von Carlos A. Gebauer
Das niedersächsische Hochschulgesetz ermöglicht, daß Frauen eine Professur erhalten, ohne zuvor eine Doktorarbeit geschrieben zu haben. Frauen, die sich auf eine solche Professur bewerben – zum Beispiel bei der Fachhochschule Hildesheim – erhalten dezidierte Auskünfte hierzu bei der Hochschule. Genauer gesagt natürlich bei dem dortigen Frauenbüro.
Bei Lektüre der Hildesheimer Stellenanzeige saß ich in meinem Männerbüro und fragte mich: Warum muß der männliche Bewerber schon promoviert zu haben, wohingegen seine Mitbewerberin diese Arbeit noch nachschieben darf? Ein telefonisch rasch befragter Kenner aus dem Bekanntenkreis wußte die Antwort. Hier, sagte er, werden gleichsam pauschal erziehungszeitbedingte Ausfallzeiten kompensiert. Mit anderen Worten: Das Gesetz geht davon aus, daß die Bewerberin um die Professur noch Windeln wechselte, während ihr männlicher Konkurrent schon eifrig Fußnoten für seine wissenschaftliche Arbeit zusammenstellte. Diesen sozusagen naturgegebenen biologischen Rückstand der Frau im Raum-Zeit-Kontinuum will der Gesetzgeber durch hochschulgesetzliche Bestimmungen ausgleichen.
Nach dem freundlichen Telefonat mit meinem kenntnisreichen Bekannten sah ich mich dennoch im Detail weiter ratlos. Denn es könnte sich doch – theoretisch – erweisen, daß jene bereits eingestellte Frau Professor zur Abfassung einer Dissertation möglicherweise ungeeignet ist. Zeitgleich aber hätte sie ihre Studenten schon unterrichtet. Dann wäre doch – theoretisch – möglich, daß die Studenten von ihr Dinge gelernt hätten, die – vielleicht – mit den anerkannten Standards der Wissenschaft nicht in direktem, zwingendem Zusammenhang stünden. Sie müßten also das gelernte Falsche wieder neu – und jetzt richtig – studieren.
Da man nicht rückwärts studieren kann, drängt sich also die Frage auf: Ob das Hochschulgesetz den hiervon betroffenen Studenten die – gleichsam mittelbar erziehungszeitbedingt unnötig aufgewendeten – Studiensemester fiktiv durch eine Anrechnungsklausel der Hochschulverwaltung ausgleicht? Ich dachte an die Zubilligung besonderer Anwartschaften für die Altersrente, entsprechend der Dauer einer unnötig aufgewendeten Studienzeit, beispielsweise.
Noch während ich das Wort „Rente“ dachte, erschien ein weiteres Szenario vor meinem inneren Auge. Was eigentlich ist mit behinderten oder ausländischen oder religiös verfolgten Bewerberinnen? Diesen wären noch weitere promotionshinderliche Schicksale widerfahren, konsequenterweise ebenfalls ausgleichungswürdig. Wäre es also – in solchen, besonderen Fällen – nicht auch gerecht, diese Bewerberinnen noch intensiver bevorzugt zur Professur einzustellen? So ließe sich ihnen etwa die Möglichkeit einzuräumen, bereits ihr Studium oder gar ihr Abitur während der bereits laufenden Lehrtätigkeit als Professorin nachzuholen. Ich begriff, daß das Thema wahrhaftiger Gleichbehandlung und totaler Gleichstellung in Deutschland ersichtlich noch vielerlei ungeklärte Fragen aufwirft.
Kurze Zeit später telefonierte ich wieder mit meinem kundigen Bekannten. Er sagte, er halte nichts davon, Frauen immer gleich zu stellen. Manche machten sich auch im Liegen ganz gut. Ich habe bis heute nicht begriffen, was genau er damit gemeint hat.