.com
5 Friedrich August von Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, Neuausgabe Tübingen, 4. Auflage 2004, Seite 96 f.
6 Karl R. Popper, die offene Gesellschaft und ihre Feinde, UTB-Ausgabe, Band 2 Seite 161
7 zitiert nach Hayek, ibid. Seite 41

Rettungsbootbau auf der KV-Titanic

Vortrag zur ärztlichen Direktabrechnung auf dem „Ärztetag der Basis“ Freie Ärzteschaft e.V. IHK
Köln, 4. November 2006

von Carlos A. Gebauer

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,

ich danke für die freundliche Einladung, heute bei der Freien Ärzteschaft auf Ihrem „Ärztetag der Basis“ sprechen zu dürfen. Entgegen der gelegentlichen Annahme in Ihren Internet-Foren tue ich dies allerdings nicht ganz selbstlos, sondern durchaus in der Hoffnung, nötigenfalls aus Ihrem Kreis fachgerecht reanimiert zu werden, wenn unser Gesundheitssystem mich – erwartungsgemäß – im Stich lassen wird.

Das mir vorgegebene Thema für meine heutigen Ausführungen lautet zwar „Direktabrechnungen“. Ich gestatte mir jedoch, ohne mich in Ihre internen Debatten über den Begriff an sich einmischen zu wollen, die juristische Bezeichnung des Themas zu wählen und also über „Verträge zwischen Ärzten und Patienten“ zu sprechen.

Im Kern nämlich geht es darum, zu ermitteln, welche Bedeutung ein Vertrag im allgemeinen und insbesondere für Ärzte (und Krankenhäuser) hat – bzw. haben kann – und wie es darzustellen sein kann, diesen (im Interesse der Allgemeinheit anstrebenswerten) Zustand herbeizuführen.

Wie ich zeigen möchte, kann nämlich nur (und ausschließlich) der Vertrag ärztliche Selbständigkeit erhalten (bzw. wieder herbeiführen), eine effiziente Versorgung der Patienten mit Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen und einen respektvollen Umgang zwischen Arzt und Patient (ohne staatliche Kontrollen und Persönlichkeitsverletzungen, namentlich ohne elektronische Gesundheitskarte etc.) garantieren. Zugleich möchte ich Ihnen die Gewißheit verschaffen, daß Sie mit der Forderung nach dem Recht, mit Ihren Patienten zivilrechtliche Verträge abzuschließen, nichts Skandalöses oder Radikales oder Unsoziales fordern, sondern schlicht und einfach die Rückkehr zu einem natürlichen, menschlichen und ideologiefreien Miteinander zwischen Ärzten und Patienten.

Ich will im nun Folgenden zunächst beschreiben, was eigentlich ein „Vertrag“ ist. Sodann werde ich kurz skizzieren, warum unser deutsches Sozialgesetzbuch etwas so ganz Anderes ist, als ein Vertrag. Anschließend werde ich fragen, warum „man“ nicht wieder von den Abwegen des Sozialgesetzbuches zurückfindet zu den jahrtausende-alten Traditionen des vertraglichen Miteinanders von und zwischen Menschen. Zuletzt werde ich mich dann die Frage befassen, welchen Ausweg wir aus dem Sozialgesetzbuch zurück zu einer menschlichen Gesellschaft finden können; die Frage hier ist folglich die der Überschrift: Wie bauen wir ein Rettungsboot auf der KV-Titanic?

Was also ist eigentlich ein „Vertrag“? Juristisch gesprochen bedeutet ein Vertrag in der kleinstmöglichen Variante, daß zwei Menschen einander ihre jeweiligen Willenserklärungenübermitteln. Beide Parteien haben zunächst die Vorstellung, durch Kooperation mit dem Anderen eine Veränderung in der Welt herbeiführen zu können. Hierüber entwickeln sie zunächst ihre eigenen und dann gemeinschaftliche Vorstellungen.

In der Rechtsvorstellung deutscher Juristen kommt es sodann – durch Abschluß und Vollzug eines Vertrages – dogmatisch zu gleich drei Vereinbarungen. Die erste Vereinbarung bildet das sogenannte „Verpflichtungsgeschäft“.

Jenseits der klassischen juristischen Terminologie läßt sich – für jedermann am besten verständlich – definieren: Beide Parteien vereinbaren einen bestimmten „Soll-Zustand“. Sie erklären sich, wie sie die Welt heute gemeinschaftlich vorfinden und in welchen (anderen) Zustand sie ihn gemeinschaftlich versetzen wollen.

