Einstehen füreinander in wechselseitigem Respekt – oder Unterwerfung unter den staatlichen Glücksplan?

Einige Literaturempfehlungen zu einem Spannungsfeld

von Carlos A. Gebauer

In welcher Form sollte das gesellschaftliche Zusammenleben einer unbestimmten Zahl von Menschen organisiert sein? Erscheint denkbar, daß zentrale Planung durch eine – wesentlich nur nach dem Mehrheitsprinzip ausgewählte, aber jedenfalls umfassend entscheidungsmächtige – Minderheit zum Wohle der Gesamtheit gelingt? Oder wird eher diejenige Gestaltung eines Gemeinwesens auf Dauer tragfähig sein, die sich die je konkrete Kreativität aller Einzelnen auf der Grundlage allgemein verständlicher und anerkannter Grundregeln fruchtbar macht? Die Lektüre der nachstehend skizzierten Literatur mag die eigenen Blickrichtungen auf dieses Thema vermehren.

Die Entstehung von Dingen dem Zufall überlassen, das meiste verwerfen und das, was zufällig gut ist, pflegen. … Geschichte ist das, was sich in den Freiräumen der Natur abspielt.

[Valentin Braitenberg, Ill oder Der Engel und die Philosophen]

Würde das Ei seine Form einem Einfall verdanken, es wäre rund.

[Wolf Wondratschek, Mara]

Mißglückende Traditionen sind wie vergiftete Flüsse: auf ihnen schwimmt der Schaum der Selbstzerstörung, sie tragen die Pest verzerrter Lebensformen von den Einleitungsstellen bis in die Meere. … Man entschädigt sich für den Verlust des Erst-Uterus durch den Aufbau von sozialen, symbolischen und technischen Zweitmutterschößen.

[Peter Sloterdijk, Zur Welt kommen – zur Sprache kommen]

Es sind die Staatsgläubigen, die den Diktatoren den Weg bereiten.

[Roland Baader, Fauler Zauber]

Der Reiche soll nicht mehr geben und der Arme nicht weniger

[2. Mose 30, 15]

Hans Herbert von Arnim:
Vom schönen Schein der Demokratie (2000)

In seinem bisweilen trockenen, aber immer faktenreichen Buch zum Stand der Demokratie in Deutschland fordert von Arnim die Einführung direktdemokratischer Elemente in die Verfassungswirklichkeit, um den von Parteien und Verbänden beherrschten Staat zurück in die Hände seiner Bürger zu geben. Dabei berichtet er von bisweilen denkwürdigen Konstellationen, wie etwa der des Wahlkampfes im Wahlkreis Helmut Kohls, bei dem sich zwei Kontrahenten mit erheblicher Propaganda-Materialschlacht streitend gegenüberstanden, obgleich beide schon wußten, über sichere Zweitstimmen-Listenplätze jedenfalls in das Parlament zu gelangen.

Roland Baader:
Die belogene Generation (1999)

Baader – Schüler des Nobelpreisträgers Friedrich August von Hayek – zitiert die Fragen, die Kritiker der Marktwirtschaft üblicherweise stellen und antwortet ökonomisch fundiert, historisch kenntnisreich und durchgängig in einfachsten Worten. Ein mitreißendes und verständliches Plädoyer für privates Wirtschaften und gegen ressourcenverschwendende Staatswirtschaft mit bemerkenswerten Fragen, wie der: Warum gab es eigentlich wirklich Kinderarbeit im „Manchester-Kapitalismus“?

Roland Baader:
Totgedacht – Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören (2002)

Ob Rousseau, Marx, Hitler, Stalin oder Mao: Baader beschreibt die geistigen Urheber und die ihnen folgenden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts aus ihren gemeinsamen sozialistischen Wurzeln und diskutiert – gut lesbar und dennoch stets auf geisteswissenschaftlich anspruchsvollem Niveau – die Dimensionen eines möglichen marktwirtschaftlichen Gegenbildes. Der Leser wird erstaunt, auf wie vielen Gebieten, an wie vielen Orten und mit welcher personellen Stärke insbesondere auch die westliche Welt heute (noch) durchdrungen ist von sozialistischen Phantasien.

Dominik Geppert:
Maggie Thatchers Rosskur – Ein Rezept für Deutschland? (2003)

Geppert beschreibt Margaret Thatcher als diejenige, die 1979 bis 1990 die sozio-ökonomische Revolution propagierte, um die Verfassungsordnung zu bewahren. Und er argumentiert, warum und wie Deutschland diese Schritte Thatchers nachzugehen haben wird. Dieses – kurze – Büchlein ist geradezu eine, übrigens von Arnulf Baring angeregte, Kurzfassung der Dissertation des Autors.

