Warum FDP? Bekenntnisse eines liberalen Bundestagskandidaten

Ja, ich bin Mitglied der FDP. Ja, ich kandidiere bei der Wahl 2017 für den Deutschen Bundestag. Ja, ich werde selbst auch die FDP wählen. Und nein, ich werde vielleicht nicht in den Bundestag gewählt. Denn in meinem Wahlkreis gibt es auch heute noch immer mehr Sozialdemokraten als Liberale und mein Platz auf der Landesliste sieht von hinten besser aus als von vorne.

Warum alles das? Weil man die politische Agora nicht vollends für andere räumen kann. Weil Politik zu wichtig ist, um sie nur Politikern zu überlassen. Und weil es – natürlich – niemanden gibt, nicht einen einzigen, der das, was ich mache, besser machen könnte als ich selbst. Aber der Reihe nach:

Endlose Debatten habe ich in meinem Leben mit Menschen geführt, die sagten, man solle am besten überhaupt nicht wählen. In der Tat kann man diesen Standpunkt vertreten. Es ist aber nicht meiner. Denn würde niemand – wirklich niemand – außer allen derzeitigen Bundestagsabgeordneten wählen, dann bliebe das Parlament auch nach der Wahl faktisch unverändert. Mindestens dann, wenn alle sich selbst wählen.

Und weil sich unser Bundestag auch durch noch so intensives Beten aller Nichtwähler in ihren stillen, einsamen Stuben nicht aus dem Zugriff seiner Bundestagsvizepräsidentin und ihrer Kolleginnen befreien wird, bleibt nur der Gang zum Wahllokal, der Griff zum Stift und das Malen von Kreuzen, um vielleicht, vielleicht, vielleicht irgendetwas – irgendetwas – zu bewegen.

Betritt man aber den Kreis der Wähler und sucht man nach dem richtigen Platz für das eigene Kreuz, dann bleiben – jenseits lustiger Protestsymbolik durch Ausmalen des Wahlzettels, Schwärzen aller Kandidaten oder Unterstützung obskurer Miniparteien – unter realistischen Annahmen überhaupt nur diejenigen Wahlentscheidungen potentiell ergebnisrelevant, die eine erwartbar auch von anderen hinlänglich unterstützte Partei betreffen. Kurz: Einfluss auf das Gesamtwahlergebnis kann nur derjenige nehmen, der eine Partei wählt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die gesetzlichen Hürden für einen Einzug in das Parlament überwindet. Damit werden die Auswahlmöglichkeiten selten.

Es gibt nämlich nur eine einzige Partei in ganz Deutschland (wahrscheinlich sogar auf der ganzen Welt), die aus meiner Sicht auf allen Politikfeldern die wirklich zutreffenden Ansichten vertritt. Es ist exklusiv diese eine Partei, die alle gesellschaftlichen Fragen richtig beantwortet, deren Personal ich einschränkungslos unterstütze und deren politische Gesamtperformance ich seit vielen Jahren immer wieder mit der Note „exzellent herausragend“ bewerte. Es ist dies die – zugegebenermaßen sehr kleine – Partei, deren einziges Mitglied ich selbst wäre und die ich noch immer nicht offiziell gegründet habe. Was ich sagen will, ist: Jede Entscheidung für eine Partei ist immer ein Kompromiß. Denn in jeder Partei trifft man auf andere Menschen mit anderen Auffassungen und anderen Präferenzen. Politische Parteiarbeit und Parteiauswahl sind nichts anderes eine Suche nach der irgend größtmöglichen Übereinstimmung. Wählen heißt demnach nie, das Beste zu erküren, sondern – im Gegenteil – immer nur, das Schlechteste auszusortieren. Demokratische Wähler heben also nicht das Großartigste hervor, sondern sie versuchen, das Unsinnigste zu verhindern. Und in unseren derzeitigen Millionengesellschaften mit ihren anonymen Wählermassen ist diese Einflußnahme zusätzlich auf das Homöopathischste verdünnt. Die einzige Möglichkeit, die eigene politische Tropfenschwere in diesem Ozean auch nur irgend minimal zu erhöhen, besteht darin, nicht lediglich aktiver Wähler zu sein, sondern sich auch passiv der Wählbarkeit zu stellen. Doch dazu später.

Zunächst will ich die Frage erörtern: Wohin führt die Überlegung einer demokratischen Negativauslese am Wahltag?

Von den Parteien, die überwiegend wahrscheinlich wieder in den Bundestag einziehen werden, muß ich mir als Rheinländer über die CSU keinerlei Gedanken machen. Horst Seehofer kostet mich also überhaupt keine Überlegungszeit.

Wählbar im Rheinland ist aber die CDU. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die der CDU nahestehen. Ich kenne Menschen, die Mitglied dieser Partei sind. Ich kenne sogar Mandatsträger der CDU. Doch die vernünftigen und verantwortungsbewussten Menschen in dieser Partei sind dort derzeit in einer augenscheinlich ganz aussichtslosen Minderheit. Die bloße Tatsache, dass es dieser Partei in der jüngsten Vergangenheit trotz exzessiven Versagens ihrer Vorsitzenden auf ungezählten Politikfeldern nicht gelungen ist, sich von ihr zu trennen, belegt aktuell die schlichte Unwählbarkeit dieses Vereines. Wo parteipolitischer Zusammenhalt und Gruppenloyalität mehr wiegen als eine Kultur der Fehlerkorrektur, da liegen die Dinge im Argen. Statt alle ihre vielfach zusammengefassten Fehlleistungen hier noch einmal aufzuzählen: Alleine der mangelnde Rechtsbefolgungsgehorsam ihrer Vorsitzenden schließt aus, diese CDU zu wählen.

Gleiches gilt für die SPD. Der Kadavergehorsam, mit dem ihre Vertreter den inzwischen schon nur noch wahnhaften Eurorettungsprojekten folgen, ihre ins Gigantische ragende wirtschaftspolitische Verantwortungslosigkeit, die ungehemmte Bereitschaft, sich migrationspolitisch in Wunschträume zu flüchten, statt Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und das nicht nur klimapolitisch beobachtbare Abrücken vom rationalen, wissenschaftlichen Weltbild unseres Kontinents, all dies fügt sich in das Bild einer kritikunfähigen 100-Prozent-Martin-Schulz-Unterstützertruppe, die nach der bekannten Devise handelt: Je mehr wir uns verliefen, desto schneller gingen wir.

Was für CDU und SPD gilt, ist für Linke und Grüne natürlich nur umso zutreffender. Es reicht nicht, kein Personal zu haben, um ein fehlendes Programm durchsetzen zu können, man muß auch unfähig sein, die eigenen intellektuellen Verirrungen ohne die erzwungene Unterstützung anderer zu ertragen. Wenn es heute in Deutschland irgendwo noch Armut, Benachteiligung oder soziales Elend gibt, dann sicher nicht infolge zu geringer Umverteilung oder unzureichender Solidarität. Gesellschaftliche Probleme in Deutschland haben heute nur noch eine einzige Ursache und die heißt: Zu viel Politik. Wer Menschen die Last nimmt, ihre eigenen Entscheidungen verantworten und bisweilen über sich selbst nachdenken zu müssen, der schafft genau jene fremdalimentierten Sozialbiotope, in denen kultursensible Kochkurse auf Steuerzahlerkosten und das akademisch verordnete Binnen-I gedeihen.

Kaum ein Kenner der Berliner Szene würde doch heute noch seine Hand dafür ins Feuer legen, dass eine von der Linken mitgewählte Kanzlerin Merkel nicht auch fähig wäre, den Wiederaufbau des Palastes der Republik zur Gewissensentscheidung umzustilisieren. Wer glaubt, in sozialpädagogischen Metadatenanalysen die Realität erkennen zu können, der muß auch davon überzeugt sein, mit einem Verbot von Verbrennungsmotoren zwischen Nettetal und Görlitz den Lebensraum der Eisbären am Südpol zu retten. Kurz: Alleine die Gefahr einer Pinguinepidemie in Nordschweden nötigt, alles Wählermögliche zu tun, um eine drohend grüngestützte Merkelverlängerung zu vermeiden.

Dies führt – in der weiteren Negativauslese – nun folgerichtig zu der vorletzten Frage nach der Wahl einer gänzlichen Alternative für das deutsche Land. Kann der verbliebene Gründergeist von Joachim Starbatty reichen, um hier Gedeihliches erwarten zu dürfen?

In den vergangenen Wochen bin ich mehrfach aus dem Schlaf hochgeschreckt. Immer wieder hatte ich diesen Traum. Ich saß auf einer einsamen Insel unter einer Palme, aß eine Kokosnuss und wartete auf Hilfe. Nur Wilson sah mir zu. Plötzlich näherten sich zwei Boote. In einem erkannte ich Claudia Roth, im anderen Alice Weidel. Aus den Wolken riefen mir Margot Käsmann, Reinhard Marx und Campino zu: „Claudia weiß, wo es langgeht!“. Ich wußte es natürlich nicht. Ich weiß allerdings auch nicht, in welche Richtung Alice Weidel und Co. ihre Alternativpartei in nächster Zeit werden steuern können, wer sich dort durchsetzen wird und wer nicht. Ich weiß umgekehrt sicher, dass keine der anderen Parteien des künftigen Bundestages auch nur ansatzweise bereit sein wird, mit dieser Partei – und entwickelte sie sich noch so erfreulich – zu kooperieren.

Damit aber stiege nur wieder das Risiko, dass irgendeine machtpolitisch konstruierte Vielparteienkoalition Politik für den Einzug multikultureller Regenbogenpinguine in ein klimaneutral EU-finanziertes Staatsratsmuseum zu weiteren Steuerzahlerlasten betriebe. Und weil ich exakt das nicht will, bleibe ich seit Wochen des nachts immer wieder auf meiner Trauminsel sitzen, steige in kein Boot und warte auf einen jungen blonden Hoffnungsträger, der nicht länger zusieht, sondern mich mit einem gelb-blau-magentafarbenen Hubschrauber an neue Ufer rettet.