Dies klingt abstrakt, ist im Grunde aber ganz simpel. Wenn Sie in eine Bäckerei gehen und mit der Verkäuferin hinter dem Tresen über einen Brötchenkauf sprechen, dann passiert nichts Anderes, als das, was ich soeben beschrieben habe. Sie vereinbaren mit der Bäckersfrau, daß der jetzige Zustand (Sie sind im Besitze einer Münze und die Bäckerin im Besitze eines Brötchens) durch einen neuen Soll-Zustand ersetzt werden soll. Dieser lautet: Die Münze wird anschließend der Bäckersfrau gehören und das Brötchen Ihnen. In Erfüllung dieses wechselseitigen Verpflichtungsgeschäftes (so soll es sein!) schließen Sie sodann mit der Bäckerin zwei weitere, sogenannte Verfügungsgeschäfte. Sie verfügen über Ihr Geld und werden sich mit der Bäckerin einig, daß Ihre Münze nun der Bäckerin gehört. Anschließend werden Sie sich mit der Bäckerin noch einig, daß das Brötchen jetzt nicht mehr der Bäckerin, sondern Ihnen gehört. Glücklich tragen Sie das Brötchen aus dem Geschäft.

In der europäischen Rechtstradition kommt ein Vertrag stets nur dann wirksam zustande, wenn sich die (mindestens) zwei Parteien eines Vertrages über die wesentlichen Vertragsbestandteile, die sogenannten essentialia negotii, geeinigt haben. Wesentliche Vertragsbestandteile in diesem Sinne sind zum einen eine Verständigung über die an dem Vertrag beteiligten Personen und zum anderen (scharf umrissen und klar definiert) der Inhalt der Leistung sowie der Inhalt der Gegenleistung. Verpassen beide Vertragsparteien, sich über einen dieser wesentlichen Vertragsbestandteilen zu einigen, ist nach juristischer Vorstellung ein Vertrag nicht wirksam abgeschlossen.

Ich bitte um Verständnis, Sie hier zunächst mit dieser etwas langatmigen juristischen Erklärung zu belästigen. Die Darstellung dessen erscheint mir jedoch unabdingbar, um alles Weitere hieraus für unseren heutigen Zweck zu entwickeln. Denn Sie sehen – nicht zuletzt am konkreten Beispiel des Brötchenkaufes –, daß die von beiden Vertragsparteien eingegangenen Verpflichtungen in einem Wechselseitigkeitsverhältnis zueinander stehen. Dies nennen wir Juristen das „Synallagma“. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine dogmatische, überflüssige Versponnenheit, sondern schlicht um eine über Jahrhunderte und Jahrtausende gewachsene Weisheit. Wenn nämlich beide vereinbarten Verpflichtungen in diesem Synallagma zu einander und miteinander stehen, dann folgt hieraus zugleich eine Kontrollierbarkeit und Steuerbarkeit des Vertragesvollzuges. Die Bäckersfrau merkt also: Wenn sie kein Geld erhält, gibt sie das Brötchen nicht heraus. Umgekehrt merken Sie, wenn Sie statt des Brötchens ein gesundheitsabträgliches Puddingteilchen über die Theke gereicht erhalten, daß Sie (mangels Vertragserfüllung durch die Gegenseite) keinen Anlaß haben, auch Ihre Verpflichtung zur Übereignung der Münze (des Kaufpreises) zu erfüllen.

Schließlich – um nun den Ausflug in die juristische Dogmatik zu beenden – ersehen Sie aus dem gewählten Beispiel auch: Sie haben gemeinsam mit der Bäckersfrau die Verantwortlichkeitssphären für die beiderseitigen Vertragserfüllungshandlungen festgelegt. Stets und immer waren Sie beim Eingehen des Vertrages, bei seiner Erfüllung, bei der Kontrolle seiner Erfüllung und bei der Steuerung seiner einzelnen Abläufe nur zu zweit. Niemand hat Ihnen hereingeredet. Erst recht: Keine Behörde.

