Vom Nutzen der globalen Darmflora

von Carlos A. Gebauer

Die sicherste Methode, eine angebetete Frau nicht erobern zu können, besteht bekanntlich darin, sich neben sie zu begeben und dort die Bemerkung abzusondern: „Schönes Wetter heute“.

Anders als in dieser Situation allerdings beschäftigen Wetter und Klima die Menschen seit jeher. Und das Interesse an Barometer und Thermometer intensiviert sich derzeit erheblich. Meine eigene Großmutter wies mit skeptischem Blick aus dem Fenster praktisch ganzjährig darauf hin, dass das Wetter – wie sie es nannte – „verrückt spielt“. Meine Erinnerungen an ihre meteorologische Weltsicht gehen auf den Sommer 1976 zurück, als sie in Anbetracht eines strahlend blauen Himmels mehrfach hintereinander betonte: „Ich glaube, wir kriegen heut’ noch Gewitter“. Nach ihrer Einschätzung lag die Ursache der dekompensierenden Witterung beim Menschen: „Mit den Atomen machen die noch die ganze Welt kaputt“.

Während der erste klimatische Horrorsommer meiner Großmutter nach Kennerurteil einen der besten Weine des Jahrhunderts verursachte, verschob sich die allgemeine Wahrnehmung über den wahrhaft Schuldigen am Klima merklich. Anstelle der Atome gerieten nun Abgase – und mithin auch mein Gasfuß – in das öffentliche Blickfeld. Skeptisch also betrachtete ich, wie unter meinem rechten Fuß durch Abwärtsneigung seines Ballen die Gletscher der Alpen dahinschmolzen. Einer muß es ja gewesen sein.

Angestrengt kramte ich in meinen bruchstückhaften Erinnerungen an den grundschulischen Sachunterricht. Wie war das mit den Eiszeiten? Wann waren die noch mal? Vor oder nach dem zweiten Weltkrieg? Wir reizüberfluteten Modernmenschen müssen uns so viele Zahlen, Daten und Fakten merken – da kann man schon einmal den Überblick verlieren. Sollte also tatsächlich die energieintensive Weißblechproduktion für meine geliebten Bierdosen die Neandertaler niedergestreckt haben? Wie viele Autos hatte Henry Ford verkauft, bevor diese – wer sonst? – im Jahre 1926 einen Hurrikan über New Orleans fegen ließen, gegen den Katrina 2005 ein Kinderspiel war?

Vielleicht gibt es noch andere Schuldige für dererlei? Ich suchte weiter und fand: Wirklich schuld sind – Hexen! Während der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ereignete sich mitten in Europa Entsetzliches: Die Winter endeten nicht, die Sommer waren feucht, das Jahr 1628 war sogar eines ganz ohne Sommer. Zwei Jahre zuvor, Ende Mai 1626, fiel in der Region um Stuttgart plötzlich ein Meter Hagel vom Himmel. Anschließend schoß scheidend kalter Nordwind heran, fror das Wasser ein und ließ Wein, Roggen, Gerste mit allem Laub an Halm und Zweigen ersterben.

Im Gefolge der damaligen Suche nach Verantwortlichen entschloß sich die herrschende Meinung zunächst für eine Schuldzuweisung an mutmaßlich hexerisch tätig gewordene Mitbürgerinnen. Die Jahre 1626 bis 1630 markieren folgerichtig einen Höhepunkt der europäischen Hexenverfolgung. Die Unappetitlichkeit der öffentlichen Hexenverbrennungen riefen indes auch sensiblere Gemüter auf den Plan. Und offenbar war es ein deutsch-niederländischer Arzt namens Johann Weyer, der als erster vehementer gegen die Hinrichtung von Hexen anging, da sie – wie er darlegte – häufig gar nicht wachen Geistes, sondern melancholisch waren. Für die europäischen Juristen markierte diese Diskussion übrigens den Anfangspunkt der Frage nach der strafprozessualen Schuldfähigkeit eines Angeklagten, wie der deutsch-britische Historiker Wolfgang Behringer in einem kleinen Band über Hexen lesenswert beschreibt. Daß sich heute ausgerechnet Pyromanen gerne auf Prozeßunfähigkeit berufen, ist eine kleine Perfidie der weiteren Geschichte, die leider partout nicht in die hiesigen Überlegungen passt.

Für klimabedingte Katastrophen stehen demnach derzeit schon ohne weiteres drei potentielle Tatverdächtige bereit: Die Atome, meine Kohlendioxid-Immissionen und – sicher auch zeitgenössisch irgendwo auffindbare – Hexen. Nun sind gerade wir Deutschen aufgerufen, uns zu der Frage des Klimawandels wirklich ernste Gedanken zu machen. Denn wir, als die Erfinder des Besitzstandsdenkens, haben ersichtlich allen Grund, dessen wahre Ursache zu finden und sie sodann (naturgemäß sozialverträglich!) zu eliminieren. Nur so nämlich lässt sich unser bundesrepublikanischer Besitzstand an unseren wohlvertrauten meteorologischen Rahmenbedingungen verteidigen.

Was indes alle Theorieansätze bei der Suche nach dem wahrhaft Schuldigen für milde Winter, heiße Sommer, wilde Bäche und sprunghafte Flüsse verbindet, ist dies: Allesamt gehen davon aus, nicht nur den Verantwortlichen bereits gefunden zu haben. Sondern sie meinen auch, dass es überhaupt nur einen einzigen solchen geben könne. Was aber, wenn es gleich eine Vielzahl solcher Ursachen gäbe, die – aufeinandertreffend – das jeweilige Klima gestalten? Denn welchen Grund könnte es geben, annehmen zu wollen, die Steuerung nur eines aus einer Unzahl von Faktoren könnte im Ergebnis dorthin führen, wo man anzugelangen sich erhofft? Ist nicht die Reduktion von vielen Problembündeln auf einen einzigen handhabbaren Begriff und Gedanken das klassische Instrument, um sich zugleich entlastet zu fühlen aber das Problem gleichwohl ungelöst zu lassen? Das jedenfalls beschreibt der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner in einem bemerkenswerten Buch über die „Logik des Misslingens“.

Wenn es schon den Wetterfröschen in der prime time des TV nicht verlässlich gelingt, auch nur das regelhafte Wetter von übermorgen ansatzweise vorauszusagen: Wie können wir dann meinen, in Anbetracht unserer nur geringen Datenbestände über historisches Wetter nun auch noch gleich das ganze Weltklima planen und steuern zu wollen? Reicht uns denn unsere makroökonomische Inkompetenz schon nicht mehr?

Diogenes Laertios zitiert in seinem Werk über Leben und Meinungen berühmter Philosophen den naturphilosophischen Klimaexperten Epikuros (342 – 271 v. Chr.) mit dessen Überlegungen: „Donner kann entstehen nicht nur durch Luftblähung in den Höhlungen der Wolken wie in unseren Darmgefäßen, sondern auch durch das Gerassel des sich in Luft verflüchtigenden Feuers“. Mithin ist also keinesfalls abwegig, wenn uns der TV-Wettermann Jörg Kachelmann derzeit allabendlich als seinen Expertenrat gegen die unberechenbaren Launen des Wetters schlicht verdauungsregulierende Kost empfiehlt. Immerhin darf sich ein jeder Verdauender freuen, nicht in einer bösartig herbeigehexten Hungerperiode zu leben.

So weist uns also zuletzt die Darmflora von Jörg Kachelmann den Weg durch den Klimawandel. Aber: Machen Sie auch das möglichst nicht zum Thema, wenn Ihnen die Angebetete noch einmal begegnen sollte!

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