Natürlich ist die FDP nicht die beste Partei der Welt. Natürlich macht sie nicht alles richtig. Natürlich gibt es viel an ihr zu kritisieren. Und natürlich sehe auch ich in ihren Reihen Personal, das perspektivisch durch noch bessere Kräfte ersetzt werden kann. Doch eine nicht ganz unwesentliche Vielzahl von Menschen ist in dieser Partei wenigstens schon einmal unter der Überschrift versammelt, einen unkomplizierten Staat gestalten zu wollen. Eine nicht ganz unwesentliche Zahl von Menschen strebt dort nach einer Politik, die rechnen kann, nach Selbstbestimmtheit, nach Respekt vor der Leistung anderer und nach Freiheit als Menschenrecht für alle, weltweit. Bei aller Kritik an vielerlei scheinen mir dies Ziele zu sein, für die es sich gemeinsam zu arbeiten lohnt.

Mir ist auch klar, dass das aktuelle Wahlprogramm der FDP aus liberaler Sicht Anlass zu Kritik gibt. Wie könnte es auch anders sein? Es ist ein Werk aus vielen Händen, erdacht von vielen Köpfen und in einem gemeinsamen Prozess ausformuliert. Jeder, der daran mitgewirkt hat, muss also Passagen finden, die ihm gefallen und Passagen, die ihm nicht gefallen. Aber genau das ist ja auch die nötige Konsequenz der beschriebenen Negativauslese. Parteien sind kein Ponyhof, Politik ist kein Zuckerschlecken und Parteipolitik in Millionengesellschaften ist also erst recht kein Ponyschlecken.

Doch jeder, der den methodologischen Individualismus der österreichischen Schule verinnerlicht hat, weiß: Es gibt nicht „die“ FDP. Es gibt nur eine Vielzahl einzelner Menschen, die – ein jeder für sich – eigene Ideen davon, wie Politik gestaltet sein sollte, in einen gemeinsamen Prozess einbringen. Hält man die, die diesen Prozess zu einem bestimmten Zeitpunkt federführend gestalten, für ungeeignet oder ihr Tun für verbesserungswürdig, dann muss man sich ihnen anschließen und das ganze mit viel Geduld besser machen. Wer die meisten anderen überzeugt, der setzt sich durch. Das dauert, ist aber nicht unmöglich. Schlecht ist nur, sich ganz abzusetzen. Denn wer weggeht, der gibt alle Chancen auf Einflußnahme auf.

Ich habe – zum Vergleich – im Wesentlichen während meiner eigenen Lebenszeit beobachten können, wohin es führt, wenn alle klügeren und vernünftigeren Menschen entnervt ihre Kirche verlassen, weil dort mehr und mehr Geistlosigkeit Platz greift. Plötzlich stellt man fest, dass an der Spitze ihrer Institutionen Menschen handeln, die ebenso bewußt wie offenbar ernst gemeint das eigene Kreuz und sogar die Grammatik ablegen und unsere Erde als „Planetin“ bezeichnen. Es ist aber eine Fehlannahme, zu glauben, in einem chaotischen Kindergarten kehre alleine dadurch wieder Respekt und Friedlichkeit unter den Kleinen ein, wenn die Erzieher kopfschüttelnd nach Hause gehen. So funktioniert das nicht.

Nur wenn die, die ihr Studium zuende gebracht, die einen Beruf gelernt und ausgeübt, ihre Kostenbeiträge an die allgemeinen Kassen erbracht und Eigenverantwortung erlebt haben, nur wenn die auch auf politischer Ebene mitreden, statt dies den im Leben Unerprobten, Unerfahrenen und Gescheiterten zu überlassen, deren freizeitaffin-zeitreiche Lebensleistung im wesentlichen aus dem Nichtlesen von Referentenentwürfen besteht, nur dann kann auch ein Staat halbwegs ordentlich funktionieren. Die Inhalte und das Personal der FDP geben mir genau hier und heute noch immer mehr Hoffnung als die aller anderen Parteien, denke ich. Und wer weiß es? Am Ende wählen mich am 24. September 2017 doch noch alle zur Vernunft gekommenen örtlichen Sozialdemokraten und zusätzlich alle Nordrhein-Westfalen, die diese Zeilen hier lesen, die FDP. Dann komme ich am Ende tatsächlich in den Bundestag. Und am Ende, das weiß ja jeder, wird immer alles gut.

Selbstbehauptung ohne Selbstbewußtsein?

Von der Unmöglichkeit, nicht definierte europäische
Werte souverän zu wahren – oder gar zu verteidigen

Vortrag von Carlos A. Gebauer am 12. Februar 2016
vor Wirtschaftsvertretern in Niederösterreich

I.) Einleitung

Warum können wir uns vorstellen, daß Woody Allen in einer New Yorker U-Bahn von Rockern verprügelt wird? Und warum ist John Wayne genau das nie passiert?

Selbstbewußtsein und Selbstbehauptung eines Menschen stehen miteinander in einer engen Verbindung. Nur wer an sich selber glaubt, hat überhaupt erst eine Aussicht auf die Möglichkeit, daß auch andere an ihn glauben. Dieser spezifische Zusammenhang besteht nicht nur bei einzelnen Personen, sondern auch bei Gruppen von Menschen. Gegen den FC Bayern oder den CF Barcelona können allenfalls solche Fußballmannschaften gewinnen, die ohne Angststarre in das Spiel gehen. Nur wer selbst daran glaubt, besser sein zu können als der andere, der kann auch gewinnen – notfalls in der Verlängerung. Entscheidend ist, welches Bild die Betreffenden von sich selber haben. Denn genau dieses Bild lebt man und zeigt man der Welt.

Gesetzt, diese grundsätzlichen Überlegungen sind richtig: Warum sollte für Europa insgesamt etwas anderes gelten? Vielleicht muß dieses Europa (was immer es überhaupt sei) weniger Angst vor „Überfremdung“ haben, wenn es sich vorab einmal für sich selbst interessiert – und also dafür, was es in der Welt sein will. In diesem Falle könnte jeder einzelne Europäer am Ende auch dafür zu gewinnen sein, nicht nur negativ gegen eine Islamisierung, sondern im Gegenteil konstruktiv und positiv für eine Europäisierung des Abendlandes einzustehen.

II.) Hauptteil

1.) Die Frage nach einem europäischen Selbstbewußtsein

a.) Eine erste terminologische Vorüberlegung: Was ist Selbst-be-wußt-sein?

Von einem „Selbstbewußtsein“ zu sprechen bedeutet, vier gedankliche Aspekte zu erfassen: (1) Das „Sein“ – als Substantiv – deutet auf eine bestehende Existenz. Etwas ist. (2) Mit dem Wortbestandteil vom Wissen („…wußt…“) wird ein denkendes Subjekt angesprochen: Irgendjemand weiß etwas. (3) Das Morphem „…be…“ kündet von der Passivität dessen, von dem etwas gewußt wird: Ebenso, wie einer besonnt wird oder beschallt, wie er berühmt ist oder begnadet, besessen, beseelt oder belächelt; er steht im Lichte eines fremden Wissens. (4) Schließlich sagt das „Selbst“ in „Selbstbewußtsein“, daß irgendjemand etwas von dieser Existenz eines anderen weiß; und dieser andere ist eben rückbezüglich das eigene Selbst. Anders gesagt: Wenn ich mir meiner selbst bewußt sein will, dann geht das nur, wenn ich für einen Augenblick aus mir heraustrete und mich selbst betrachte. Dann weiß ich von mir. Von mir selbst.

b.) Auf der Suche nach einem kollektiven Selbst

Eine völlig andere Qualität von „Selbstbewußtsein“ ist angesprochen, wenn ich nicht von einem einzelnen Individuum spreche, sondern von einer Mehrzahl von Menschen. Denn ein Kollektiv von Menschen verfügt nicht über ein „Selbst“ wie ein konkreter einzelner Mensch. Eine menschliche Gesellschaft kann keinen Kopf- oder Magenschmerz haben, weil sie weder über einen Kopf noch über einen Magen verfügt. Eine Menschenmenge ist kein konkretes Subjekt! In den Worten von Margaret Thatcher: “There is no such thing as society.” Das heißt: In der objektiven, äußeren Welt gibt es keine Gesellschaften. Es gibt nur einzelne Menschen. Gesellschaften entstehen nicht in der realen, objektiven Außenwelt, sondern im Auge und Kopf des Betrachters. Gesellschaften sind immer nur subjektive gedankliche Abstraktionen desjenigen, der über sie spricht. Verschiedene Betrachter können daher beim Betrachten ein und derselben Ansammlung von Männern gleichzeitig völlig andere Gesellschaften sehen: Einen Männerclub, einen Raucherclub oder eine Skatrunde. Den Mitgliedern einer solchen Gesellschaft geht es dabei nicht anders. Jeder konkrete einzelne macht sich unter Umständen völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber, welcher Gruppe er angehört, weil jeder einzelne die Gemeinschaft, in der er sich befindet, subjektiv anders deutet.

c.) Gemeinsame Narrative als Vergewisserung für ein kollektives Selbst

Um sich ihrer selbst als Gemeinschaft zu vergewissern, tauschen die Angehörigen einer Gesellschaft sich über ihr jeweiliges Selbstverständnis als Gruppe aus. Die Individuen definieren, was jeder zusammen mit den anderen darstellen möchte. Der eigene Beitrag zum Ganzen und die Erwartungshaltung anderen gegenüber werden ausgesprochen. Bürgerliche Gesellschaften z.B. definieren dazu in einem Gesellschaftsvertrag ihren gemeinsam verfolgten Gesellschaftszweck und sie bestimmen, welches Individuum welchen konkreten Beitrag zum Ganzen zu leisten hat. Das erscheint in übersehbaren Gruppen noch vergleichsweise simpel.

Schwieriger gestaltet sich die Lage, wenn die Mitgliedschaft einer Gesellschaft so viele Köpfe umfasst, daß sie einander nie auch nur persönlich treffen können. In solchen Gesellschaften, etwa zur Konstituierung eines Staates aus einer Menschenmasse, ersetzen Erzählungen über das gemeinsame Herkommen, über den gemeinschaftlich bewohnten Landstrich oder über Staatsziele die verbindende Zweckbestimmung und Selbstdefinition aller. Dieses (heute gerne so bezeichnete) „Narrativ“ konstituiert dann ein gewisses gemeinsames Selbst und also die Bedingung der Möglichkeit von gesellschaftlichem Selbstbewußtsein.