Jenseits dieser nun juristischen Betrachtungen drängen sich dem nüchternen Betrachter bei dem Gesagten zugleich auch elementare ökonomische Erkenntnisse auf. Bedarf und Fähigkeiten der Beteiligten werden jeweils konkret-individuell abgeschätzt. Die Bäckersfrau weiß, welche Brötchen sie verkaufen kann, welche Qualität diese haben und wie viele sie hiervon an diesem Tage zur Verfügung hat. Sie umgekehrt als der Käufer des Brötchens wissen, ob Sie an diesem Tage Geld bei sich führen, das Sie zu diesem Zweck auszugeben geneigt sind. Da niemand sonst Ihnen in diesen Ablauf hineinredet, hat dieser gesamte Vertrag Menschenmaß. Denn Sie können mit Ihren eigenen Augen und Ohren und mit Ihrem eigenen Tastsinn erkennen, ob das, was in der Welt geschieht, mit Ihrem Willen übereinstimmt. Nur der, der selbst weiß, was er braucht und wozu er im Stande ist, kann einen anschließend auch durch ihn selbst erfüllbaren Vertrag abschließen.

Wesentlich ist weiter: Der Preis beim Abschluß eines Vertrages (wir erinnern uns: Er gehört zu den essentialia negotii) wird zu Beginn (!) des Vertragsvollzuges vereinbart. Das Verpflichtungsgeschäft geht den Verfügungsgeschäften zeitlich voran. Auch das ist weise. Denn es minimiert den Streit der Parteien darüber, welches wohl der angemessene Preis (als Gegenleistung für die bereits erhaltene Leistung) ist. Immer dann nämlich, wenn Vertragsparteien sich nicht über den Preis einigen, die Ware jedoch bereits den Besitzer gewechselt hat, kommt es gerne zu Streit. Beispiele hierzu dürften sich an dieser Stelle erübrigen.

Desweiteren liegt es im freien Belieben der Beteiligten, ob sie einen Vertrag überhaupt abschließen (Juristen nennen dies die Abschlußfreiheit) und welchen Inhalt sie ihrem Vertrag geben (wir nennen dies die Gestaltungsfreiheit). Auch das ist weise, denn nur die Vertragsbeteiligten selbst wissen am besten (wer sonst?), wie die vertraglich zu bewältigende Situation am besten zu beschreiben ist.

Mit alledem wird der Ressourcen-Einsatz der Vertragsbeteiligten optimiert, es kommt zu wenig Reibungsverlusten, weil niemand anderer als die Beteiligten ihren möglichen Einsatz und ihre Gewinn-Chancen aus dem Vertrag am besten selbst abschätzen können. Beide Partner haben stets die Freiheit, ihr Verhalten an neue Situationen anzupassen. Das verunmöglicht Über-, Unter- oder Fehlversorgungen, wie sie allen Planwirtschaftern wesenseigen sind.

Im Ergebnis gewinnen an einem (gesunden) Vertrag stets und immer beide Parteien (!!). Anders gewendet: Die 99,99% aller Verträge auf dieser Welt kommen nicht betrügerisch zustande und bereichern durch ihren Vollzug beide Vertragsparteien.

Es gehört zu den klassischen Angriffen der Freunde unserer Planwirtschaft, dem zivilrechtlichen Vertrag diese Dimension abzusprechen oder sie in Abrede zu stellen. Das ist schlicht falsch. Durch einen Vertrag gewinnen immer beide Parteien. Sie sind nach Durchführung des Vertrages beide „reicher“, als sie es zuvor waren. Wäre das nicht so, würde schließlich niemand einen Vertrag schließen! Anders gesagt: Wer würde sich vertraglich verpflichten, anschließend ärmer zu sein, als vorher? Richtig: Nur der, der – aus Nächstenliebe – schenken möchte! Dazu komme ich später nochmals.

Auch diese (zunächst nur abstrakt erscheinende) Erkenntnis läßt sich leicht an einem Beispiel erklären: Ich nenne das Beispiel den „Fischbrötchen-Fall“. Angenommen, ich wäre schwanger und ginge durch die Innenstadt einer deutschen Großstadt. Plötzlich befiele mich ein unkontrollierter (und also von einem Planwirtschaftler nicht vorherzusehender) Heißhunger auf ein Fischbrötchen. Nun habe ich zwei Möglichkeiten, mein konkretes Bedürfnis zu befriedigen. Der eine ist, daß ich in ein Fischgeschäft gehe, und mir (für 3 €) ein Fischbrötchen kaufe. Die andere Möglichkeit ist, daß ich mich spontan auf die Reise an die Küste begebe, mir einen Fischkutter kaufe, eine Mannschaft anheuere und in See steche, um (hoffentlich) einen schmackhaften Fisch zu fangen (und anschließend irgendwo ein Brötchen aufzutreiben). Es bedarf keiner Erläuterung, daß diese zweite Variante für mich persönlich weitaus „teurer“ ist, als der Erwerb eines Fischbrötchens im Fischgeschäft.

