Vortrag bei den 6. Karlsruher Verfassungsgesprächen
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
am 5. Juni 2009
Carlos A. Gebauer
I.
Die internationalen Turbulenzen der jüngsten Vergangenheit, die wir gemeinhin als „Finanzkrise“ bezeichnen, haben bestimmte Sprachregelungen für den öffentlichen Diskurs hervorgebracht. Zu diesen Sprachregelungen gehört nicht nur, von einem „Scheitern der Deregulierung“ zu sprechen oder über „wildgewordene Märkte“ zu philosophieren. Für das meist als „Marktversagen“ titulierte Geschehen werden in aller Regel „Banker“, gerne aber auch „Neoliberale“, verantwortlich gemacht, die die Welt mit ihrer „Gier“ und mit ihren „Spekulationen“ an den Börsen und mit ihren Profitinteressen an den Rand des Abgrundes geführt haben.
Im Kern dieser gesamten Rede steht allerdings der proklamierte rhetorische Triumph des politisch-ideologischen Kampfes gegen den „Kapitalismus“ schlechthin. Er sei es gewesen, der – oft in Gestalt eines wildgewordenen Casino-, Raubtier- oder Turbokapitalismus – nunmehr Staat und Politik nötige, mit den ungeheuerlichsten Sonderanstrengungen Rettungsmaßnahmen auszubringen. Wären die Finanzmärkte von Anbeginn an ordentlich reguliert gewesen, heißt es, wären uns Schutzschirme, Milliarden-, Billionen- und Billarden-Programme erspart geblieben.
Meine These gegen all dies ist, dass uns viele – wenn nicht gar alle – dieser Debatten erspart geblieben wären (und weiterhin erspart werden würden), hätten wir in unseren Schulen nicht verabsäumt, unsere Mitbürger von Anbeginn ihres ökonomischen und politischen Daseins über einige elementare Grundsätze sowohl der Wirtschaftens insgesamt, als auch über Sinn, Zweck, Inhalt und Bedeutung insbesondere des „Kapitalismus“ anhand seiner historischen Empirie zu unterrichten und aufzuklären. Dies hätte sie immunisiert gegen Verführungen aller Art.
Stattdessen haben wir aber – um es einmal in der Terminologie der 1970er Jahre zu sagen – die einschlägige Aufklärung der Straße überlassen. Das Unternehmerbild des Deutschen heute ist maßgeblich geprägt von seinen Erfahrungen mit J.R. Ewing aus Dallas; demnach gilt als richtig: Je rücksichtsloser, desto erfolgreicher. Und was uns J.R. nicht vermittelte, das lieferten die Geschichten beispielsweise aus der „Rappelkiste“ über den bösen Hauswart oder – bis heute – das alltägliche Trickfilmgeschehen für unsere Kinder auf allen Kanälen, das nicht einen einzigen fleißigen Unternehmer zeigt, sondern regelmäßig das Bild eines gerissenen, unfairen, auf unlautere Vorteile bedachten Chefs, hämisches Grinsen inklusive.
Währenddessen jagt für Erwachsene ein Wissensquiz im TV das andere. Die „Knoff-Hoff-Show“, die „Welt der Wunder“ und wie sie alle heißen, entführen in ferne Galaxien, in prähistorische Zeiten und in die bestaunten Innereien eines Atomkernes; doch unterlassen sie alle eine verständliche Auseinandersetzung mit unserem eigenen Portemonnaie, dem eigenen Konto und mit der Frage, wie es dort um unser Wissen steht. Über den vereinzelten Rat an den kritischen Verbraucher kommt keines dieser Formate hinaus. Wäre es aber nicht spannend, einmal im öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag die Frage zu besprechen, warum der Gesetzgeber verbindliche „Mindestlöhne“ für möglich hält, gleichzeitig aber keine Obergrenzen für den Benzinpreis verfügen mag?
Gleichwohl weiß jeder Theater- oder Kabarettbesucher: Kein Schauspiel ohne implizite Kapitalismuskritik; elaboriert, entwickelt und vorgetragen von – pardon! – Kulturbetriebswirten ohne einschlägige Ausbildung, sorglos alimentiert aus den Töpfen und Trögen einer subventionierten Kulturpolitikindustrie. Kann es wundern, wenn auf diesem Humus Äußerungen wie die beispielsweise Richard David Prechts erwachsen, Lafontaine versuche doch nur, die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards zu retten? Noch immer glauben viele Meinungsführer unseres Landes offenbar ernsthaft, „Neoliberalismus“ wäre eine Neuauflage des klassischen „laissez faire“; sie wissen gar nichts von seinen gemeinsamen Wurzeln mit dem Ordoliberalismus und der sozialen Marktwirtschaft. Auch sie also: Opfer der fehlenden Debatten.
Infolge dieser volkspädagogischen Versäumnisse und medienpraktischen Besonderheiten herrschen in breiten und breitesten Bevölkerungskreisen also ganz zwangsläufig manifest unrichtige Vorstellungen darüber vor, was denn Kapitalismus überhaupt ist. Folglich kann nicht wundern, wenn der Feld-, Wald- und Wiesenbürger unseres Landes ökonomisch immer wieder in wirtschaftliche – und ideologische – Fallen läuft (bis hin in die legislativ sorgsam auswattierte Sackgasse namens Privatinsolvenz).