2.) Die Frage nach einem gemeinsamen europäischen Narrativ

Gibt es aber ein solches gemeinsames europäisches Narrativ, ähnlich der Nibelungensage oder dem Rütlischwur, das allen Europäern die Chance zu einer kollektiven Selbstfindung, zu einer überindividuellen Identifikation spenden kann? Kann es ein verbindendes Moment geben, das für (nahezu) alle Menschen, die sich körperlich in Europa aufhalten, Gemeinschaft stiftend verbindlich ist? Oder wird der französische Napoleon immer ein anderer sein als der englische, deutsche oder polnische Napoleon?

a.) Was überhaupt ist auf Dauer Europa, was europäisch?

Wie hat man Europa (und das Europäische) überhaupt zutreffend zu definieren? Augenscheinlich weiß das niemand so genau. Geographisch? Historisch? Ökonomisch? Weltanschaulich? Religiös? Rechtlich? Wertorientiert? Politisch gar, mit der EU? Alles das scheint gut vertretbar, das jeweilige Gegenteil allerdings auch.

b.) Welche kulturellen Narrative dominieren aktuell?

Jenseits der definierenden Grenzziehungen schwirren die buntesten Narrative über unseren Kontinent. Der Ökologismus, in allen Spielarten von Bodenschutz bis Klimaschutz. Ein allgegenwärtiger Konsumismus. Nihilismus und Pessimismus. Demokratismus. Bürokratismus. Multikulturalismus. Antirassismus. Emanzipatismus. Wohlfahrtsstaatlicher Umverteilungs-Infantilismus. Bequemer Komfortismus etc. pp.

c.) Eine Vakuum-Hypothese: Es gibt kein allgemeingültiges Narrativ der Europäer

Die Europäische Union (als eine von vielen Möglichkeiten, „Europa“ zu verstehen) sagt von sich selbst, sie sei ein Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts. Mißt man diese Ideale an den Realitäten, könnten Zweifel aufkommen. Unkontrolliert-ungebändigte Masseneinwanderung schafft keine Sicherheit. Die Freiheit in einer das Internet zensierenden und das Bargeld abschaffenden Gesellschaft erscheint, milde gesagt, limitiert. Das Recht erfährt abnehmende Beachtung, wenn das Primat der Politik vordringlich blanken Funktionalismen folgt. Was also bleibt?

Lange Jahrzehnte waren Europa und die Europäische Union Hoffnung spendende Synonyme für den Frieden. Herrscht aber (noch) Friede zwischen Mitgliedstaaten, wenn sie einander mit Kommissaren überwachen, sich unter Kuratel stellen, einander Bedingungen stellen und in Kategorien wechselseitiger Schuldzuweisungen agieren?

Und: Selbst wenn man konstatiert, daß alle Mitgliedstaaten der Union nicht in offen gewaltsame Konflikte miteinander verstrickt sind: Herrscht Friede der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten gegenüber dem Außen? Oder sind nicht vielmehr schon offene Konflikte Teil des europäischen Alltagshandelns geworden, in Afghanistan, in Mali, in Syrien, um einige zu nennen?

d.) Ist innerer Friede ein Exportgut?

Selbst wenn man annähme, in der Europäischen Union herrsche interner Friede und selbst wenn man weiter annähme, die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten stünden nicht in unfriedlichen Konflikten mit Dritten außerhalb, dann bliebe zu fragen: Läßt sich innere Friedlichkeit exportieren in eine unfriedliche Welt? In eine Welt, die mindestens außerhalb Europas unübersehbar miteinander in unfriedlichen Verhältnissen steht? Welches wären die Voraussetzungen, um einen solchen Friedlichkeitsexport mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen?

3.) Ein desillusionierendes Zwischenresümee

Wenn es kein allgemeinverbindliches, weil allgemein für richtig und zutreffend gehaltenes Narrativ für alle Europäer gibt, dann mangelt es wohl an genau demjenigen Selbstbewußtsein, dessen es bedürfte, um anderen außerhalb Europas Kunde von der Überzeugungskraft der auf diesem Landstrich für richtig gehaltenen, gemeinsamen Selbstbetrachtung zu geben. Und wer nicht einmal an sich selbst glaubt, der kann – wie eingangs schon festgestellt – andere denknotwendig nicht dafür begeistern, diesen Glauben zu teilen. Aktuell finden sich auf Deutschlands Straßen Demonstranten unter Plakaten zusammen, auf denen es heißt „Liebe Ausländer, lasst uns mit diesen Deutschen nicht allein!“ oder „Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“. Anders gesagt: Die Begeisterung eines Außenstehenden für eine solche Gesellschaft, die der unseren gleicht, ist in diesem Kontext wohl eher unmöglich.

4.) Konsequenzen und Ableitungen

In der gegenwärtigen „Flüchtlingskrise“ (die ungeachtet ihrer Bezeichnung neben eigentlichen Flüchtlingen im klassischen Sinne offenbar auch vielerlei Migranten unterschiedlichster Subkategorien zum hoffnungsvollen Aufbrechen in ein anderes Leben motiviert) droht nicht nur der Friedensexport zu scheitern, sondern im Gegenteil sogar ein Konfliktimport verwirklicht zu werden.

[Am Rande, sozialstaatlich bemerkt: Der wenig kluge Begriff vom „Wirtschaftsflüchtling“ – zum Unterschied von einem ‚wirklichen‘ politischen Flüchtling – enthält einen bitteren Beigeschmack: Kann man, unter normalen Umständen, vor der Wirtschaft fliehen? Man kann, wie jeder Glücksritter, besseren Lebensumstände erwarten, im Idealfalle bessere Arbeitsbedingungen für einen größeren persönlichen Wohlstand. Doch wer vor Wirtschaft flieht, den zieht es in einen Wohlfahrtsstaat; schade für dessen ökonomisch ausbalancierten Bestand…]

Die Staaten auf dem Territorium Europas sehen sich derzeit nach Monaten der unbeschränkten Einreisemöglichkeiten für jedermann vor einem Zwei-Fronten-Konflikt mit variierenden Kulturen: Nicht nur an den Außengrenzen der Länder droht Ungemach, sondern insbesondere auch im Inneren der europäischen Staaten. Den (in den Augen von Sicherheitsexperten) schier endlos einströmenden Mengen und Massen junger waffenfähiger Männer von überall stehen die (in den Augen der Sozialpolitiker) begrenzen Humankapitale Europas mit ihren eingefallenen demographischen Pyramiden gegenüber. Fast will scheinen, als verwirklichten sich vor unseren Augen die düsteren Prognosen über den „Youth Bulge“, also die Warnung vor demographisch gegenläufig konturierten Gesellschaften, deren junge Männer sich im Verteilungskampf um Lebensaussichten benachteiligt sehen und ihr Aktivitäts- und Aggressionspotential zum Ressourcenerwerb nun gegen die aus ihrer Sicht teilungsunwilligen Besitzenden zum Einsatz bringen.

Gesetzt den Fall, wir müßten annehmen, daß Europa in der Tat nicht positiv definiert werden kann, sondern – worauf zurückzukommen sein wird – nur negativ, dann wäre vielleicht mindestens übergangsweise zielführend, die Fahndung nach dem gesuchten Narrativ einer Eigendefinition vorläufig in einer Negativabgrenzung nach außen zu verorten. Anders gesagt: Findet sich Europa vielleicht dadurch, daß es erst einmal klarstellend verneinend sagt, was es jedenfalls nicht ist, statt gleich bejahend zu sagen, was es ist? Ein geschichtlicher Exkurs mag Licht in die mögliche Fruchtbarkeit dieser Arbeitshypothese bringen.

5.) Geschichtlicher Inkurs: Wo steht Europa?

Ein Blick auf die Landkarte rund um das Mittelmeer und eine Vergegenwärtigung der historischen Entwicklungen ebendort läßt tatsächlich etwas erkennen, was manche Tagespolitik aus dem Blick verloren zu haben scheint. Der uns eben noch – bis zum Jahr 1990 – so übermächtig präsente Ost-West-Gegensatz der großen politischen Blöcke stellt sich im größeren Kontext der Betrachtung geradezu nur als eine kurze Episode der geographisch näheren Konfliktgeschichte dar. Anders gesagt: Die tatsächlich existentiellen Kampflinien verlaufen seit mindestens anderthalbtausend Jahren völlig anders. Betrachtet man in möglichster Kürze die Entwicklung der Machtverhältnisse rund um das Mittelmeer, gewinnt man recht bald gewichtige andere Perspektiven.

Im Jahr 570 wurde der Prophet Mohammed in Mekka geboren. Bis zu seinem Tod in Medina anno 632 änderte er die Machtverhältnisse auf der arabischen Halbinsel. In der Folge blieb rund um das Mittelmeer nichts, wie es gewesen war. Im Jahr 610 hatte er sich als der Prophet Allahs erkannt, 613 seine Mission begonnen und sich 620 mit Mitstreitern daran gemacht, die arabische Halbinsel zu erobern. Als er starb, war dieses Werk bereits gelungen. Seine Nachfolger [die in Gestalt entzweiter Sunniten und Schiiten zugleich bis heute vielgestaltig heftig um das wahre Erbe des Propheten und seiner wohl einzigen leiblichen Tochter ringen] eroberten bis 638 dann die Gebiete des heutigen Irak, Syriens und Palästinas, bis 642 Ägypten, 651 weitgehend den Iran, 654 Rhodos, sie teilten 688 Zypern und zogen bis 698 westwärts quer durch Nordafrika. Im Jahr 700 war der Mittelmeerraum faktisch dreigeteilt in eine weströmische, eine oströmische und eine islamisch beherrschte Einflußsphäre.

