von Carlos A. Gebauer
Diese Geschichte kennt jeder: Die Bürger von Schilda hatten ein Haus gebaut. Aber sie hatten die Fenster vergessen. Nachdem sie sich in den finsteren Räumen beraten hatten, beschlossen und begannen sie, das Sonnenlicht mit Säcken in das Haus zu tragen.
Eine andere Geschichte ist weniger bekannt: Auch bei dem Bau der Gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland wurden die Fenster vergessen. Denn wer medizinische Hilfe in Anspruch nimmt, der bezahlt nicht mit Geld. Statt dessen legt er zur Gegenleistung mit seiner Versichertenkarte eine Art Bezugsschein vor. Die Werte von Leistung und Gegenleistung sind in diesem primär geldlosen System nie ausgewogen. Denn sie stehen in keinerlei Relation zueinander. Die Preisfindung ist schlicht ein betriebswirtschaftlicher Blindflug. Im Ergebnis werden auf Basis stets neu justierter Gerechtigkeits- und Verteilungserwägungen nur Verrechnungspreise verglichen. Der Patient als Verbraucher zahlt mit einem bestimmten Pro-Rata-Anteil seines Arbeitsverdienstes. Wer weniger verdient, macht ein gutes, wer mehr verdient, ein schlechtes Geschäft. Alle Beteiligten tasten sich also nur blind durch einen fensterlosen Raum.
Mit buchstäblich tausenden Gesetzesänderungen wurde über Jahrzehnte immer wieder versucht, Licht mit Säcken in das System zu tragen. Budgets wurden eingeführt, Gesetze reformiert, strukturiert und modernisiert, Beiträge erhöht, gesenkt, der Kreis der Versicherten immer weiter vergrößert, wettbewerbsähnliche Elemente wurden eingeführt, ein Finanzausgleich unter den Kassen etabliert. Doch: Alles umsonst. Immer wieder bestand und besteht „Reformbedarf „.
Ursprünglich waren rund 10% der Bevölkerung Kassenmitglieder. Heute sind es über 90%. Und jetzt hebt der – ideologisch nur konsequente – Endkampf um die Totalerfassung aller Bürger in das System an. Zur Debatte steht eine „Bürgerversicherung“. Fortan sollen nicht mehr nur bestimmte Arbeitnehmer mit deren Familien und sonst in das System fallende Personen zu Einzahlern werden, sondern auch Beamte, Richter, Selbständige – jedermann.
Mit bemerkenswert titulierten Gesetzen, wie etwa dem „zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung“ waren schon in der Vergangenheit die Freiräume für eigenverantwortliche Versicherung verschmälert worden. Jetzt aber wollen die Gesetzesentwerfer niemanden mehr entkommen lassen. Jeder wird als sozial schutzbedürftig definiert und soll der Einheitsversicherung angeschlossen werden. Das Geschick, sein eigenes Leben vertraglich abzusichern, soll generell unbeachtlich werden. Bestehender privatrechtlicher Versicherungsschutz wird durch die faktische Beseitigung dieses Versicherungszweiges ausgehöhlt. Krankenversicherungsschutz würde damit gleichgeschaltet.
Können wir aber dulden, unser medizinisches Schicksal dergestalt mit Säcken in die Finsternis tragen zu lassen? Können wir zum Tod des Zivilrechtes auf dem Gebiet der Gesundheit schweigen? Und können wir hinnehmen, wenn unser nach dem Mauerfall sicher geglaubtes Verfassungsrecht als deutsche Bürger, einer Vereinigung nicht beitreten zu müssen, in diesem elementaren Bereich beseitigt wird?
Wir haben schon zum bestehenden System viel zu lange geschwiegen. Jetzt ist jedermann aufgerufen, der totalen Schildbürgerversicherung entgegenzutreten.