Besonders aber kann nicht wunden, wenn nun – in der ausgebrochenen Krise des Geldes und des Wirtschaftens – gerade diese verbreitete kollektive Unkenntnis denk- und merkwürdige Fehlvorstellungen hervorbringt, an denen sich die öffentliche Auseinandersetzung ebenso ziel- wie hilflos abarbeitet. Und wenige erst haben bislang den Mechanismus dieser Ignoranz der Vielen unter dem Organigramm einiger weniger verstanden, den Reinhard K. Sprenger kürzlich auf die Formel verdichtete: „Je hilfloser die Menschen, desto mehr können Politiker verteilen und regulieren. Vor allem auch zu ihren eigenen Gunsten. Deshalb etikettieren sie ihre eigenen Interessen als Gemeinwohl“.
Fragen wir also offen: Was ist überhaupt „Kapitalismus“? Ist es dasjenige Phänomen, von dem die Graffitis an den Wänden unserer Städte künden, es töte?
II.
Üblicherweise nähert man sich einem Phänomen am besten und ehesten über seinen Namen. Doch eine solche begriffliche Annäherung ist just hier sehr schwierig. Zum einen ist das Wort vom „Kapitalismus“ etymologisch wenig fruchtbringend; denn mit dem ‚caput‘ hat er wenig zu tun. Zum anderen mag auch eine Exegese der Begriffsgeschichte nicht zu rasch greifbaren Ergebnissen führen; denn ein Begriff, der dermaßen politisch umstritten ist wie der des Kapitalismus, lässt sich nach Verklärungen hier und Verdammungen dort kaum noch ‚begreifen‘.
Ein alternativer Ansatz in derartigen Fällen ist, zunächst das Gegenteil einer Sache zu betrachten, um dann – gleichsam im Spiegel – die eigentlich gesuchten Konturen zu erkennen. Fragen wir also: Was sagen die Gegner des Kapitalismus über ihn? Was genau kritisieren und bekämpfen sie? Was missfällt ihnen, was wollen sie beseitigen?
Für Marx waren bekanntlich zuallererst die vermögenden, „reichen“ Kapitalisten der Klassenfeind schlechthin. Ihn und sein bürgerlich-privates Eigentum an Produktionsmitteln galt es zu bekämpfen und zu beseitigen. Dies allerdings sollte nach Marx‘ Einschätzung in einem historisch unausweichlichen Prozess von alleine geschehen.
Sein Schüler Lenin wurde nicht nur weitaus deutlicher, sondern vor allem praktischer; er forderte von Beginn der Russischen Revolution an die „Säuberung der russischen Erde von allem Ungeziefer, Flöhen, Wanzen – den Reichen usw.“. Der Historiker Robert Gellately fasst zusammen: „Die Kommunisten hatten die Absicht, den Privatbesitz abzuschaffen, Höfe zu kollektivieren, die Industrie und das Bankwesen zu verstaatlichen und jegliche Religion zu eliminieren.“
Lenins Nachfolger Stalin wollte mit seinen Fünfjahresplänen sämtliche Aspekte der Gesellschaft und der Wirtschaft regulieren, um dadurch „den Zugang der Menschen zu höherer Bildung, bessere Gesundheitsfürsorge und soziale Absicherung“ zu erreichen; er schrieb im November 1928: „Wir haben die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder hinsichtlich der Errichtung einer neuen politischen Ordnung, der Sowjetordnung, eingeholt und überholt. Das ist gut. Aber das genügt nicht. Um den endgültigen Sieg des Sozialismus zu erringen … müssen wir diese Länder auch in technisch-ökonomischer Hisicht einholen und überholen“. Im Juli 1932 beklagte sich Stalin in diesem Zusammenhang über die „Profiteure“, die sich seinem umverteilenden Kampf entgegenstellten: „Wir müssen diesen Abschaum ausmerzen“ und „aktive Agitatoren“ in Konzentrationslager schicken.
Zur gleichen Zeit wetterte in Deutschland Hitler gegen den „Börsenkapitalismus“. Die NSDAP stehe zwar „auf dem Boden des Privateigentums“ erklärte er am 13. April 1928, behalte sich aber die „unentgeltliche Enteignung“ von solchem Grundbesitz vor, der „nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohls verwaltet wird“. Auf dem Parteitag der NSDAP 1929 stellte Hitler seine Auffassung dar, dass Deutschland seit 1918 „im Namen des Sozialismus … der internationalen Hochfinanz“ ausgeliefert werde. Und nach dem Desaster von Stalingrad End 1942 sagte er seiner Sekretärin, Traudl Junge: “Wir werden diesen Krieg gewinnen, denn wir kämpfen für eine Idee und nicht für den jüdischen Kapitalismus“.
Längst hatte der Kampf gegen privates Eigentum, Vermögen und Grundbesitz 1932 auch das ferne China erreicht. Jung Chang fasst zusammen: „Die sowjetische Führung … hatte die chinesische KP angewiesen, sich um die Bauern zu kümmern. … Das hieß, man sollte die chinesischen Bauern auf Grundlage ihres Vermögens in verschiedene Klassen einteilen und die Armen gegen die Wohlhabenderen aufhetzen. … Unter Mao brachte das Schulungsinstitut für Bauern Agitatoren hervor, die in die Dörfer gingen, die Armen gegen die Reichen aufhetzten und sie in ‚Bauernvereinigungen‘ organisierten“. Und: „Mao sagte seinen Soldaten: ‚Wenn die Massen nicht verstehen, was ‚tyrannische Grundbesitzer‘ bedeutet, könnt ihr ihnen sagen, es heißt ‚die mit Geld oder die Reichen‘.“.