Der anschließende Eroberungsfeldzug des Islam gen Norden erfolgte auf breiter Front; im Osten, im Westen und in der Zentralregion des Mittelmeers: 717/718 belagerten arabische Kämpfer im Osten – noch – erfolglos Konstantinopel, das heutige Istanbul und mithin die seinerzeitige Hauptstadt des Byzantinischen Reiches. 719 eroberten sie hingegen im Westen ungebremst erfolgreich fast das gesamte heutige Spanien nebst Portugal, zogen 720 nordwärts bis Narbonne und konnten (nach vorherrschend geltender Geschichtsschreibung) erst 732 in der Schlacht bei Tours von dem Franken Karl Martell zurückgeschlagen werden. Das heutige Frankreich blieb demgemäß christlich. 878 jedoch wurde im Süden Syrakus und mit dem Fall von Taormina 902 schließlich ganz Sizilien arabisch bzw. islamisch.

Eine Gegenbewegung hierzu setzte erst im Jahre 961 wieder ein, als die Byzantiner zunächst Kreta und 965 dann Zypern für das christliche römische Reich zurückeroberten. Bis zur vollständigen Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch den christlichen Norden vergingen indes noch mehr als 500 Jahre: Die sogenannte Reconquista erlangte in Spanien erst im Jahre 1492 wieder die Macht für das Christentum. Wer Granada besucht, erhält diesen Kampf durch die Betrachtung einerseits der Alhambra und andererseits des nebenstehenden Palastes von Kaiser Karl bis heute eindrücklich vor Augen geführt.

Anders als Rom, das inmitten Italiens noch sicher vor arabischen Angriffen gelegen war, standen Konstantinopel und mithin das gesamte Byzantinische Reich spätestens seit 717 stets unmittelbar an der Grenze dem expansionsgeneigten Islam gegenüber. Nicht ohne Grund wird Byzanz heute als ein wesentlicher – wenn nicht der wesentliche – Faktor dafür angesehen, daß der Mittelmeerraum bis heute (noch) nicht insgesamt islamisch geworden ist. Byzanz war im Kern eine Melange aus römischer Verwaltung, griechischer Kultur und christlichem Glauben. Diese Elemente verliehen dem Byzantinischen Reich eine beachtliche Bestandsdauer von 393 bis 1453. Nicht ohne Grund wird diese Zeitspanne herangezogen, um das gesamte Mittelalter zeitlich zu definieren.

Zur Erinnerung ein Rückblick: Die sogenannte Reichsteilung Roms in eine weströmische und eine oströmische Hälfte erfolgte im Jahre 395, weniger um das Ganze zu zerteilen, sondern mehr, um schlankere und handlungsfähigere Strukturen zur Erhaltung des schwächelnden Gesamtreiches herbeizuführen. Während die ewige Stadt Rom die Hauptstadt des weströmischen Teiles blieb, stieg Konstantinopel zur Hauptstadt des oströmischen Reiches auf. Das vormalige exilgriechische Byzantion (oder lateinisch: Byzantium) war zu Ehren des Kaisers Konstantin des Großen (270 – 337) umbenannt worden. Denn mit seiner „konstantinischen Wende“ hatte er das Christentum zur führenden Religion in Rom gemacht. Indem Christen seitdem die „Staatsreligion“ stellten, sahen sie sich übrigens vor dem Problem, eine Theorie zum legitimen Gebrauch von Waffen im Krieg zu entwickeln. Dies besorgte der im Jahre 430 gestorbene „Kirchenvater“ Augustinus mit seinem Konstrukt vom „gerechten Krieg“: Nach dieser Darstellung gilt derjenige Krieg als gerechtfertigt und gerecht, der einen Frieden herbeiführt.

Der im Jahre 395 abgetrennte Westteil des römischen Reiches war dennoch schließlich im Jahre 476 nicht mehr gegen die germanischen, gotischen und alemannischen Angriffe aus dem Norden zu halten. An die Stelle des letzten autochthonen Kaisers Romulus Augustulus trat der eingewandert assimilierte Germane („Flavius“) Odoaker, der sich jedoch sogleich dem oströmischen Kaiser unterstellte. Unter der Führung Konstantinopels erlebte das Römische Reich daraufhin noch einmal eine erhebliche Blüte. Verlorene weströmische Provinzen wurden zurückerobert, zwischen 528 und 534 kodifizierte Kaiser Justinian (527 – 565) den Corpus Iuris Civilis – eine Rechtsquelle, die bis heute in Europa juristisch erheblich nachwirkt! – und 537 ließ er den Rohbau der Hagia Sophia fertigstellen.

572 indes begann für Byzanz der Krieg im Osten gegen die Perser. Bis 650 schrumpfte das Byzantinische Reich infolge seiner zusätzlichen Konflikte im Nordwesten mit Slawen und Bulgaren und mit den arabischen Eroberern im Süden erheblich. Die dadurch erzwungene Reduzierung ihres Territoriums nutzen die Byzantiner gleichwohl zur internen Neuorganisation. Genau diese half ihnen dann im Schicksalsjahr 717/718, dem von Süden geführten Angriff der Araber auf ihre Hauptstadt – wie schon ausgeführt – erfolgreich zu trotzen. Entscheidender für die zumindest vorläufig nachhaltige Befriedung ihrer Grenzen zur arabischen Einflußsphäre hin war jedoch noch die Schlacht bei Akroinon 740, die den Byzantinern dann auf längere Zeit Sicherheit vor der islamischen Expansion brachte.

Erst mehr als dreihundert Jahre und viele territoriale Erweiterungen später, im Jahre 1071, erfuhr Byzanz erstmals wieder eine empfindliche militärische Schwächung seiner Position. Bei der Schlacht von Manzikert im Osten des Byzantinischen Reiches siegten die Seldschuken, mithin dasjenige Volk, das weitere zweihundert Jahre später, 1299, als Osmanisches Reich auf die Bühne der Weltmächte treten sollte. Wesentlich an dieser Niederlage war nicht nur, daß sich die Seldschuken (alias Osmanen, alias Türken) an der byzantinischen Ostgrenze der Verbreitung des Islam verpflichtet sahen. Noch folgenreicher war, daß diese verlorene Schlacht praktisch unmittelbar in den Ersten Kreuzzug 1095 bis 1099 mündete.

Papst Urban II. ließ sich nämlich von Byzantinern überzeugen, daß das Römische Reich insgesamt durch die islamischen Seldschuken und ihren Sieg gegen Byzanz gefährdet sei, weswegen er die christlichen Pilger Europas aufrief, sich zu bewaffnen und mit diesem Ersten Kreuzzug Byzanz zu Hilfe zu kommen. Urban II. war bei dieser Gelegenheit zugleich erfreut, daß er und nicht sein Gegenpapst Clemens III. (1084 bis 1100) von den Byzantinern um Hilfe ersucht wurde. Dies stärkte seine eigene Stellung als der wahre Papst. Ziel dieses Kreuzzuges sollte sein, Palästina zu erobern, was mit der Eroberung Jerusalems auch gelang. Der „gerechte Krieg“, den Augustinus 600 Jahre zuvor theologisch beschrieben hatte, wurde nun von den Kreuzrittern zur sogenannten Heidenabwehr instrumentalisiert.

Infolge des Ersten Kreuzzuges wurden rund um Jerusalem vier Kreuzfahrerstaaten gegründet. Das Königreich Jerusalem umfasste ungefähr das heutige Israel, das Fürstentum Antiochia den Nordlibanon, die Grafschaft Edessa das heutige Syrien und die Grafschaft Tripolis den Süd-Libanon. Um diese Staaten in ihrer Frontlage gegenüber den arabischen Mächten zu stützen, wurde 1147 bis 1149 der Zweite Kreuzzug durchgeführt, der allerdings ohne irgendeinen greifbaren Erfolg blieb. Im Gegenteil. 1187 eroberte der islamische Führer Saladin seinerseits dann sogar Jerusalem.

Ein Grund für die Schwäche des Zweiten Kreuzzuges im Osten mag gewesen sein, daß Papst Eugen III. schon 1146 vorsorglich allen potentiellen Kämpfern in Spanien gestattet hatte, nicht nach Palästina zu gehen, sondern im Westen die iberische Halbinsel gegen die dort ebenfalls expandierenden islamischen Mauren aus Nordafrika (Berber) zu halten.

Die Eroberung Jerusalems durch Saladin 1187 rief dann den Dritten Kreuzzug von 1189 bis 1192 hervor, der sozusagen mit einem Unentschieden endete. Auch dieses Patt allerdings sollte wieder nicht von Dauer sein. Papst Innozenz III. rief 1198 zum Vierten Kreuzzug auf, der im Oktober 1202 begann.

Der Plan dieser Kreuzritter, Jerusalem durch eine vorher strategische Einnahme Ägyptens zurückzugewinnen, scheiterte jedoch. Die Byzantiner verweigerten den Kreuzrittern bei Konstantinopel den benötigten Proviant. Namentlich die hoch verschuldeten Kämpfer aus Venedig, die Konstantinopel sowieso als Konkurrenten in der Ägäis und als Hemmschuh für den eigenen Handel im Schwarzmeerraum betrachtet hatten, fürchteten darum, die verheißenen Gewinne in Palästina nicht realisieren zu können. Sie wendeten sich daher gegen Konstantinopel selbst, um es auszurauben. Die Stadt wurde verwüstet. Auch die Spaltung der katholischen und der orthodoxen Kirche, die im Jahre 1054 mit dem Schisma – der gegenseitigen Verfluchung per Bannbullen – begonnen hatte und bis zum Jahr 1965 dauerte, war damit endgültig vollendet.