Umgekehrt aber verkauft der Fischhändler mir selbstverständlich ein Fischbrötchen nur deswegen für 3 €, weil er es selbst zu einem geringeren Preis (z. B. für 2 €) hergestellt hat. Würde er selbst es zu einem Preis von 4 € hergestellt haben und es mir anschließend für 3 € verkaufen, wäre er kein Händler, sondern dumm. Im Ergebnis also sind beide, der Händler und ich, nach Erfüllung eines Bedürfnisses „reicher“ als zu vor. Der Fischhändler besitzt einen Euro mehr und ich habe meinen Heißhunger gestillt.

Gestatten Sie mir, an dieser Stelle zugleich auch einen weiteren Mythos gegen die Weisheit des Vertrages zu widerlegen. Der lautet: Vertragspartner (namentlich Ärzte und Krankenhäuser) müßten eine Verantwortung dafür übernehmen, von welchem Dritten (einer Versicherung etc.) der eigene Patient seine kostenfreistellenden Versicherungsleistungen hinsichtlich der von mir erteilten Rechnung beziehen könnte. Ich hatte eingangs erklärt, daß Verträge stets Zweier-Beziehungen sind. Der Dritte und sein Verhalten ist nicht mein Problem, sondern die Aufgabe und die Herausforderung meines Vertragspartners (ebenso wie die Auswahl meiner Vertragspartner und deren ordnungsgemäßes Handeln nicht das Problem meines Vertragspartners ist, sondern wiederum meine Aufgabe).

Nehmen Sie an, Ihr Patient hätte – aus Gründen, die Sie nicht kennen und auch nicht kennen müssen – beschlossen, einen Krankenversicherungsvertrag bei einem Versicherer in Somalia, im Gazastreifen, in Neapel oder wo auch immer abzuschließen. In diesem Falle hätten Sie als Ärzte vor Beginn der Behandlung mit einiger Wahrscheinlichkeit hohe Bedenken, ob diese Versicherer auch tatsächlich willens und in der Lage wären, Ihrem Patienten die Kosten für die entstehende und entstandene Behandlung tatsächlich zu erstatten. Da aber nicht Sie diesen Versicherer ausgewählt haben, sondern Ihr Patient, fällt die Frage nach dessen anschließender Bezahlung überhaupt nicht in Ihren Verantwortungskreis. Die Verantwortungssphären eines Vertrages sind abgegrenzt, sie sind überschaubar und nur deswegen haben sie auch Menschenmaß.

Nach diesen juristischen und ökonomischen Vorüberlegungen kann es uns folglich nun nicht mehr erstaunen, daß der zivilrechtliche Vertrag in der gesamten Menschheitsgeschichte historisch ein Erfolgsmodell gewesen ist. Verträge gibt es – welcher Welttourist könnte es bestreiten – kulturübergreifend in allen Ländern dieser Welt. Verträgestehen tatsächlich an der Wiege einer jeden Zivilisation, weil sie erst Arbeitsteilung ermöglichen. Sie sind zivilisations- und kulturschaffend. Denn sie schaffen Frieden (auch über Staatsgrenzen hinaus), weil sie Vertrauen der Vertragsparteien zueinander erfordern und – im vertraglichen Vollzug – dieses Vertrauen immer weiter stärken. Nur und weil Sie mehrfach eine bestimmte Ware unter einer bestimmten Marke erworben haben, haben Sie (learning by doing) die Gewißheit gewonnen, in diesem Vertragspartner einen verläßlichen Mitspieler gefunden zu haben.

Vor diesem historischen Hintergrund kann es auch nicht verwundern, daß zivilrechtliche Verträge über die Jahrhunderte und Jahrtausende – namentlich auch in der von mir zu überblickenden mitteleuropäischen Geschichte – eine fein ausgefeilte Dogmatik entwickelt haben. Sie alle kennen die römisch-rechtlichen Elementarregeln: pacta sunt servanda, manus manus lavat, do ut des, quid pro quo etc.