Eigentum an Produktionsmitteln durfte demnach also unter keinen Umständen privat besessen oder verwaltet sein. Alle Reichtümer der Erde sollten vielmehr (in Weiterführung dieser nationalen wie internationalen sozialistischen Ideen weit über die Ära der zitierten Massenmörder hinaus) Gemeingüter sein, die mit staatlichen Maßnahmen klug – und sozial gerecht – so unter jedermann zu verteilen seien, dass alle Menschen an ihnen gleichermaßen teilhaben können. Naturbedingte, schicksalhafte und lokale Schwankungen des Kollektivwohlstandes sind demgemäß, bis heute, aperiodisch durch politische Interventionen einer klugen Regierung auszugleichen.
Diese (häufig dezidiert im Namen humanistischer Ideale ins Werk gesetzte) ideologische Rebellion der posttheologischen Ära gegen Schicksalsschläge im Allgemeinen und im Besonderen machte konsequenterweise bald auch nicht mehr Halt vor dem uns Menschen unbestreitbar vorgegebenen Phänomen von Zeit.
Wo ein Mangel in der Zeit herrscht, da sei es legitim, künftigen Reichtum durch antizipierten Konsum in die Phase des Mangels vorzuziehen. John Maynard Keynes lieferte mit dem Begriff des „deficit spending“ das akademische Instrumentarium hierzu, also eine Art des Essens von Äpfeln im Frühlings-Hunger des Jahres, in dessen Herbst sie erst würden geerntet werden können.
Faktische Widerstände gegen derlei hochtrabend-intellektuelle Problemlösungsstrategien (die in Wahrheit nur Rebellionen gegen das Realitätsprinzip sind, worauf zurückzukommen sein wird) ließen sich dann auch tatsächlich durch einen konsequent durchsetzungswilligen Interventionsstaat brechen. Die Geschichte liefert hierzu ein mannigfaltiges Arsenal an Belegen. Kurz gesagt: Einem wahrhaft starken Staat ist nichts zu schwer.
Es ist allerdings nicht so, dass niemand diese Gefahren rechtzeitig gesehen und beschrieben hätte. Der amerikanische Ökonom Henry C. Simons beispielsweise warf Keynes bereits im Jahre 1936 im Hinblick auf dessen „Grand Theory“ und die Idee des „deficit spending“ vor, gute Chancen zu haben das „akademische Idol unserer schlimmsten Irren und Scharlatane zu werden – um nicht von der Aussicht des Buches zu sprechen, die ökonomische Bibel einer faschistischen Bewegung zu werden“ [Plickert S. 84].
Eine Schülerin John Maynard Keynes‘, Joan Robinson, äußerte sich in Bezug auf den deutschen Vier-Jahres-Plan zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vom 1. Mai 1933 rückblickend sogar tatsächlich wörtlich dahin, „Hitler hatte bereits herausgefunden, wie man Arbeitslosigkeit kurierte, bevor Keynes mit der Erklärung fertig war, warum sie eintrat“.
Aus einem Umkehrschluß zu diesen interventionsstaatlichen Überzeugungen lässt sich demnach der Kapitalismus jedenfalls als dies definieren: Er erlaubt und gestattet private Kapitalbildung, indem er individuelles Eigentum staatlich respektiert und unangetastet lässt. Und er erlaubt die freie unternehmerische Betätigung der Eigentümer mit ihrem Eigentum.
Ein staatlich-zwangsweiser und von der Regierung gezielt geplanter Umverteilungszugriff auf privates Eigentum (in der Gestalt sowohl von enteignenden Wegnahmen, als auch durch mehr oder minder zwangsweise Steuerungen) ist unter kapitalistischen Bedingungen unmöglich. Was mir gehört, ist mir sicher und was Dir gehört ist Dir sicher. Es gibt im Kapitalismus keinen Rechtsanspruch auf das Eigentum eines anderen; hingegen gibt es eine insbesondere theologisch klar ausgesprochene, deutliche moralische Pflicht, das eigene Eigentum so zu verwenden, als sei es das Eigentum aller (so auch: Papst Pius XI. in Quadragesimo Anno unter Berufung auf die Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII.].
Mit anderen Worten beschreibt Erich Weede genau dieses Zusammenspiel: Jede Gesellschaft braucht unabdingbar auch Nicht-Markt-Institutionen, wie z.B. die Familie; das aber heißt nicht, dass diese anderen Institutionen ausgerechnet Zuständigkeitsterrains für einen Zwangsmonopolisten Staat sein müssten.
III.
Auf Basis dieses Vorbemerkungen haben wir nun folgerichtig zu fragen:
- Leben wir heute in Deutschland (und andernorts) „im Kapitalismus“?
- Was genau ist eigentlich „gescheitert“, wenn nicht „der
Kapitalismus“?