André Glucksmann:
Die Macht der Dummheit (1985)

Eine philosophiegeschichtlich fundierte Anti-Ideologie-Streitschrift mit starken Worten: „Gäbe sich die Dummheit nicht den Anstrich von Intelligenz, sie könnte niemanden täuschen (S. 32) … Nichts ist gefährlicher als ein gelehrter Esel auf dem Thron, Demokratie und Philosophie beginnen gleichermaßen mit der Erkenntnis, daß die Dummheit die am gerechtesten verteilte Sache der Welt ist (S. 269f.) … Noch heute findet man treuherzige Seelen, die bestreiten, daß ein sowjetisches Vernichtungslager summa summarum mit seinem Nazi-Pendant verglichen werden kann (S. 312).“ Was bleibe, seien die einfachen, unideologischen Gegenentwürfe der bloßen Mitmenschlichkeit, wie sie das Ad-hoc-Komitee der Ärzte gegen den Völkermord in Biafra 1969 zeigte.

Karl R. Popper:
Die offene Gesellschaft und Ihre Feinde (1957)

Ein gigantisches Werk der politischen Philosophie, in seiner deutschen Ausgabe geschrieben zwischen 1938 und 1957, im Andenken an Immanuel Kant und die Philosophie der Freiheit, der Menschlichkeit und des Gewissens. Ein Appell, großen Männern gegenüber niemals die eigene geistige Unabhängigkeit aufzugeben, ein Appell für die kritische Weltsicht eines Sokrates und gegen den Totalitarismus eines platonischen Staates, zugleich eine brillante Dekonstruktion Marxens und jeder Illusion, ökonomisch-planende Interventionen eines Staates könnten nicht zwingend zu einer Vergrößerung staatlicher Gewalt sowie – spiegelbildlich – zu Freiheitsverlusten führen.

Hubert Schleichert:
Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren (2001)

Was ist ein Argument? Wie funktioniert es und welche Spielarten hat es? Was kann man – und wie – einem falschen Argument entgegensetzen? Wann wird eine Argumentation fundamentalistisch? Welche Taktiken gibt es, um sich aus den Verstrickungen des argumentierenden Fundamentalismus zu entwinden? Eine Anleitung zur Aufklärung und – ein wenig auch – zur Warnung vor Subversion.

Arthur Schopenhauer:
Eristische Dialektik oder: Die Kunst, Recht zu behalten (zB bei Haffmans Verlag 1983)

Die Nachwelt erst hat aus einem Fragment Schopenhauers dieses – oft und immer wieder aufgelegte – kleine Werk destilliert. Schopenhauer hatte sich geärgert, warum er bei machen Disputen, obwohl im Recht, in den Augen Umstehender Unrecht gehabt zu haben schien. Also analysierte er die Struktur des „falschen“ Argumentes, um es sich für die „richtige“ Sache fruchtbar zu machen. Wer lautstarke und beifallheischende Diskussionsgegner erkennen und entlarven will, hier findet er eine unausweichliche Lektüre.

Voltaire und Friedrich der Große (Hrsg. Hans Pleschinski):
Briefwechsel (bei Haffmans Verlag 1992)

Eingebettet und eingebunden in die politischen Wandlungen ihrer Zeit korrespondieren zwei Männer über ihre Weltsichten, ihre Absichten, ihr Gelingen und ihr Scheitern. Sie kommunizieren von 1736 bis zum Tod Voltaires im Jahre 1778. Und ihre Kämpfe gegen das – wir würden es wohl heute so nennen: – Establishment erscheinen bisweilen sehr, sehr vertraut. Die Bemühungen um Aufklärung stecken noch immer in den Kinderschuhen.

Murray Newton Rothbard:
Das Schein-Geld-System (2000)

Die meisten Menschen wünschen sich, mehr Geld zu besitzen; doch nur die wenigsten haben je darüber nachgedacht, was „Geld“ eigentlich wirklich ist. Rothbard erklärt knapp und schlüssig, wie Geld als Maßstab eines jeden Tauschgeschäftes einen unproblematischen Handel erst ermöglicht und wie der Staat mit der Eroberung dieses Instrumentes durch die Einführung des „gesetzlichen Zahlungsmittels“ schlichtweg seine eigenen Handlungsspielräume erweitert hat. Wenn die Deutungen Rothbards zutreffen – und kaum etwas spricht dagegen -, dann ist der erneute „monetäre Zusammenbruch des Westens“ unvermeidlich.