Zuletzt schließlich schaffen zivilrechtliche Verträge Ausgleich zwischen den Vertragsparteien. Zwischen Leistung und Gegenleistung besteht ein (von den Vertragsparteien individuell und konkret nach ihren eigenen Bedürfnissen austariertes) Gleichgewicht. So werden Handel und Wandel möglich. Maßstäbe für Werte werden geschaffen.

Im Gefolge dieser juristischen, ökonomischen und historischen Überlegungen wird schließlich auch deutlich: Verträge ermöglichen die sachnahe Verbindung von Individuen zueinander. Diese Individuen lösen ihre jeweiligen Probleme örtlich-dezentral (also effektiv und fern einer jeden zentralen Planverwaltung). Der Vertragsvollzug geschieht transparent und überschaubar, er hat – wie ausgeführt – Menschenmaß. Was konkret von den Beteiligten in der jeweiligen Situation benötigt wird, wird von ihnen gesucht, beschafft und verschafft.

Insoweit sind Verträge im ureigensten Sinne des Wortes „sozial“, weil sie den Zusammenhalt zwischen Menschen schaffen, fördern und erhalten. Menschen werden – in einer neueren Terminologie – „vernetzt“.

Die gesamte Gedankenwelt dieses Vertrages in seiner Bedeutung für eine Gesamtgesellschaft (einzelne Atome formen sich zu Molekülen zusammen) wird mindestens derjenige verstehen, der schon einmal ein Modellboot gebastelt hat. Das Modellboot hält nur deswegen zusammen, weil Sie alle Einzelteile jeweils miteinander und an dem je benachbarten Teil verklebt haben. Das Alternativmodell einer zentralen Planwirtschaft wäre, daß Sie – als Ärzte – ein anderes Modellboot basteln. Dieses sähe wahrscheinlich in etwa so aus, daß Sie in die Mitte eine Puppe setzen müßten, die aussähe wie Ulla Schmidt. Diese Puppe müßte dann ein jedes Einzelteil des Schiffes vom Zentrum her festhalten, daß es nicht herabfalle. So ist zentrale Planwirtschaft.

Nach diesen breit geratenen Ausführungen zur zivilrechtlichen Dogmatik und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung kann ich mich zu meiner nächsten Frage sicher in Ihrem Kreise eher knapp halten. Wie nämlich stellt sich gegenüber alledem das Sozialgesetzbuch dar?

Das Fünfte Sozialgesetzbuch verbietet Ihnen den Abschluß zivilrechtlicher Verträge mit Ihren Patienten. Ausgenommen sind nur Randbereiche wie die der sogenannten „individuellen Gesundheitsleistungen“. Ein aus Rußland stammender Arzt schrieb mir neulich, die IGeL-Philosophien erinnerten ihn an das sowjetische Kolchose-Recht. Auch dort war den Bauern nur erlaubt, eine Fläche von 3% ihres Grundes privat zu bewirtschaften. Alles Übrige mußte vergesellschaftet werden.

Der Bezug zum Recht der Sowjetunion und zu deren Geschichte ist im übrigen auch hier wiederum (leider) nicht abwegig. Sie wissen, daß Sie als niedergelassene „Kassenärzte“ in heutiger Terminologie bezeichnet werden als sogenannte „Vertragsärzte“. Nach der eingangs dargestellten Dogmatik ist Ihnen aber spätestens jetzt deutlich bewußt, daß es sich hierbei nicht um einen wahren Rechtsbegriff handelt, sondern um einen Kampfbegriff der politischen Agitation. Denn Sie haben mit der Kassenärztlichen Vereinigung keinen Vertrag geschlossen. Vielmehr sind Sie durch Verwaltungsakt zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen worden. Auch mit Ihren Patienten schließen Sie bekanntermaßen keine Verträge. Der Terminus des „Vertragsarztes“ entbehrt also jeder tatsächlichen Grundlage in dieser Welt.

Zurück aber zu unserem Sozialgesetzbuch müssen wir feststellen: Wer den Vertrag verbietet, muß all dessen (vorstehend beschriebenen) Funktionen ersetzen. Der Bedarf der Parteien, ihre Leistungsfähigkeit, die Kontrolle der Vollzüge, die Angemessenheit der Leistungen etc. pp., all dies muß kontrolliert werden. Nach dem Gesagten ist für Sie nun transparent, warum wir unter der Geltung des Sozialgesetzbuches in der Gesundheitsverwaltung einen Exzeß der Bürokratie nach dem anderen erleben. Übernormierung und Überverwaltung sind also kein Wunder, sondern nur folgerichtige, systematisch-zwingende Konsequenz der Beseitigung des Vertrages, einschließlich der – pardon! – schlicht aberwitzigen Tatsache, daß wir hier niemals den Preis am Anfang der Arbeit festlegen – mit allen bitteren Konsequenzen.