Und falls nein:
Beide Antworten sind für eine überwiegende Mehrheit sicher erstaunlich:
Zum einen müssen wir feststellen, dass es eine wirkliche private Kapitalbildung schon unter heutigen Bedingungen praktisch nicht mehr gibt. Denn:
- Wir leben mit absichtsvoll politisch interventionstauglichem,
inflationierendem, staatlichem Papiergeld („fiat money“). Sparen
nützt also nichts. Es bildet kein Kapital. Zusammen mit –
selbstverständlich wieder steuerpflichtigen – Zinserträgen
schwindet seine Kaufkraft von Jahr zu Jahr. Meine in Geld
ausgedrückte und angesammelte Arbeitskraft schmilzt unter der Sonne
einer staatlichen Geldmengenpolitik dahin. Der Geldsparer kann kein
„Kapitalist“ werden. - Wir haben darüber hinaus staatliche Zinsvorgaben. Nicht Du und ich
bestimmen den Preis von Geld und Kapital auf der Zeitachse, sondern
die staatlichen Zentralbanken tun es. Sie heben und senken den
Leitzins je nach eigener Einschätzung der Lage. Und sie tun dies
gezielt, um unser Geld für uns billig oder teuer zu machen. Auch
hier kann „Kapital“ nicht frei entstehen. Im Gegenteil:
Allenfalls das falsche Scheinkapital namens Papiergeld kann, durch
pfiffige Investition oder Spekulation, zu noch mehr Schein
aufsteigen. Ebenso schnell löste es sich bisweilen in Nichts auf.
Das ist kein kapitalistisches Kapital. - Wir haben des weiteren das Teilreserveprivileg der staatlich
konzessionierten Banken. Ihnen ist erlaubt, was keinem Normalbürger
gestattet wäre. Sie verwahren einerseits unser Sparer-Geld, doch sie
geben es andererseits zur gleichen Zeit wieder an Dritte heraus. Ihre
Eigenkapitalquote ist daher homöopathisch gering. Würden alle
Sparer ihre Einlage gleichzeitig zur Auszahlung verlangen, wären sie
in derselben Sekunde (ohne künstliche staatliche Garantien)
zahlungsunfähig. Dies ist die wahre Ursünde aller undurchsichtigen
Derivatgeschäfte, nichts anderes. Die ahnungslosen Sparer wähnen
sich reich, doch sie sind es gar nicht. Am allerwenigsten sind sie
„Kapitalisten“. Ihnen hat nur in der ganzen Breite noch niemand
verraten, was ein „bank run“ ist. - Wir haben darüber hinaus – zunehmend – ein System der
Wertzerschlagung von Unternehmenskontexten mit dem Tode des
Unternehmers; denn die einschlägigen Modifikationen des Erbrechtes
machen unmöglich, den wertschöpfenden Sachwert „Unternehmen“
privatautonom in Folgegenerationen weiterzugeben. Auch hier also:
Kein Kapitalist im eigentlichen Sinne weit und breit. - Zusammenfassend müssen wir uns demnach gestehen: Das, was wir da
leben, ist mitnichten „Kapitalismus“. Privates, rechtssicheres
„kapitalistisches“ Eigentum von irgend maßgeblichem Umfang gibt
es nicht. Gegenständliches Eigentum an Sachen kann stets dem
staatlichen Zugriff unterliegen; Eigentum an Geld als staatlichem
Zahlungsmittel sichert keine Kaufkraft; über den Tod einer Person
hinaus existiert kein überindividueller, unbesteuerbarer Besitz an
Kapital. Alles private Wirtschaften vollzieht sich auf dem unsicheren
Boden staatlicher Gestattung. Es ist ein System des
Als-Ob-Kapitalismus; eine Konstruktion, die privates Eigentum und
seine Verfügbarkeit an der juristischen Oberfläche garantiert, die
aber jeden Zugriff der Regierung auf seine Nutzung und seine Substanz
vorbehält.
IV.
Dieses (!) System ist also gescheitert, nicht „der Kapitalismus“. Dieses System war weder maßvoll, noch nachhaltig, noch sinnvoll allokierend, noch dezentral-erzeugernah, noch gar wirklich geldgedeckt. Es war (und ist!!) ein Blasensystem, dessen Charakteristikum neben den skizzierten Eingriffsvorbehalten zentral darin besteht, uns mit Papiergeld mehr Tauschmittel – also: Mittel zum Tausch – zur Verfügung zu stellen, als es Güter zum Tauschen gibt.
Paradoxerweise wird der politische Kampf gegen die Gier derzeit just dadurch geführt, dass der Gegenstand genau dieser Gier, nämlich das Geld, wüst vermehrt wird. Die eingangs beschriebene Öffentlichkeit hat dieses Paradox noch nicht gesehen.
André Glucksmann hingegen schreibt bereits: [In einem Geldsystem auf Papierbasis, statt auf Deckungsbasis] „gründet die Wirklichkeit in der Rede, während im Normalfall die Rede in der Wirklichkeit gründet … Analog dazu wird die Finanzblase, indem sie Kredit auf Kredit anhäuft, zu einer Verkörperung der Selbstaffirmation. Sie ist gefangen in dieser Selbstbeziehung, die sie eben zu einer Blase macht. So wird das Realitätsprinzip schrittweise ausgehebelt; nichts anderes gilt mehr als die durch meine Investments erfundenen Finanzprodukte“.