Ebenso, wie den damaligen Kreuzrittern durch den Handel mit dem Morgenland die unglaublichsten Reichtümer im Orient erreichbar schienen, strahlte (und strahlt) der europäische Nordwesten offenbar seinerseits mit Gewinnerwartungen unfaßbarster Arten in den Süden; man sieht sich in gewisser Weise an Samuel Butlers Utopia „Erewhon“ erinnert, demzufolge es immer gerade dort besser ist, wo man gerade nicht ist, also möglichst hinter den vertrauten Bergen, auf die man sonst blickt…

Das Byzantinische Reich zerfiel nach diesem Angriff Venedigs zunächst in drei Nachfolgestaaten. Deren stärkster, das Kaiserreich Nikaia, eroberte 1261 Konstantinopel noch einmal zurück. Gleichwohl vertraute man in Konstantinopel jetzt nicht mehr den vormals Verbündeten im Westen. Gegen die weiteren Angriffe der Araber und Osmanen blieb Byzanz daher nun alleine. Im Jahre 1291 eroberten islamische Mamluken Akkon und zerstörten in der Folge alle Burgen und Städte der Kreuzfahrerstaaten, um deren Rückkehr in den Orient endgültig unmöglich zu machen. Die Südausdehnung des christlichen Abendlandes war damit gestoppt. Die Schlacht auf dem (heute kosovarischen) Amselfeld von 1389 brachte im Norden nur noch einmal vorübergehende Entlastung auch für Byzanz gegen die Osmanen. Am 29. Mai 1453 fiel Konstantinopel endgültig in die Hände des Osmanen Mehmed II.

Die sogenannte „Türkengefahr“ von 1453 verband sich – nebenbei bemerkt – im Jahre 1455 im Basel und Straßburg bei den dortigen Eliten zu einem frühen ersten deutschen Nationalismus eigener Art; dort nämlich las man den wiederentdeckten Text „Germania“ des römischen Schriftstellers Tacitus aus dem Jahre 95, der in dieser Sichtweise des 15. Jahrhunderts den Deutschen eine Sonderstellung im Christentum zuordnete.

Umbenannt in Istanbul wurde die Stadt nunmehr das Zentrum des schnell wachsenden Osmanischen Reiches (1299 bis 1922). In der Literatur wird die Auffassung vertreten, der Islam habe sich bis zu den Kreuzzügen im wesentlichen deswegen nicht für Nordeuropa interessiert, weil man sich selbst kulturell dem Norden überlegen fühlte. Der Kampf mit den Christen habe dann aber zu diversen Einigungen unter zuvor zerstrittenen muslimischen Fraktionen geführt.

Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1922 und die Gründung der Türkei 1923 sind übrigens nicht nur wesentliche Mitursachen für die auf jeder Landkarte sichtbaren ‚unnatürlich geometrischen‘ Grenzziehungen zwischen Syrien, Iran und Irak, die wir heute kennen. Man geht sicher auch nicht fehl in der Einschätzung, daß die Funktionen Konstantinopels als eines breiten Grenzstreifens zwischen arabisch-islamischem Süden und christlich-europäischem Norden jedenfalls nach 1923 von der modernen Türkei unter Kemal Atatürk mit seinem konsequent laizistischen Staatsverständnis und seiner Westbindung in die NATO übernommen wurden.

Der Osmane Süleyman I. (1522 – 1566) war es jedenfalls, der dieses islamische Reich zu den Höhepunkten seines herrschaftlichen Einflusses führte. 1521 eroberte er Belgrad, 1522 wieder Rhodos und 1529 belagerte er Wien. Den zweiten Eroberungsversuch dieser Art unternahmen die Osmanen 1683 mit Prägekraft bis heute im Jahre.

Kurz: 717/718 in Konstantinopel, 732 bei Tours, 1187 in Jerusalem, 1389 im Kosovo, 1453 wieder in Istanbul, 1529 und 1689 in Wien – von den Rückeroberungen, Kreuzzügen, einem späteren Napoleon in Ägypten oder internen westlichen Schlachten in Tobruk 1941 und El-Alamein 1942 ganz zu schweigen; immer wieder läuft seit 632 eine konsequente Konfliktlinie zwischen dem Christentum im Norden und dem Islam im Süden. Die Verlockung, andernorts das eigene Glück zu finden, und die Möglichkeiten der Kooperation mit lokalen Machthabern andernorts schuf und schafft offenbar weit über Rohöl, Gewürze, Geschmeide und Bagdad-Bahn hinaus wohl immer wieder die historisch einschneidendsten Verwerfungen rund um das Mittelmeer.

6.) Zwischenergebnis

Europa scheint sich nach allem trotzdem (noch immer) nicht positiv selbst definieren zu können. Jahrhundertelang hat nur eine negative Abgrenzung nach Süden hin – mehr schlecht als recht; mal mehr, mal weniger – stattgefunden.

An die Stelle von Byzanz dürfte jedenfalls während des späten 20. Jahrhunderts wesentlich das weltweit etablierte fiat-money-System mit seinem erdölgestützten realwirtschaftlichen Bezug getreten sein. Die Industriestaaten haben das Öl aus denjenigen islamischen Ländern gekauft, die es aus ihren Böden gerade fördern konnten. Bezahlt wurde in US-amerikanischem Papiergeld, dessen Wert seit dem 15. August 1971 indes kontinuierlich verfällt. Der wenig nachhaltige Scheinreichtum der erdölfördernden Länder und ihrer nationalen Eliten ließ die historischen Nordausflüge des islamischen Einflußgebietes vorübergehend in Vergessenheit geraten. Nun aber verfällt dieses Bollwerk des Westens gegen den Süden zusehends.

Europa wird durch seine wenig funktionsfähige Europäische Union wirtschaftlich und politisch geschwächt. Gleichzeitig kommt die Kultur, gegen die sich Europa abgegrenzt hatte, nun in Gestalt ungezählter Migranten schier gegenständlich zu uns. Was tun? Kann sich Europa ohne ein positives eigenes Selbstbewußtsein überhaupt als Europa gegen die Ankommenden und ihre bisweilen sehr selbstbewußt verankerte Kultur behaupten? Zweifel sind angebracht.

7.) Sind Wertexport und Akzeptanzwerbung Bollwerke für den Frieden in Europa?

Es erscheint fraglich, ob sich „der Westen“ in Anbetracht der beschriebenen Situation im machtpolitischen Ernstfall erfolgreich als Bollwerk für unseren gewachsenen und gewohnten Lebensstil positionieren kann. Die geistigen Waffen der Überzeugung für ein besseres Leben im Wohlstand erscheinen erlahmt. Eine Akzeptanz oder gar kulturelle Adaptionen des Islam für eine gleichsam in spätkonsumistisch-beliebigem Multikulturalismus westeuropäischer Prägung verirrte Gesellschaft steht wohl nicht zu erwarten. Wenigstens drei Überlegungen stehen dagegen:

a.) Ein (geistig-kulturelles) Vakuum kann nicht expandieren; es reißt niemanden mit. Stattdessen implodiert Europa eher in der Erinnerung an seine vergehende Größe. Der Schlachtruf, nach dem der Islam zu Deutschland gehöre oder ein Teil von Deutschland sei, ist nach allem offenkundig ahistorisch und faktenblind. Schon seine Formulierung, der zufolge es nur einen einzigen Islam gebe, kündet von einer wenig intellektuellen Durchdringung der beifallheischenden Floskel.

b.) Namentlich Deutschland als territoriale Zentrale Europas ist ebenso deutlich wie nachhaltig geschwächt. Der geographische und ökonomische Kern Europas ist somit nicht das stärkste, sondern im Gegenteil sogar das an Selbstbewußtsein schwächste Glied der europäischen Familie. Seine monetäre Stärke ist mit dem Wegfall der DM gebrochen; seine persistierende historische Schuld breitet sich inzwischen sogar auch schon auf seine Anrainer aus; das Verbot von Autokennzeichen in Österreich, die Assoziationen an ruhmlose deutsche Geschichte erwecken könnten, spricht für sich. Das negative Identitäts- und Motivationsnarrativ der Deutschen namens NS-Vergangenheit schwächt heute alle Europäer. Anders als noch viele US-Bürger, die an das pull-marketing von der größten Nation glauben, sind jedenfalls Deutsche und zunehmend Europäer von dem push-marketing eines „Hinweg von der Geschichte“ rein negativ motiviert; ihr Narrativ ist nicht die Verlockung, sondern das Erschrecken. Ein solches Vakuum expandiert nicht nur nicht, es saugt in seinem Implodieren sogar Energien ab.

c.) Europa ist aktuell im Rückmarsch gegen den Islam wie wohl nie zuvor in der Geschichte. Die christlichen Kirchen sind in ihrer Politisierung und parteipolitischen Instrumentalisierung als relevante, gesellschaftlich einende Kraft faktisch zerfallen. Der Euro schwächt die Wirtschaft. Es fehlt die Begeisterungsfähigkeit nach innen und nach außen. Der mehr und mehr aufkeimende interne Streit unter den dysfunktional zwangsvereinten EU-Mitgliedern wirkt heute wohl beinahe so destruktiv und kontraproduktiv wie weiland der Angriff Venedigs auf Byzanz.

Bezeichnend ist der Satz: ‚Die internationale Gemeinschaft ist zwar international, doch selten Gemeinschaft‘, gesagt von Michael Wolffsohn im „Handelsblatt“ am 31.01.2016.

III. Schlußbemerkungen

Aus allem folgen – grob – fünf zielstellende Überlegungen:

1.) Wir Europäer müssen Europa neu erfinden, als Bürger, als Menschen, als dezentral und selbständig denkende Individuen. Wir müssen definieren, wer wir sein mögen. Wir müssen den Mut haben, uns unseres eigenen europäischen Verstandes zu bedienen. Wir müssen die Kraft (wieder-) gewinnen, uns zu unseren eigenen Werten zu bekennen und sie zu leben, ohne uns dabei auf anmaßende staatliche und überstaatliche Institutionen zu verlassen.

2.) EU-Bürokratie kann nicht leisten, heterogenen Gesellschaften eine identitätsstiftende Kultur zu empfehlen oder gar zu verordnen. Beamte haben nie etwas erfunden, konstruktive Kreativität gehört – bei aller Raffinesse eines Staatsapparates bei der abgabentechnischen Abschöpfung fremder Arbeitsfrüchte – nicht zu den Chancen politischer Verwaltung.