Neulich lernte ich einen Herrn kennen, der die Werke von Friedrich August von Hayek gelesen hat. Friedrich August von Hayek ist ein schlauer Mann. Ich kann Ihnen nur mit großer Deutlichkeit an Ihr Herz legen, sich mit Leben und Werk dieses Mannes vertraut zu machen. Die Lektüre von Hayek ist stets ebenso bildend und horizonterweiternd, wie beispielsweise die Lektüre von Karl R. Popper. An anderer Stelle wird hierüber vielleicht noch zu reden sein.

Dieser Mann also hatte Hayek gelesen und fragte mich: Warum macht „man“ es nicht einfach so, wie Hayek beschreibt? Mit anderen Worten: Warum findet unser historisch verirrtes Gesundheitssystem nicht wieder den Weg zurück zum guten alten Vertrag?

Das Problem hieran scheint mir zu sein: Politik mag Macht. Verträge aber entmachten Politiker. Denn wer Verträge schließen kann, der kann seine Probleme alleine lösen und braucht hierzu keine Planwirtschafter. Planwirtschaft umgekehrt jedoch schafft politische Machtpositionen. Für eine gewisse Politik ist dies bequem. Insbesondere erfolgt die Bezahlung aller planwirtschaftlich aktiven Politiker ohne konkrete Gegenleistungen seitens der Politiker an ihre Planunterworfenen.

Allerdings fällt auf, daß jene Politik genau diesen Zusammenhang in der Öffentlichkeit gerade nicht thematisiert. Statt dessen werden von ihr Mythengegen den Vertrag verbreitet, namentlich im Gesundheitswesen. Folglich gilt auch für meinen heutigen Zusammenhang, diese Mythen – wiederum einmal – in gebotener Kürze zu widerlegen:

Zunächst heißt es, Verträge seien „unsozial“, weil der, der kein Geld habe, sie nicht abschließen könne. Ich hoffe, in meinen bisherigen hiesigen Ausführungen dargelegt zu haben, daß es nichts „Sozialeres“ gibt, als Menschen, die miteinander Verträge schließen. Für die in Wahrheit wenigen Fälle, in denen einzelne Menschen Leistungen in Anspruch nehmen müssen, die sie nicht bezahlen können, gibt es – wiederum in guter alter mitteleuropäischer Tradition – außerrechtliche Funktionsmechanismen zur Kompensation. Diese lauten auf Barmherzigkeit, Mitleid, Nächstenliebe und schlicht Menschlichkeit. Und ihr zivilrechtlicher Ausdruck ist – wie bereits angedeutet – nichts Anderes als ein Schenkungsvertrag.

Häufig gehört ist weiter das Argument, namentlich Gesundheit sei – so wörtlich – „keine Ware wie jede andere“. Mit diesem – bei Planwirtschaftlern äußerst beliebten – Argument werden auch andere Phänomene unserer Welt gegen den Vertrag ins Feld geführt. Arbeit heißt es, sei keine Ware wie jede andere, Wasser ebenfalls nicht. Auch Luft sei keine Ware und eine Wohnung ebenfalls nicht. Ich kann nur jedem empfehlen, der sich plötzlich in einer solchen Diskussion wiederfindet, die Gegenfrage zu stellen, was sich der so argumentierende Planwirtschaftler seinerseits denn überhaupt unter einer „Ware“ vorstellt. Möglicherweise hält er für eine „Ware“ den Joghurt im Geschäft. Dann aber lade ich jeden Planwirtschaftler ein, mit mir in einen Supermarkt zu gehen, um festzustellen, daß dieser Joghurt 150-fach in allen Farben und Formen im Regel steht.

Ein weiterer Mythos gegen den Vertrag ist, Verträge erschüfen „kalte Ellenbogen“. Auch dies ist natürlich falsch. Verträge verbinden Menschen miteinander, Menschen reichen einander die Hand, nicht den Ellenbogen. Alle Erfahrung lehrt: Wer miteinander Verträge schließt, der tötet nicht. Demgegenüber haben behördliche Bewilligungsbescheide viel eher Ellenbogen und kalte Dimensionen.