Warum machen wir es nicht einfach anders? Warum führen wir nicht wieder unmanipulierbare, am besten miteinander konkurrierende Warengeldstandards ein, Gold, Silber etc. pp.? Damit würden allen bösen Banken ihre gierigen Hände sofort maßgeblich gebunden!
Die Antwort ist: Wir machen es nicht anders, weil dann auch unsere Politik sich selbst die Hände bände! Das systematische Axiom „fiat money“ – es werde Geld! – soll (nach derzeitigem politischen Willen) unangetastet bleiben; es soll nur für den Staat noch beherrschbarer werden. Kontrolle statt Vernunft. Der Baum namens Geldwesen wird also nicht auf ein gesundes wertgedecktes Axiom umgesetzt, sondern auf seinem falschen, ungedeckten Ort belassen; stattdessen müssen immer neue und immer gigantischere manipulierende Eingriffe an Ästen, Zweigen und Blättern seine Versetzung in eine geldpolitisch gesunde Umgebung fingieren. Schon wieder also: Eine neue, kontrafaktische Fiktion!
Darf man aber überhaupt realistisch hoffen, dass es anders wird, wenn die Aufsichtsräte der ‚systemrelevanten‘ Banken selbst personenidentisch sind mit einflussreichen Politikern und politisierten Gewerkschaftern diverser Provenienzen? Wer z.B. einen Blick wirft auf den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der findet eine faszinierende Vielzahl von Männern und Frauen, denen es eigentlich schon alleine wegen ihrer dortigen Position versagt wäre, öffentlich Banken- und Kapitalismusschelte zu treiben. Derartige Zusammenhänge findet man indes nicht. Es soll Bürger gegeben haben, die in Anbetracht der dortigen Kapitalvernichtungen gefordert haben, die KfW zu verstaatlichen.
Bitter klingen angesichts dessen die Worte Michael Stürmers: „Der Idee, Staat und Politiker, wenn man sie nur ließe, könnten alles richten, haben die deutschen Landesbanken, denen es an Politik-Aufsicht nicht fehlte, den Boden entzogen“.
Wenn und wo also z.B. der DGB-Chef und KfW-Verwaltungsrat Michael Sommer am 1. Mai 2009 ebenso wortgewaltig wie erwartungsgemäß Banken und Banker, Kapitalisten und Profiteure für die Krise verantwortlich machte, da vergaß er, seine eigene Rolle zu thematisieren. Die chinesische Tradition kennt die List, den Sack zu schlagen, doch den Esel zu meinen. Ob Sommer sich selber meinte, wird man sicher bezweifeln können. Und auch ob dem KfW-Verwaltungsrat Peer Steinbrück bewusst ist, dass seine militärischen Drohungen gegen die Schweiz im Kern nur Ausfluss der eigenen Hochsteuerpolitik sind, mag man bezweifeln.
Vielleicht haben beide Herren aber auch längst Warren Nutters Rede zu den ökonomischen Problemen des Ostblocks aus dem Jahre 1974 gelesen, wo dieser sagte: „Die sowjetischen Führer von heute sind mit dem Dilemma des Zaren konfrontiert. Wie die Zaren wissen sie, dass die Wirtschaft krank ist, aber sie fürchten, ebenso wie die Zaren, dass eine Heilung des Patienten den Doktor töten wird“.
V.
Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Dimensionen all dessen fällt eines dem Juristen besonders irritierend ins Auge: Geld ist heute ein rechtsfreier Raum!
Dies mag den juristischen Laien zunächst erstaunen, in der Sache ist es leider exakt so. Die Tatsache, dass wir unsere Schulden – namentlich unsere staatlichen Steuern und sonstigen Abgaben – mit Geld als dem, wie es heißt, „gesetzlichen Zahlungsmittel“ zu erbringen haben, vermag bei genauer Betrachtung darüber nicht hinwegzutäuschen. Was dieses gesetzliche Zahlungsmittel „Geld“ nämlich überhaupt ist, hat der Gesetzgeber an keiner einzigen Stelle definiert. Gesetzlich ist vielmehr nur dasjenige Zahlungsmittel, das der Gesetzgeber uns – in ganzer Konsequenz des Zirkelschlusses – als solches gesetzlich vorgibt. Und dies wiederum ist ‚unsere‘ (zwischen- oder über-)staatliche, derzeitige Währung namens „Euro“.
Diese Währung aber kann der Geldschöpfer – die staatliche Zentralbank – frei von juristischen „Belästigungen“ seitens der Staatsbürger nach eigenem Gusto herstellen. Geldmengenpolitik ist Politik. Geldmengenpolitik ist nicht Geldmengenrecht. Kein Bürger hat ein subjektiv-öffentliches Recht auf Geldwertstabilität. Die Inflationierung von Geld, also die Herstellung und Verbreitung von relativ mehr Geld als der Herstellung von realwirtschaftlichen Gütern, unterliegt der grundrechtlich nicht überprüfbaren Einschätzungsprärogative der Regierung (bzw. ihrer unabhängigen Zentralbank).
Würden wir das Innehaben von Geld als wirkliches, kapitalistisch-privates Eigentum auffassen und seine wertmäßige Aushöhlung durch Inflationierung als Eingriff in subjektive (kapitalistische!) Eigentumsgrundrechte verstehen, unterläge der Gesetzgeber – anders als derzeit – den allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungszwängen. Inflationierungen, d.h. Geldmengenerhöhungen, könnten als Eigentumsverletzung und mithin als enteignende Eingriffe gewertet werden; mit allen daraus folgenden Konsequenzen.