P. J. O’Rourke:
Alle Sorgen dieser Welt (1998)

Welche Sorgen beschäftigen unsere Welt gegenwärtig und welche Ursachen gibt es für diese Sorgen? In neun Kapiteln zieht O’Rourke thematisch um die Welt und betrachtet Hungersnöte, Umweltgefahren, Seuchen etc. Mit erfrischendem, weil im Ergebnis zuversichtlichem Sarkasmus widerlegt er dabei berühmte Vorurteile ebenso wie politisch äußerst korrekte, aber leider inhaltlich unzutreffende Argumente des etatistischen Establishment. Über die professionellen, staatlichen Menschheitsbeglücker, die sich die Lösung der Probleme anderer zum eigenen Beruf gemacht haben, stellt er trocken fest: „Je mehr Dinge sie finden, um die man sich Sorgen machen kann, um so größer wird ihr Budget sein“.

Dominik Geppert:
Thatchers konservative Revolution (2002)

Es gibt wenige Dissertationen, die man lesen kann wie einen Roman. Diese Arbeit ist eine solche: Lesenswert, spannend, immer lehrreich und ein Dokument der jüngsten europäischen Geschichte. Das von Gewerkschaftsherrschaft und staatlichen Wirtschaftsinterventionen in die Zahlungsunfähigkeit manövrierte einstige Empire wurde von Margaret Thatcher nicht zuletzt auf Basis der Arbeiten Friedrich August von Hayeks wiederbelebt und auf volkswirtschaftlich gedeihlichen Kurs geführt. Ihrer Arbeit als Ministerpräsidentin ab 1979 gingen die letzten hier dargestellten vier Jahre in der Opposition voran, in denen die Lage so prekär war, daß der sozialistische Premier James Callaghan am 17.11.1974 im Kabinett erklärte, wenn er ein junger Mann wäre, würde er jetzt auswandern.

Gabor Steingart:
Deutschland – Der Abstieg eines Superstars (2004)

Deutschland stieg nach dem zweiten Weltkrieg zu einer wirtschaftlichen Supermacht auf. Deutschland verharrte über Jahre in dieser Position, wähnte sich sicher – und stellte in Überschätzung der eigenen Kraft die Weichen falsch. Aus dem Kraftprotz wurde ein Kränkelnder, der sich in der Umverteilung seines Wohlstandes zuletzt nur noch um die eigene Achse drehte, ohne noch weiter nachhaltig produktiv sein zu können. Die Vereinigung mit der völlig maroden DDR versetzte dieser Volkswirtschaft den nächsten Stoß; der noch restaktive Westen wurde zugunsten der subventionierten Ökonomieleiche Ostdeutschlands kolonialisiert. Steingart analysiert mit dankenswert klaren Worten die giftigen Wirkungen des ‚harten Gewerkschaftsbetons von heute‘ und fordert die konsequente „Rückübertragung von Souveränität“ an die Bürger.

Roland Baader:
Das Kapital am Pranger (2005)

Die Lage in Deutschland im Jahre 2005 war u.a. gekennzeichnet von einer denkwürdigen Debatte: Der SPD-Parteivorsitzende betrieb sogenannte „Kapitalismuskritik“, gab jedoch hierbei zu erkennen, tatsächlich nicht wirklich intellektuell zu erfassen, was der Gegenstand seiner Kritik eigentlich sei. Baader beschreibt demgegenüber den Kapitalismus (der als unideologisches Non-System eigentlich nicht einmal ein „-ismus“ ist) als die originär „natürliche Ordnung“ für das Zusammenleben von Menschen, die durch jedwede staatlich-hoheitliche Eingriffe nur gestört wird und Menschen in ihren einander wechselseitig dienenden Funktionen behindert. Mit geradezu begnadet knappen Argumenten werden z.B. die zweifelhaften Prämissen der einstmaligen rechtsphilosophischen Pop-Ikone John Rawls widerlegt: Nein, herausragende Eigenschaften eines jeden Individuums gehören eben nicht dem Kollektiv, sondern nur und exklusiv diesem einen einzigartigen Menschen! Eine Fundgrube bei der Suche nach Autoren und weiterer Lektüre ebenso wie eine Orientierungshilfe im – wie Baader formuliert – „politischen Begriffsnebel“.