3.) Es bedarf einer europäischen Öffentlichkeit, die nicht zentral und interessegeleitet gesteuert ist. Sie (aus Gründen der eigenen Machtabsicherung) nicht gefördert zu haben, ist eine elementare Sünde des politischen Establishments in Europa. Diese europäische Öffentlichkeit darf auf Dauer nicht der bequemen Versuchung erliegen, ihre Stärke daraus zu gewinnen, Deutschland unter persistierendem Hinweis auf den unehrenhaften Teil seiner Geschichte zu schwächen. Die europäische Öffentlichkeit darf sich auch nicht selbst moralisch dadurch zu erhöhen versuchen, fremde Schuld als eigene anzunehmen und diese nun realpolitisch abtragen zu wollen. Wer blind ist für die Geschichte, der kann die Zukunft nicht gewinnen; doch wer die Schockstarren der Vergangenheit nicht überwindet, der kann sich auch nicht zum Wohle aller neu orientieren. Vergeben kann man sich nicht selbst, sondern nur anderen. Europa insgesamt hat nach allem auch ein ganz eigenes Interesse, Deutschland und seiner Geschichte gegenüber Nachsicht walten und den Blick in die Zukunft wagen zu lassen.

4.) Wenige europaweit bekannte EU-Politiker und EU-Verwalter und/oder einige etablierte „Staatsschauspieler“ ersetzen keine gemeinsame Bühne für eine Gesamtidentifikation. Vor uns liegt die Aufgabe, positive Beispiele für europäische Persönlichkeiten zu finden, die das zu formulierende europäische Narrativ lebendig erzählen können.

5.) Unsere gewachsene mediterrane Kultur – vielleicht sogar nach dem byzantinischen Dreiklangmuster aus christlichem Glauben, griechischer Kultur und römischer Verwaltung – kann sich auf Dauer nur behaupten, wenn sie sich selbst und selbstbewußt definiert. Zu den elementarsten Grundbausteinen eines solchen erfolgreichen Europa gehören die Herrschaft des verläßlichen Rechts, der Abschied vom unverläßlichen Primat der Politik und die Definition eines erkennbaren gegenständlich-territorialen Raumes, innerhalb dessen all das stattfindet. Denn das hilft – im beiderseitigen Befriedungsinteresse – zuletzt sogar allen Nachbarn, die dann wissen, worauf sie sich einstellen können.

***

Gesetzgebungsmacht: Die Versuchung, über das Unverfügbare zu verfügen

Vortrag für die XI. Gottfried von Haberler-Konferenz
29. Mai 2015, Universität Liechtenstein, Vaduz

I. Einleitung

Der Ausgangspunkt aller nachfolgenden Überlegungen ist wesentlich dieser: Eine jede (natürliche oder juristische) Person, die in der Lage ist, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen Regeln setzen zu können, steht unausweichlich in der Versuchung, ihre Regelungsmacht – gewollt oder ungewollt, bewußt oder unbewußt, in guter oder schlechter Absicht – zu überdehnen. Wird aber die Macht, einen bestimmten Gegenstand regeln zu können, über das Maß des Vernünftigen hinaus genutzt (um nicht zu sagen: mißbraucht), dann drohen allen Beteiligten daraus nachteilige Konsequenzen: Die Regelunterworfenen werden der schlechten Regel nicht freiwillig folgen; die zu regelnde Lage verschlechtert sich gegenüber dem Zustand, in dem sie sich befand, bevor sie geregelt wurde, noch weiter; der Regelgeber verliert sein Ansehen, verbindlich Regeln setzen zu dürfen; zuletzt stehen alle Beteiligten vor der Aufgabe, nicht nur die (ihnen allen vielleicht unterdessen vollständig entglittene) regelungsbedürftige Materie neu ordnen zu müssen, sondern auch vor der weitaus umfassenderen Notwendigkeit, die Person des künftigen Regelsetzers neu zu bestimmen.
Unter der Annahme, daß alles menschliche Leben in gesellschaftlichen Kontexten gewisser Regeln bedarf, um die gegenseitigen Erwartungen aneinander befriedend zu stabilisieren, erscheint die Untersuchung der Frage sinnvoll, über welche Regelungsinhalte ein Regelgeber überhaupt tatsächlich sinnvoll (d.h. auf lange Sicht wirksam) verfügen kann.

Die Erörterung dieser Thematik samt aller ihrer Vorfragen setzt allerdings zunächst eine Verständigung über die verwendeten Begriffe voraus, um sicherzustellen, daß die erarbeiteten Kerngedanken auch allerorts in den zutreffenden Kontext gestellt sind….

[Den vollständigen Text lesen Sie in meinem am 24. Februar 2016 erschienenen Buch „Die Würde des Menschen im Gesundheitssystem”]

Medizinrecht: Wenn der Staat beim Sterben hilft

Recht und Gesetz sagen uns, wie wir uns richtigerweise zu verhalten haben. Juristische Normen legen damit Standards fest, an denen sich unser Handeln orientieren soll. Handeln in diesem Sinne ist nicht nur aktives Tun. Auch ein bloßes Nichtstun kann ein Handeln im juristischen Sinne darstellen. Strafrechtliche Lehrbücher erklären diesen Zusammenhang oft mit dem Beispiel einer Mutter. Bei ihr macht es offenkundig keinen Unterschied, ob sie ihren neugeborenen Säugling aktiv tötet oder ob sie ihn, selbst völlig passiv bleibend, verhungern lässt. In beiden Fällen hat sie gleichermaßen rechtsrelevant gehandelt und sich wegen einer Tötung strafbar gemacht.

Für Ärzte am Sterbebett eines Patienten ergeben sich aus dieser Gleichstellung von Tun und Unterlassen oft schwierigste Verhaltensprobleme. Denn die zentrale Frage, mit der Ärzte dort konfrontiert werden, lautet: Welches medizinische Handeln ist geboten, um abwendbare Lebensgefahren abzuwehren, ohne zugleich einen aussichtslosen Kampf gegen Unabwendbares zu führen, der tatsächlich nur das Leiden des Sterbenden vermeidbar verlängert? Diese Frage zu stellen, heißt praktisch einzuräumen, dass es wirklich richtige Antworten hier kaum geben kann. Denn im Angesicht des Todes stehen Arzt und Patient nur allzu oft in einem Raum der Unsicherheiten, der keinerlei feste Orientierung bietet.

Je weniger sicheres Wissen Menschen aber über eine bestimmte Situation haben (und haben können), desto spekulativer muss ihr Verhalten werden. Wo wir nicht an Gewissheiten anknüpfen können, da sind wir für unsere weiteren Entscheidungen und unser weiteres Handeln auf bloße Annahmen und Vermutungen zurückgeworfen. An die Stelle des klaren Wissens treten das Meinen und das Abschätzen. Ob eine bestimmte Gefahr für Leib und Leben des Patienten prognostisch noch anzuwenden sein wird oder ob es gegen sie keine wirksamen medizinischen Mittel mehr gibt, bleibt im Unklaren. Trifft der Arzt in dieser Lage die Entscheidung, einen objektiv aussichtslosen Kampf zu führen, verlängert er das Leiden seines Patienten. Gibt er den Kampf indes zu früh auf, stirbt unter Umständen ein Mensch, der noch hätte gerettet werden können.

Wer bestimmt die Mittel?

Technische Fortschritte der Medizin haben das Arsenal potentiell möglicher Maßnahmen gegen den bevorstehenden Tod eines Menschen inzwischen gleichsam unabsehbar erweitert. Man wird kaum fehlgehen mit der Feststellung, dass heute ein jeder Tod eines jeden Menschen mit bereits existierenden medizinischen Mitteln mindestens noch verzögert werden kann. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, wer über eine solche Herauszögerung des Todes und insbesondere über den hierfür erforderlichen Mitteleinsatz zu befinden hat.

Belässt man die Befugnis zur Entscheidung über diese Frage im Zuständigkeitsbereich des Arztes, dann vergrößert man zwangsläufig den Bereich derjenigen Verhaltensunsicherheiten, in denen er sich ohnehin bereits befindet. Denn die technische Grenzverschiebung der Rettungsmöglichkeiten, die weit in den Raum der Unsicherheit über die tatsächliche Lage hineinreicht, erweitert die ärztlichen Handlungs- und mithin Entscheidungsspielräume unausweichlich. Was der Arzt richtigerweise zu tun und was er zu unterlassen hat, verunklart sich erheblich.

„Wer hat über die Herauszögerung des Todes zu befinden?“

Im Gegenzug lassen sich diese Handlungsnöte eines Arztes am Sterbebett allerdings deutlich reduzieren, wenn Recht und Gesetz in dieser Lage genau demjenigen eine größere Mitsprachebefugnis über die anstehenden Abläufe zugestehen, den es unmittelbar selbst angeht: Den sterbenden Patienten. Wer, wenn nicht er, soll am ehesten legitim über Situationen entscheiden, in denen niemand, auch kein Arzt, verlässliche Tatsachenfeststellungen und Zukunftsprognosen liefern könnte? Wenn richtig ist, dass es der Patient ist, der über jedwede medizinische Maßnahmen oder Nichtmaßnahmen bis an die Grenze von Impfzwang und Quarantänepflicht in freier Willensbestimmung zu entscheiden hat, dann muss auch richtig sein, ihn im Angesicht seines eigenen Todes relevant über einsetzende oder ausbleibende Rettungsmaßnahmen bestimmen zu lassen.

Indem der deutsche Gesetzgeber im Jahre 2009 mit der Einführung von § 1901a BGB die Möglichkeit schuf, eine sogenannte „Patientenverfügung“ zu errichten, erweiterte er somit nicht nur die rechtlich verbindlichen Entscheidungsbefugnisse für einen jeden Patienten. Die Möglichkeit, als Patient im Vorhinein bestimmte ärztliche Heileingriffe rechtswirksam zu untersagen, führte für jeden Arzt auch zu der Reduzierung seiner eigenen Handlungsnöte am Sterbebett. Weite Teile des Prognoserisikos, wie sich eine bestimmte gesundheitliche Krisensituation künftig mutmaßlich entwickeln werde, sind nunmehr, eine sorgsame Patientenverfügung vorausgesetzt, von dem Arzt auf den Patienten verlagert. Hat der Patient verfügt, gewisse Rettungsmaßnahmen künftig definitiv nicht zu wünschen, ist der Arzt von der Last befreit, für den Patienten entscheiden zu müssen. Heilung und Rettung zu versuchen, wo er es als Arzt vielleicht noch für hoffnungsvoll hielte, kann ihm nun definitiv verboten sein, wo und wenn der Patient es so gewollt und niedergeschrieben hat.