Im Gegensatz zu dieser kapitalistisch-individualschützenden Eigentumstheorie stellt sich das heute geltende Geldsystem als reines makroökonomisches Manipulationsinstrumentarium dar. Für die Regierung wird der Geldwert flexibel gehalten, um die interventionistischen (also: non-kapitalistischen) Umverteilungsprozesse mit leichter Hand umsetzbar zu halten.
Wie schon gesagt: Der Staat bekämpft die diagnostizierte Gier mit der paradoxen Vermehrung des Gier-Gegenstandes, mit noch mehr Geld. Doch die Ursache seines diesbezüglichen Handelns ist nicht die intellektuelle Freude am logischen Widerspruch. Vielmehr treibt ihn seine blanke machtpolitische Angst eines generellen Kontrollverlustes. Über den Interventionsstaat, der seine nach rettenden Eingriffen jappenden Bürger behandelt wie ein schlechter Arzt einen Drogensüchtigen, statt mit Entzug und Entgiftung mit immer neuem Papiergeld, schreibt Michael Stürmer: „Regierungen fürchten finanzielle Schieflagen und ein Ende der sozialpolitischen Pallative, danach Unzufriedenheit, Unregierbarkeit und Krise der freiheitlichen Demokratie. Daher suchen sie die Beruhigungsdroge Geld, wo immer sie sie zu finden hoffen“.
Juristen mögen sich in Anbetracht dessen verfassungsrechtlich an Eigentumsgrundrechten abarbeiten und Halbteilungsgrundsätze u.a. proklamieren – alles umsonst! Wir glätten nur die Meeresoberfläche, während in den Tiefen ganz andere Kräfte walten und wüten. Alles, was wir verfassungsrechtlich denken, sagen und schreiben, wird schlicht an anderen Stellen des Systems unterlaufen und konterkariert. In Anlehnung an einen bösen Aphorismus mag man beinahe resigniert formulieren: Wir Juristen sind in diesen Kontexten derzeit allenfalls der Zuckerguß auf einem makroökonomisch-geldpolitischen Phänomen von gänzlich anderer Konsistenz.
VI.
Die hier eingangs beklagte kollektive Unkenntnis hinsichtlich dieser Umstände hat nicht nur Dallas-Fans oder Rappelkiste-Konsumenten erfasst. Sie ist vielmehr tief eingedrungen in unsere Gesellschaft. Auch in die Kreise unserer akademisch ausgebildeten Mitbürger.
Insbesondere unter Lehrern (die gleich dreifach von der fehlenden ökonomischen Informationsweitergabe abgeschnitten sind, als Schüler, Lehramtsstudenten und im dann eigenen Unterrichtsbetrieb) grassiert daher nach jüngsten Meinungsumfrage in Deutschland eine manifeste Interventionsbefürwortung; 65% aller Lehrer beabsichtigen, gezielt redistributive Parteien zu wählen – mit allen daraus wiederum folgenden Konsequenzen für den aktuellen Schulunterricht. Ökonomische Ignoranz erfährt einen Schneeballeffekt.
Man zeige einem Sozialkundelehrer einen Einhundert-Trillionen-Dollar-Schein aus Simbabwe und lasse sich erklären, wie es zu seiner Existenz hat kommen können: Warum nur sind ausgerechnet die kapitalistischen Unternehmer in Simbabwe so exzessiv und grenzenlos gierig, dass sie ihre Regierung zwingen, solche gigantischen Banknoten herzustellen? Es ist schwer, in Anbetracht des Leidens von Simbabwe nicht in heillosen Sarkasmus zu verfallen.
Doch es sind nicht nur die vielgescholtenen Lehrer, denen der ökonomische Überblick weithin fehlt. Auch und gerade professionelle Ökonomen haben sich augenscheinlich in ihre intrikaten Konstrukte dermaßen verrannt, dass ihnen jeder Überblick und Realitätsbezug abhanden gekommen war. Wenn selbst unser Bundespräsident – als vormaliger Chef des Internationalen Währungsfonds nun wahrlich kein Laie im Geschäft – einräumt, die Produktmonster des internationalen Finanzgeschehens nicht mehr verstanden zu haben, dann bestand Gefahr im Verzug.
Dies entlastet sicher auch Fachjournalisten, die 2009 einen Ökonomen in Davos anerkennend zum Propheten erkoren, der schon 2007 vor dem Crash gewarnt habe. In Wahrheit war er alles andere als ein Prophet; denn Friedrich August von Hayek hatte schon mehr als 30 Jahre zuvor vor dem geldpolitischen Wahnsinns-Axiom der Deckungslosigkeit gewarnt; zu einer Zeit also, als die beschriebenen Kapitalismuskritiker in anderen Zusammenhängen noch vor „Aufklärung auf der Straße“ warnten.
VII.
Es ist nach allem die Zeit gekommen, den ebenso verbreiteten wie ewigen Antikapitalismus zum Thema zu machen. Es ist die Zeit gekommen, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Aufklärung zu betreiben. Es ist die Zeit gekommen, den noch immer bemerkenswert schweigsamen Ökonomen jene dringenden Fragen zu stellen, auf die wir alle bald – sehr bald – eine tragfähige Antwort brauchen.