P.J. O’Rourke:
Das Schwein mit dem Holzbein (2002)

Was sie schon immer über Wirtschaft wissen wollten und nie zu fragen wagten. Wie schon in seinen Arbeiten über ‚Alle Sorgen dieser Welt‘ bleibt O’Rourke auch hier bei seinem Thema: Wo liegen die Ursachen für Mißstände in unserer Welt? Für dieses Werk hat er nun die halbe Welt bereist, auf der induktiv-empirischen Suche nach Gründen für das Funktionieren oder Nichtfunktionieren von Volkswirtschaften. Egal, ob in Albanien, Schweden, Tansania, Hongkong oder Kuba … O’Rourke traf Menschen, ermittelte und beschrieb, was er fand. So lernte er beispielsweise, daß die Schweden zwar ein durch und durch ehrliches Volk sind, aber keinerlei Hemmungen haben, sich durch Steuern an den Früchten fremder Leute Arbeit zu bereichern; so lange nur die Beute anschließend gerecht aufgeteilt werde. Oder er stellte entsetzt fest, daß Tansania „bis zum Hals in Hilfe steckt“ (und deswegen keinen Anreiz hat, selber eine Wirtschaft aufzubauen). Wer zuletzt lesen mag, warum sich Marx auch mit Beethoven widerlegen läßt, der kommt an diesem O’Rourke nicht vorbei.

Udo di Fabio:
Die Kultur der Freiheit (2005)

Dieses Buch des Bundesverfassungsrichters hat die Republik in nicht geringem Maße erstaunt. Die einen meinten, seine Thesen verwerfen zu müssen, weil sie als das Wiederaufkochen einer traditionsgläubigen 1950er-Jahre Seligkeit daherkämen. Die anderen gaben sich erfreut, in der Person eines amtierenden Verfassungsrichters einen ebenso meinungsfreudigen wie breiter gebildeten Vertreter sozialismusskeptischer Denkweise lesen zu dürfen. Von den vielen zentralen Erkenntnissen, über die dieses Werk handelt, sticht eine besonders hervor: „Alle großen Einrichtungen des Rechtes atmen den Geist der Gegenseitigkeit“. In der Tat: Wer das Gegenseitigkeitsprinzip aus dem Zusammenleben der Menschen mit schlauen Umverteilungsinszenierungen meint, eliminieren zu können, der sät die Saat des nahenden Untergangs. Ein nachdenkliches Buch für die konzentriertere Lektüre in ungestörter Umgebung.

Hans-Hermann Hoppe:
Demokratie – Der Gott, der keiner ist (2003)

Ein nicht nur nach seinem Titel freches Buch. Ein politisch unkorrektes Werk. Ein Bürsten der allgemeinen Überzeugungen gegen den Strich – mit der Chance auf erschütternde neue Erkenntnisse. Eine Art Pflichtlektüre für jeden, der die Freiheit des Individuums wertschätzt. Und ein deutliches Plädoyer für die zentralen Menschenrechte. Ein Beispiel: Wenn A etwas besitzt, was B und C auch gerne hätten, dann haben B und C dazu zwei Möglichkeiten; entweder, sie erwerben es mit eigenen Anstrengungen, oder sie stimmen zu dritt demokratisch darüber ab, ob A es ihnen herausgeben muß. „Sozialismus kann nur zur Verarmung führen“, formuliert Hoppe.

Fareed Zakaria:
Das Ende der Freiheit? (2005)

Die Demokratie ist auf einem Siegeszug um die Welt. Aber: Ist sicher, daß sie stets auch mehr Freiheit für den einzelnen bringt? Oder besteht nicht die Gefahr, daß ‚Neuwähler auf die Lippenbekenntnisse selbsternannter Führer hereinfallen, die nichts anderes im Sinn haben, als sich aus der Staatskasse zu bedienen‘? Gilt diese Gefahr einer ‚Tyrannei der Mehrheit‘ nur für – beispielsweise – Indien? Oder sind auch andere Demokratien in Gefahr? Wo Berufsbeamte und Karrierepolitiker das Feld beherrschen, wie etwa in Kontinentaleuropa, da drohen zudem inflationäre Demokratisierungen und Verstaatlichungen sowie (aus ihnen folgend) Repressionen gegen die individuelle Freiheit. Zakaria rät dringend zu legislativer Enthaltsamkeit aus Einsicht in die eigenen Kompetenzgrenzen der Mächtigen: „Obwohl wir schon mit der Steuererklärung, dem Abfassen unseres Testamentes und der Bedienung des Videorekorders heillos überfordert sind, bilden wir uns ein, wir taugten zum Gesetzgeber.“

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