„Sozialversicherungsrechtliche Gesetze können die Verlängerung von Menschenleben behindern“

Kritiker haben gegen derartige Patientenverfügungen zwar eingewandt, künftige Patienten seien sich zum Zeitpunkt der Abfassung einer solchen Verfügung oft gar nicht der Bedeutung und Tragweite ihrer medizinischen Festlegungen bewusst. Diese Bedenken greifen aber, genau betrachtet, im Ergebnis nicht durch. Denn von der Anstrengung, über die eigene Gesundheit nachzudenken und sich möglichen Fragen einer künftigen Behandlung zu stellen, kann und sollte ein verantwortungsbewusster Mensch nicht entbunden werden. Im Gegenteil: Je existenzieller die Probleme sind, mit denen im Rahmen einer Therapie umgegangen werden muss, desto größer ist das Bedürfnis, über sie von dem betroffenen Patienten selbst entscheiden zu lassen, statt die wirklich schwergewichtigen Antworten dann von Angehörigen oder gar Fremden erwarten zu wollen. Jeder, der seinen Körper und seine Gesundheit ernst nimmt, hat also Anlass, durch sorgsame Gespräche mit den Ärzten und, nötigenfalls, Juristen seines Vertrauens gewissenhafte Formulierungen zu finden. Immerhin kann er im Falle des Falles durch solche Klarstellungen auch ganz maßgeblich die Gewissen seiner Nächsten entlasten.

Während die zivilrechtlichen (und in der Folge auch die strafrechtlichen) Verhältnisse zwischen Arzt und sterbendem Patienten daher nun mit jener Gesetzesregelung in § 1901a BGB einer ebenso sinnvollen wie rechtsethisch anerkennenswerten Präzisierung zugeführt wurden, belastet eine andere Schwierigkeit wiederum genau diese medizinische Behandlungsbeziehung. Denn das Hinauszögern eines Todes bzw. der Versuch, die Verlängerung eines Menschenlebens zu erreichen, werden durch die sozialversicherungsrechtlichen Gesetze in Deutschland einer anderen, rechtsethisch äußerst problembehafteten Perspektive unterworfen.

Kann der Patient selbst entscheiden?

Ob ein medizinischer Eingriff durchgeführt wird oder welche von mehreren alternativ in Betracht kommenden ärztlichen Maßnahmen verwirklicht werden, bestimmt nach gefestigter zivil- und strafrechtlicher Rechtslage in Deutschland in erster Linie der Patient selbst. Solange er wachen Geistes ist, hat er von seinem Arzt aufgeklärt und gefragt zu werden, was sein Wille als Patient ist. Auch die objektiv unvernünftige Entscheidung des Patienten, einen bestimmten ärztlich angeratenen Eingriff nicht durchführen zu lassen, muss akzeptiert werden. Kein Erwachsener darf gegen seinen Willen einer Operation unterzogen werden.

Anders ist die Rechtslage jedoch für jeden „Pflichtversicherten“ in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Maßgabe des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Nach diesen sozialversicherungsrechtlichen Regeln sind der Wille des Patienten und seine freie Willensbestimmung hinsichtlich der Durchführung oder Nichtdurchführung bestimmter medizinischer Maßnahmen praktisch unbeachtlich. Ist das „Pflichtversicherungsverhältnis“, also der gesetzliche Zwang, an der öffentlichen Krankenversorgung teilzunehmen, einmal begründet, so bestimmen sich alle Inhalte der medizinischen Behandlung nach dessen internen Regularien. Gefragt wird dort nicht, was der Patient wünscht oder welche Behandlungsmaßnahme er und sein Arzt einer anderen vorziehen. Maßgebend ist allein, dass die ausgewählte und durchgeführte Behandlung ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist, wie § 12 Abs. 1 SGB V bestimmt.

Was im Einzelnen diesen Kriterien genügt, definiert der sogenannte „Gemeinsame Bundesausschuss“, der aus Vertretern von Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Spitzenvertretern der Krankenkassen gebildet wird. Er beschließt nach § 92 Abs. 1 SGB V die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung der ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen medizinischen Versorgung der Versicherten.

„Unser Staat hilft durch sozialversicherungsrechtliche Gesetze beim Sterben“

Zu diesen Richtlinien gehören unter anderem auch diejenigen über eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung. § 92 Abs. 7b SGB V bestimmt dabei: „Vor der Entscheidung über die Richtlinien zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 14 ist den maßgeblichen Organisationen der Hospizarbeit und der Palliativversorgung sowie den in § 132a Abs. 1 Satz 1 genannten Organisationen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.“ Der in jener Vorschrift genannte § 132a Abs. 1 SGB V besagt unter anderem: „Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene haben […] gemeinsam Rahmenempfehlungen über die einheitliche Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abzugeben; für Pflegedienste, die einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts oder einem sonstigen freigemeinnützigen Träger zuzuordnen sind, können die Rahmenempfehlungen gemeinsam mit den übrigen Partnern der Rahmenempfehlungen auch von der Kirche oder der Religionsgemeinschaft oder von dem Wohlfahrtsverband abgeschlossen werden, dem die Einrichtung angehört. Vor Abschluss der Vereinbarung ist der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in den Entscheidungsprozess der Partner der Rahmenempfehlungen einzubeziehen.“

In den Händen des Bundesausschusses

Im Zusammenspiel mit der Richtlinie über die erwartbare Krankenhausbehandlung nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V wird hier also von dem Gemeinsamen Bundesausschuss faktisch abschließend vorgegeben, welche medizinischen und pflegerischen Maßnahmen für pflichtversicherte Sterbende erbracht werden dürfen und welche nicht. Die Einschätzung der konkreten Lage am Sterbebett und der Umfang entsprechend ergriffener Rettungsmaßnahmen werden damit schlussendlich weder von dem Patienten selbst, noch von seinem anwesenden Arzt vorgenommen. Gilt eine bestimmte Maßnahme nach den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses daher generell als unwirtschaftlich, unzweckmäßig oder übermäßig, dann greift § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der besagt: „Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“

Was demnach im Gefolge eines Beschlusses durch den Gemeinsamen Bundesausschuss abstrakt-generell als unwirtschaftlich gilt, muss ärztlich unterlassen werden. Der gesetzliche Befehl an den Arzt, passiv zu bleiben, ist sozialversicherungsrechtlich verbindlich, auch wenn durch dieses Unterlassen der Todeszeitpunkt für den Patienten unausweichlich näher rückt. Die generelle Zielstellung aus § 1 Satz 1 SGB V wird konkret und praktisch verdrängt. Sie lautet: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“

Indem der Staat mit dem gesetzlichen Versicherungszwang für seine Bürger unausweichlich macht, sich diesen medizinischen Richtlinien zu unterwerfen, fördert er nicht nur deren Gesundheitsversorgung auf der einen, sondern begrenzt er auch den Umfang ihrer potentiell lebenserhaltenden Behandlungschancen auf der anderen Seite. Da das eine nicht ohne das andere zu erreichen ist, bleibt die rechtsethische Frage, ob ein Staat seine Bürger zur Teilnahme an einem bzw. zur Unterwerfung unter einen derartigen Sachzwang wirksam verpflichten kann. Gute Gründe sprechen dafür, dies zu verneinen. Denn wenn ein Staat seine Bürger anerkanntermaßen schon nicht gegen deren Willen zu objektiv sinnvollen medizinischen Eingriffen zwingen kann, warum sollte er dann legitim befugt sein, sie in Zweifelfällen zwingen zu dürfen, bestimmte lebensrettende Maßnahmen nicht ergreifen zu können? Solange diese Frage nicht allgemein akzeptabel beantwortet ist, müssen wir uns eingestehen, dass unser Staat durch verbindliche sozialversicherungsrechtliche Gesetze beim Sterben hilft. Jeden Tag. Überall im Land. Für die überragende Mehrzahl aller Bürger, die in einer gesetzlichen Krankenkasse „pflichtversichert“ sind.

Dieser Artikel ist zuerst in der Novo-Printausgabe (#119 – I/2015) erschienen.

The Germans – Scattered Souls Dissolving into Irrelevance

Introduction: A fictitious first landing on the moon in 2014

What would happen if Neil Armstrong landed on the moon in 2014 for the first time? He would, of course, plant a flag on her surface, just as he did in 1969! Stars and stripes would somehow flutter over the lunar craters just as we all saw it 45 years ago.

If it weren’t American astronauts landing there in 2014 but astronauts of other nations, what would they do? British astronauts for example would self-evidently fly the Union Jack and Turkish astronauts a Turkish national flag – what else?

But would German astronauts hoist a German national flag if they landed there? That is obviously unthinkable. That leads to the question: What else would, prospectively, happen in such a case?

I think it is highly probable that we would face these five events:

1.)  At first German astronauts (Kevin and Mehmet) would heave out a massive big black concrete cube from their spaceship, place it in the sand and then lay down a wreath right beneath it to remember all dead of the second world war (maybe the first as well, you never know).

2.) Secondly they would fasten a commemorative plaque to the reverse side of this cube as a warning to future generations to –please! –reconstruct the entire world climate of 1850 at the latest by 2050.

3.) Following this they would open the black cube’s top and fill in a sum of 150 Billion Euros in freshly printed bank notes as a special reserve to safeguard any future moon currency from turbulences and collapse plus an additional guarantee bond in writing (signed by the chancellor herself) that promises to pay another 270 Billion Euro in case other nations should not land there and fulfill similar obligations.

4.) Finally, after having worked through all those steps very seriously and consequently within the given time-schedules, the captain of this German spaceship (named ‘dove 1’ or ‘pigeon alpha’ but never ever ‘eagle’ or ‘buzzard’ or ‘falcon’) would look into his onboard-camera and address mankind directly. He would send his greetings from the moon as a peaceful and sustainable European and then ask for forgiveness for not yet having built (as the world can see on screen in the background) a wind power plant over there.