Es fällt auf, dass die richtigen Fragen auch heute noch überwiegend von Nicht-Ökonomen gestellt werden. André Glucksmann ist Philosoph, Michael Stürmer ist Historiker. Und wenn Konrad Adam thematisiert, dass der „Währungsschnitt“ immer wahrscheinlicher werde, dann spricht mit ihm wieder kein Ökonom. Wo ist die Zivilcourage eines Wirtschafts- und Währungsexperten, der endlich ausspricht, was sich kaum länger noch verschweigen lässt? Ist das Tabu so groß? Gibt es – wie Jörg Guido Hülsmann kenntnisreich spottet – „heilige Dogmen der Geldpolitik“? Oder ist es die schlichte Verzweiflung über fehlende Auswege, die den Finanzexperten den Hals zuschnürt?
Was kann den Juristen berufen, sich zu diesem Thema zu äußern? Auf die Gefahr hin, überheblich zu klingen: In der mittelalterlichen Universität war der Jurist Mitglied der Höheren Fakultäten; der Arzt war zuständig für die körperliche und der Theologe für die seelische Gesundheit; dem Juristen kam zu, die Gesundheit der Gesellschaft zu betrachten. Finanz- und Geldfragen sind Fragen der gesellschaftlichen Gesundheit.
Wir Juristen haben augenscheinlich zu lange diese Fragen den Globalsteuerern, den Schuldenmachern, den Predigern der Stabilität und den Designern der „planification“ überlassen. Es ist Zeit, dass wir uns mit dem elaborierten Instrumentarium des Geisteswissenschaftlers aufmachen, zumindest die richtigen Fragen zu stellen, selbstbewusst, mutig und mit der nötigen Zivilcourage.
VIII.
Der Einzelne hat seine Würde. Er ist mehr als nur ein Schalter im Gesamtgetriebe der Makroökonomie. Die Gedankenwelt des Kapitalismus liefert Ansätze zu Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart. Und es ist unsere Pflicht, die Stimme gegen den Antikapitalismus zu erheben, der sich aus allzu durchsichtigen Gründen seine rhetorischen Pfründe gesichert hat. Obschon er in diesen Darstellungen machtvoll und einflussreich erscheint, so wird er doch aus unterschiedlichsten Richtungen bemerkenswert einmütig bekämpft.
Frank A. Meyer zitierte jüngst wieder Keynes mit seinem elitären Wort, der Kapitalismus beruhe auf der „merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das gemeine Wohl sorgen werden“ und der bekennende Reaktionär Nicolás Gómez Dávila formulierte „Wir verwerfen den Kapitalismus nicht, weil er die Ungleichheit fördert, sondern weil er den Aufstieg von niedrigen Menschentypen begünstigt“.
Wer demgegenüber dem Menschen – jedem Menschen – eine unantastbare Würde garantiert und wer ihm mit einer grundlegenden Unschuldsvermutung begegnet, der wird ihn weder widerwärtig, noch auch niedrig erachten. Er wird ihm vielmehr den rechtlichen Anspruch zuweisen, sich vor der Welt und seinen Mitmenschen unter Beweis stellen zu können.
Der Jurist weiß, dass ein – bezeichnenderweise soeben wieder von dem Alt-Keynesianer Peter Bofinger proklamierter – „starker Staat“ auf eines komplementär angewiesen ist: Auf einen schwachen Bürger. Doch der Mensch der Moderne kann, darf und soll eben gerade dies nicht mehr sein. Im Gegenteil. Das Mittelalter ist vorbei! Die Moderne, der Liberalismus, der Rechtsstaat und die Demokratie sind auf einen Typus Mensch unabweisbar angewiesen: Auf den starken Bürger. Auf den selbstbewussten Bürger. Auf einen Bürger, der sich selbst und seine Mitmenschen annimmt. Auf einen Bürger, der Bürgersinn hat und der ihn praktiziert. Auf einen Bürger also, der nicht Untertan ist. Auf einen Bürger, der sich nicht hilflos in die Arme eines „starken Staates“ fallen lässt und damit – „in the long run“ – das ganze Gemeinwesen gefährdet.
IX.
Historisch wissen wir: Prosperierende Gemeinschaften gedeihen überproportional wahrscheinlich in politischen Machtvakuen, dort also, wo Minderheiten mit Herrschaftsambitionen weitgehend unmöglich gemacht ist, ihre Mitmenschen zu gängeln. Die sogenannten „Wirtschaftswunder“(die in Wahrheit keine Wunder sind, sondern natürliche Folge von Umständen, die es Bürgern ermöglichen, frei auf der Basis sicheren Privateigentumes zu handeln) gingen vonstatten in den Umbruchzeiten des europäischen 19. Jahrhunderts, in denen es den vormaligen Herrschaftsstrukturen immer weniger gelang, ihre Untertanen zu bevormunden; sie ereigneten sich in den bürokratiefreien Sphären amerikanischer Siedler, die nach Westen zogen; sie gelangen in der Sondersituation des deutschen Trizonesiens, das nach außen durch die pax americana und nach innen durch Ludwig Erhard vor politischer Gewalt geschützt war; und sie gelangen in der ähnlich staatsvergessenen Situation Hong Kongs, das zwar zunächst bitter arm, aber auch von der Kolonialmacht vergessen war. Überall dort vermochten verantwortlich handelnde Bürger frei zu handeln (im doppelten Sinne des Wortes!) und dadurch Wohlstand zu schaffen.