Besonders beliebt im Gesundheitswesen ist die Behauptung, zwischen Arzt und Patient bestünde die sogenannte „Informations-Asymmetrie“. Ärzte seien ihren Patienten an Wissen so weit überlegen, daß der Patient dem Arzt schutzlos ausgeliefert wäre. Um diese Informations-Asymmetrie auszugleichen, müsse dem Patienten eine sozialversicherungsrechtliche Bürokratie beigesellt werden, die diesen Wissensvorsprung des Arztes kompensiere.

Daß auch diese Vorstellung neben der Sache liegt, bedarf in Ihrem Kreise jedenfalls keiner weiteren Erörterung. Über die Informations-Asymmetrien zwischen einem Zwangsversicherten und einer Gesundheitsbürokratie muß ich mich hier nicht verbreiten. Im übrigen ist jedem, der so argumentiert, zu entgegen: Ich persönlich fühle mich im informations-asymmetrischen Nachteil gegenüber jedem Kfz-Mechaniker, gegenüber jedem Elektriker, gegenüber jedem Malermeister, gegenüber jedem Fernsehtechniker und gegenüber jedem Buchdrucker. Warum habe ich hier keine Gesundheitsbürokratie an meiner Seite? Weil es eine Herausforderung an meine menschliche Kompetenz ist, nicht an die bürokratischen Fähigkeiten Fremder.

Zuletzt schließlich heißt es, Verträge „brauchten Regeln“, am besten Kontrahierungszwänge, Inhaltsverbote, Inhaltgebote, Mindestlöhne etc. pp. Auch dem ist entgegenzusetzen: Verträge werden von den Vertragsschließenden gemacht. Niemand selbst, als die an dem Vertrag Beteiligten wissen, was sie brauchen und benötigen. Aufgabe eines Staates ist es, lediglich einen Rahmen zu setzen. Dieser lautet: Es herrscht Vertragsfreiheit! Die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen wird staatlich überwacht. Eigentum wird geschützt. Wer es verletzt, wird bestraft. Nicht mehr und nicht weniger. Den Rest können die Menschen selbst.

Wird das System also wieder zu dieser guten, natürlichen Ordnung des Vertrages und zu einem solchen menschlichen Miteinander in der Gesellschaft zurückfinden? Wie bauen Sie als Ärzte ein Rettungsboot auf Ihrer KV-Titanic?

Das Bild der Titanic ist bekanntlich häufig strapaziert. Gleichwohl trifft es auch den Fall des deutschen Gesundheitswesens im Kern. Ebenso, wie seinerzeit bei der Titanic, leben Menschen in der Hybris, ein unsinkbares, hochmodernes Werk geschaffen zu haben, das so groß ist, daß es überhaupt nicht untergehen kann. Doch diese Titanic wird ebenso untergehen, wie alle anderen größenwahnsinnigen Megaprojekte, die der menschliche Geist sich im Laufe seiner Geschichte stets scheiternd erdachte.

Auch Sie als Ärzte können zu den Verträgen zurückfinden. Sie müssen nur Verträge schließen! Zu konzedieren ist Ihnen allerdings, daß Sie zunächst gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen, um wieder auf dem Boden des deutschen geltenden Gesetzes zu handeln, wenn Sie derartige Verträge schließen. Der Gesetzgeber heute hat normative Mauern um sie errichtet. Und diese gilt es einzureißen. Die massenweise solidarische Rückgabe von Zulassungen erscheint mir als die derzeit einzig gangbare und denkbare Variante, dies zu erreichen. Hierbei müssen Sie als Ärzte der divide-et-impera-Politik entgegentreten. Lassen Sie sich als Ärzte nicht enzymatisch in ihre Kleistgruppen spalten. Nur Einigkeit macht stark. Man darf sich nicht alles vom Plan gefallen lassen. Wenn Sie vertraglich (!) solidarisch sind gegen schlechte Gesetze, dann können Sie auch die gesetzlichen Horrorszenarien vermeiden, mit denen man versucht, Sie wirtschaftlich zu vernichten.