5.) After this ceremony we certainly would see humanity worldwide answering the Germans. Who could doubt that within the first hour afterwards the main representatives of mankind (i.e. Ban Ki-moon, the Dalai Lama, Christine Lagarde, Bob Geldof and – maybe – the surgeons of Angelina Jolie) would post their comments on twitter and facebook? They would congratulate the astronauts for their technical craftsmanship, express joy over that non-violent, peaceful and ecologically valuable behavior; but it is foreseeable that they would also mention a slight disappointment because “We would have expected a little more effort and eagerness to succeed from our German friends”.

Main Part: Searching for the reasons of a bewildered German soul

Why do Germans act like that? And why aren’t all those hard efforts ever enough for the world?

1.)  The German landscape: A country without (natural) borders

There are no natural borders that could substantially define the beginning or ending of “Germany” on the European countryside. A few kilometers seaside in the north do not give the faintest understanding of a natural backing like, for example, a British soul can have on its island. No mountains frame this German soul either. Looking on the map even the Spanish, the Italians, the French, not to speak of Icelanders, Maltese, Irish or Sicilians have their clear borders and their safeness: This is my land, here it begins and here it ends. The national anthem of Germany sings of a country in between four rivers (Maas, Memel, Etsch, Belt). But even those rivers have no political meaning today. At the most the river Rhine gives some sparse hold to the idea of where Germany could, topographically, begin. All the rest is a result of partly historically, partly arbitrarily set frontiers. Looking down from the moon you can see no nature-given shape at all that would surround Germany.

2.) The German vegetation: Forest and fear

Those territories that we know as “Germany” today were – in history – areas of endless forests. Not even the Roman Empire was able to cultivate the land east of river Rhine (or interested in doing so). Entering those territories was life-threatening, not only for strangers but for “Germans” as well. Even in his century Richard Wagner still described those forests as home of the dangerous lindworm-dragon. That means: Not only strangers, but also the Germans themselves found that their homeland was a place of uncertainty; that means: We see a kind of nature-given homeland insecurity! No wonder the Romans tried to fence these dangers off by building their “limes”! Those forests are the cause of “German Angst” of course, even in the (somewhat funny-paradox) form of “Waldsterben”. Grandfather had to flee from the lindworm in 1890; father went to the forest by car in 1930 for the weekend; and the grandchild of 1980 fears the withering of trees. May nobody ever declare that Germans have no sense of humor!

3.) Intensifying the feeling of uncertainty by means of younger history

Today’s Germans are a kind of conglomeration of Germans, Goths, Alemannians, Teutons, Bavarians and a countless number of other tribes (and their derivates) that we cannot even name precisely today. All these groups of people were – in the long run – assembled and united, partly willingly, partly unwillingly, under the Name of “Deutschland”. At the end of 1871 this state became the so called “late nation”, putting together all kinds of different cultures, weakly held together by a (more or less) common language.

It becomes obvious, regarding this, that there is not a lot of common ground for the development of a strong sense of community. And it becomes clear as well that of all things especially this lack of community was to be of crucial importance in the darkest hour of German history. Because a politician who spoke of nothing else than of such a people’s community named “Volksgemeinschaft” could easily address their deepest longings. The crowd that had just lost its unifying “Emperor” figure hungered and thirsted for new form of identification. In the end (and as the consequence) of all those national socialist perversions, we know things got even worse. Because the local transfer from Russians on to Polish ground, from Polish on to German ground and from Germans into a narrowed “Bundesdeutschland” after 1945, by Churchill and Stalin according to the Potsdam-Treaties, diminished the idea of defined people on a defined land moreover.

4.) Insertion: Micro- and Macro-Mentalities

Germany harbors two very special forms of mentalities that have to be differentiated.

a.) Some 15 years ago lawmakers renewed the procedural rules for lawyers in Germany. Until then I was allowed to work inside one court district only. Afterwards lawyers were enabled to work at (nearly) any court in Germany. This new rule gave me the opportunity to (a) fight for justice anywhere and (b) buy a new faster car, both of which did instantly. Some clients then sent me to courts I had never been to before. My experiences since that time cover a core area that has a radius of approximately 150 kilometers. And my initial assumption that clients, judges and lawyers who speak the same German language, who refer to the same German law and who live at the same time inside the same country… in one word: the assumption that these people would have to have an awful lot of things in common, turned out to be definitely wrong! I saw completely different modes of behavior and perspectives in a court near the Dutch border (in Kleve) on the one hand, and – for example – in Dortmund on the other. Whereas the court personnel in rich rural areas behave friendly and cooperative, the personnel in the big working-class cities appear to be nearly impudent and without any polite manners. Those areas where people have had plenty of food and wealth over generations are still the friendly and relaxed places; where there used to be a shortage of means and regional overpopulation in the past those are still the uninviting and uncomfortable courts and processes. Meanwhile I am sure: These micro-mentalities are very durable and they do not die out within one or two generations. They are – on the contrary – everlasting.

The differences between the old German tribes and their views though seem to continue to exist. You can have an appointment with someone in the northern Rhineland at “around 11 o’clock” and that will make it probable that both persons participating will meet between 10.40 an 11.20. But you cannot ask to meet someone from Stuttgart any other way than, say, “at 10.55” or “at 11.05”. This is a certain insight not only for regions hundreds of kilometers apart but also for regions that are only 20 kilometers distant from each other. The atmosphere at court in Kleve is more similar to that in Münster than in Dortmund, although Dortmund is situated midway between the two! German micro-mentalities exist in geographical spots and patches.

That leads to the understanding: Different German regions have their micro-mentalities.

b.) But there is also the greater German macro-mentality:

aa.) No matter what part of Germany you are in: Germans are somehow proud of the quality and perfection that characterize their products. I call it the “Made-in-Germany-habit”. We are better at producing things than others. We can organize them better. In a way we are perfect ourselves.

bb.) But – astonishingly – this very macro-mentality of pride has another fascinating downside! If one German wants to say something very rude and unfriendly to another German he uses the commonly established (and legally not [yet?] punishable) insult of something being “typically German”.  That indicates and leads us to a very strong and dominant German feeling: Germans as a whole feel a lot self-hatred.

5.) Searching for the reasons of German’s self-hatred

As we have seen, Germans do not have a strong topographical backing for any self-confidence. But the uncertainty coming from this is enforced by the specific German history. Other than American or French citizens who (with or without reason) develop positive patriotic feelings when looking at their national flag, Germans cannot do so. They have to take the collective blame for their history. In consequence of that they cannot develop a positive sense of community.

Germans cannot be commonly motivated by turning them all together towards a (positive) idea. To the contrary: Germans can only be motivated all together by turning them away from the (negative) history they share as community of joint heirs sui generis. And so this community of uncertain souls is always busy escaping from the bad – instead of positively seeking the good.

Even if these Germans are confronted with something positive that they could enjoy altogether, for example a football-world-championship, they wave their national flag definitely only for this specific purpose. After the end of the games all flags disappear. And – as a latest development – they shorten the name of their nation from “Deutschland” to “Schland”!

Germans do not love Germans as a whole. And that leads to the paradox that the best and most positive Germans are those who are mostly Non-Germans. The motivation pattern to flee from the bad (instead of longing for the good) has – in combination with the specific pride of being somewhat perfect – led to the obstinate belief that nothing and nobody has ever been or could ever be worse than the Germans in history. Looking at the flag that a German astronaut though would never plant on the moon: If any participant in a political party meeting today waves the official national flag of Germany with the colors that are defined in our German constitution, the whole meeting is defined as a right-wing event at once.

6.) Acceleration factors for the dissolution of Germany

Anti-German Germans are on their way to create this specific good German who is a Non-German. Only a Non-German can be a good German. And that means, of course, that any German has to become a European German as soon as possible. Every factor that slows down this process is a negative factor and indicates the beginning return of bad historical experiences. Consequently the warning of dangers concerning the Euro-currency must be seen as a movement away from the good towards the bad. That gives the whole discussion more and more the character of a religious war instead of a rational discourse. The fewer of the historic murderers are still alive, the more intensely the fight against their crimes is fought. Konrad Lorenz probably would have named that a specific kind of displacement activity.

Why has this scheme of political correctness become so strong within the last 20 years? I believe the atmosphere of our political discourse in Germany has changed so negatively because the seat of the German government was moved from Bonn to Berlin in 1991. Because of that the micro-mentality of Berlin now governs the mood-making media for the whole macro-mentality of Germany.

Johann Wolfgang von Goethe already knew: „Es lebt dort ein so verwegener Menschenschlag zusammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten.“ People in Berlin are outrageous. Being polite does not lead you to anything over there. You have to have a sharp tongue. Otherwise you will be destroyed.

For nearly a quarter century the governing personnel of Germany has been recruited largely from Berlin and the surrounding areas. Consequently the tone of government has changed. The leading persons are no longer the tolerant people from the Rhineland area who have designed the old Bonn Republic of 1949.

The micro-mentality of Berlin is “Orders are orders!”. That was the spirit of the Prussian Soldier-King, the spirit of the last German Emperor, it was the spirit of National Socialism and it was the spirit of the fenced-in socialist GDR. They all ruled from a seat in Berlin.

This is the spirit that tells all present-day Germans to be good Non-Germans. And it also is the spirit that shapes the European Union. If the Germans stick to these given harsh rules they will be dissolved as a nation and in the end get lost as scattered individuals.

Conclusions

These days the Germans “morgenthau” themselves. Instead of a simple ruralization we see a differentiated colonization.

The banking union in Europe will lead to an average equality on the level of Bulgaria. What we see is the Bucharestization of our continent.

The perspectives of people who want to aspire to something better are declining. Excellence is washed out of our communities.

Since we all have to be glad – as Germans – to have the Euro and the miraculous benefits of the Martin-Schulz-based beauty of governance we should be happy to commit national suicide as unworthy people.

In a museum in Bonn I recently saw a video about the Vandals. They began their historic move on today’s territory of Poland, went through Germany, France and Spain, set over to northern Africa, travelled on eastward and shipped again in a northerly direction; in the end they reached the island of Corsica and – died.

Maybe simple historic irrelevance for the Germans is even sweeter that the death. But in both cases you, my audience, can call yourself proud to having seen one of the last of these central European human dinosaurs speaking about his people.

« Newer PostsOlder Posts »
Druckversion
Impressum | Datenschutz