In dieser Kenntnis muss es die Aufgabe des Juristen sein, vergleichbare „Machtvakuen“ für seine Mitbürger zu schaffen, interventionsfreie Bereiche, in denen sie – von robusten und unverrückbaren Grundrechten geschützt – ihr Leben leben und ihr Glück gestalten können. Die Unverrückbarkeit dieser Prinzipien von rechtlich unantastbarem Eigentum und staatlich respektiertem bürgerlichen Vertragshandeln – bezogen auch auf unser Geld, einschließlich vernünftigerweise wohl auch einer Neujustierung des Bankenwesens ohne Teilreserveprivileg – hat eine Dimension, die weit über das Leben und Schicksal eines einzelnen hinausgeht. Von ihr hängt vielmehr sogar insgesamt ab, ob eine Gemeinschaft dauerhaft Bestand haben kann. Denn überall dort, wo der einmal geschaffene Wohlstand zu der Nachlässigkeit reizt, moralische Teilhabevorstellungen zu juristischen Teilhaberechten umzugestalten, da erodieren die verlässlichen Fundamente der vormals prosperierenden Gesellschaft.
Erich Weede schreibt: „Möglicherweise untergräbt der unternehmerische Kapitalismus, gerade dort, wo er erfolgreich dabei gewesen ist, Massenwohlstand statt der von den Marxisten erwarteten Verelendung zu produzieren, seine eigene psychologische Basis, die Akzeptanz des Leistungsprinzips“.
Insofern wäre der Kapitalismus also – an ideologisch unvermuteter Stelle – doch noch ein Selbstzerstörungsmodell? Im Gegenteil: Es ist nicht der Kapitalismus, der sich selbst zerstört; sondern es ist der Kapitalismus, der mit seinen wohlstandsschaffenden Kräften breitesten Kreisen jene Bequemlichkeit ermöglicht, auch ohne übermenschliche Anstrengung passabel leben zu können. Tritt aber in dieser Situation der generellen Behaglichkeit ein Rechtssystem hinzu, das dem Gefühl der Bequemlichkeit auch noch durch juristische Umverteilungsansprüche auf fremdes Eigentum Nahrung verschafft, dann gerät eine Gemeinschaft zwangsläufig auf die schiefe Bahn, an deren Ende Elend und Chaos aufscheinen.
Folglich ist es die verfassungsrechtliche Aufgabe des Juristen, die Bedingung der Möglichkeit von rechtlicher Umverteilung durch felsenfeste kapitalistische Eigentumsgrundrechte auszuschließen. Wer glaubt, fremde Schokolade dort verteilen zu dürfen, wo das eigene Backen von Schwarzbrot gefordert ist, der versündigt sich an der Gesellschaft. Und damit zeigt sich zuletzt, was der so lautstark propagierte Antikapitalismus seit jeher ist: Das Schwachreden des Privaten und das Starkreden des staatlichen Herrschenwollens; das honigsüße, sirenengleiche Versprechen, allgemeinen Wohlstand durch ein individuelles Recht auf Untätigkeit und Komfort herbeiregieren zu können. Wo aber wollte man lieber leben: Unter den segensreichen Versprechungen Simbabwes oder in der staatlichen Wohlfahrtswüste namens Hong Kong?
X.
Eine Lüge, sagte jemand, wird nicht dadurch wahr, dass man sie ständig wiederholt; aber die Lüge wird durch ihre ständige Wiederholung zur Tatsache. Dies ist mindestens ebenso gefährlich. Ein Jurist, dem an der Gesundheit seiner Rechtsordnung liegt, muss hier reden. Ohne Zivilcourage und ohne ein Eintreten gegen die falschen Tatsachenbehauptungen werden wir nichts ändern. Mit den Strategien des Appeasement ist unser friedlicher Wohlstand gegen die antikapitalistischen Umverteiler nicht zu retten. Prinzipien brauchen Menschen, die sie vertreten. Rechtsprinzipien brauchen Juristen, die sie verteidigen. Kennt jemand einen guten Anwalt?
Literatur:
- Jörg Guido Hülsmann:
- Die Ethik der Geldproduktion, Waltrop 2007
- Erich Weede:
- Unternehmerische Freiheit und Sozialstaat, Berlin 2008
- Frank A. Meyer:
- Das Nichts als Produkt, Cicero Juni 2009
- Reinhard K. Sprenger:
- Interview Schweizer Monatshefte März/April 2009
- Jung Chang & Jon Halliday:
- Mao, München 2005
- Robert Gellately:
- Lenin, Stalin und Hitler, Bergisch Gladbach 2009
- Philipp Plickert:
- Wandlungen des Neoliberalismus, Stuttgart 2008
- Konrad Adam:
- Der kurze Traum vom ewigen Leben, Waltrop 2009
- André Glucksmann:
- Bürgerliche Blasenwirtschaft, Schweizer Monatshefte, Mai/Juni 2009
- Michael Stürmer:
- Bürgerliches Trauerspiel, Schweizer Monatshefte, Mai/Juni 2009