Wenn Sie Verträge schließen, dann muß dies nicht „unsozial“ sein. Ihren Patienten können Sie ohne weiteres Zahlungsfristen setzen. Während dieser Zahlungsfristen wird Ihr Patient in der Lage sein, den benötigten Rechnungsbetrag bei seinem Versicherer zu erlangen. Wenn Sie Sorge haben, daß Ihr Patient den Betrag von seinem Versicherer vereinnahmt und ihn (statt an Sie weiterzuleiten) für eine Urlaubsreise nutzt, dann gibt es auch hier vertraglich Hilfe: Ohne weiteres möglich ist, daß Sie mit Ihrem Patienten eine Zahlungsanweisung vereinbaren. Auf dieser Basis ist es dann seinem Versicherer nur möglich, mit befreiender Wirkung unmittelbar an Sie die Versicherungsleistung zu erbringen. Zivilrechtler wissen: Es gibt praktisch kein Problem unter Menschen, das sich nicht zivilrechtlich lösen ließe.

Wenn Sie einen „armen“ Patienten behandeln, dann steht Ihnen offen, aus Gründen der Barmherzigkeit auf Ihr Honorar zu verzichten. Sollten Sie der Auffassung sein, einen „reichen“ Patienten vor sich zu haben, dann steht Ihnen (jenseits blanker Notfälle) auch offen, das zu tun, was jeder Anwalt jeden Tag überall tut: Sie verlangen Vorkasse!

Gestatten Sie mir, Folgendes zum Abschlußzu bemerken:

Verträge zwischen Ärzten und Patienten sind möglich. Da, wo sie nur die zweitbeste Lösung sein mögen, sind sie immer noch besser, als der unpersönliche Plan des Staates. Wer den Himmel auf Erden mit planwirtschaftlichen Mitteln herbeiführen wollte, hat – wie Karl Popper ausgeführt hat – verläßlich noch immer die Hölle auf Erden geschaffen. Das deutsche Gesundheitswesen steht heute an diesem Scheideweg.

Nur eine schlanke, dezentrale Verwaltung ist effizient und effektiv. Ineffiziente Schiffe gehen unter. Dies gilt sowohl für die Titanic, als auch für die deutschen Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen.

In einem vertraglich organisierten Gemeinwesen mag ein einzelner scheitern. Die verbleibenden, vielen starken Schultern der anderen werden ihn in Solidarität und Barmherzigkeit wieder dahin bringen, einen neuen Anlauf zu wagen. In Planwirtschaften gibt es dagegen keine individuelle Insolvenz, sondern nur die Gesamtinsolvenz aller. Wenn aber alle verarmt sind, kann niemand dem anderen mehr helfen. Ein barmherziger Samariter, der selbst am Wegesrand sitzt, kann gegen niemanden mehr solidarisch sein.

Wehren Sie sich also gegen die Versuche, Ihre ärztlichen Interessen aufspalten zu lassen. Holen Sie aber auch die heutigen Insider des Systems im vertraglichen Konsens ab. Sie müssen Menschen gewinnen, um anschließend mit Menschen gemeinsam ein neues, gutes System zu errichten. Wenn Sie den Verteidigern des überholten, noch geltenden, alten Systems Ängste machen, werden Sie diese nicht für Ihre Ziele gewinnen. Machen Sie diesen Menschen keine Angst, aber haben auch Sie selber keine Furcht. Sie befinden sich nach aller historischen Erfahrung schlicht auf einem richtigen Weg. Bleiben Sie also beharrlich in Ihrem Protest. Verzagen gilt nicht.

Nehmen Sie Ihre ethische Verantwortung wahr. Sie sind – ebenso wie ich – nicht nur Absolventen einer bestimmten Fakultät, sondern generell als Akademiker gefordert, der Gesellschaft eine innere Haltung zu zeigen. Ohne Selbstachtung werden Sie zu einem toten Rädchen inmitten eines destruktiven Gesamtorganismus, der unausweichlich dem Tode geweiht ist.

Derzeit reicht Ihre Zeit noch aus. Noch können Sie Rettungsboote in ausreichender Zahl bauen. Holen Sie sich aus dem Schiffsrumpf der Titanic das, was Sie für den Rettungsbootbau brauchen. Wie wir alle aus dem Kino wissen, finden sich im Schiffsrumpf die interessantesten Gegenstände. Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht und bauen Sie Rettungsboote. Denken Sie an den „kleinen Prinzen“: Wir wußten, daß in der Wüste keine Brunnen sind. Dennoch gingen wir los. Und ganz zum Schluß werden Sie sehen:

Es sind Ihre Hände. Es ist Ihre Arbeit. Es ist Ihr Beruf. Es ist Ihr Land. Es ist Ihr Leben. Lassen Sie sich all das nicht länger von anderen abnehmen!

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