Meine Frau weiß: Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen. Das aber könnte sich bald ändern. Denn der Gesetzgeber beabsichtigt, die Wahlfreiheit des Bürgers in Geschlechterfragen gewissen Einschränkungen zu unterwerfen. Das Zauberwort hierzu heißt: „Antidiskriminierungsgesetz“. Und das Zauberwort ist spannend. Denn Antidiskriminierung ist nicht einfach nur ein langes Wort mit relativ vielen „i“. Antidiskriminierung ist vielmehr eine Geisteshaltung. Eine Weltanschauung.
Wir erinnern uns. Diejenigen, die im Sozialkundeunterricht gut aufgepaßt haben, werden es wissen. In unserer Verfassung heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Wer in der Schule weniger gut aufgepaßt hat, der sagt: „Alle Menschen sind gleich“. Im Alltag haben sich die Unterschiede zwischen den beiden Merksätzen verwischt. Irgendwie ging es von einem bestimmten Zeitpunkt an nur noch um „Gleichheit“.
Alle waren jetzt gleich. Und das war gut so. Wer vor Gericht stand, wurde behandelt, wie alle anderen auch. Wer einen Antrag bei der Behörde stellte, wurde behandelt, wie alle anderen. Egal, was sie dachten, was sie glaubten, woher sie kamen, in welcher Sprache sie redeten oder welchen Geschlechtes sie waren. Alle mußte gleich behandelt werden.
Dann – niemand weiß genau, wann – geschah etwas Neues. Ein Arbeitgeber wollte eine Schwerbehinderte nicht einstellen, weil er fürchtete, sie könnte nicht dauerhaft für ihn arbeiten. Ein Vermieter wollte einem Interessenten seine Wohnung nicht vermieten, weil er dessen Sprache nicht verstand. Eine strenggläubige ältere Dame mochte ihr Haus nicht an eine vermögende, aber alleinerziehende Mutter verkaufen. Ein fremdländischer Taxifahrer fand den Gedanken unangenehm, einen Skinhead durch die tiefe Nacht zu chauffieren.
Die Behinderte, der Fremdsprachige, die Alleinerziehende und der Skinhead fanden kurze Zeit später zusammen. Sie erzählten sich ihre Geschichten. Und sie lasen in unserer Verfassung. Was sie fanden, empörte sie: Sie waren alle nur „vor dem Gesetz“ gleich. Nicht aber vor dem Arbeitgeber, vor dem Vermieter, vor der Hausverkäuferin und vor dem Taxifahrer. Also,
sagten sie, wollen wir nicht nur vor den Behörden und den Gerichten gleich behandelt werden. Wir möchten auch vor allen anderen Bürgern „gleich“ sein. Da rief der Skinhead, er fühle sich diskriminiert. Dagegen müsse etwas geschehen. Schon war der Gedanke von der Antidiskriminierung geboren.
Nun dauerte es nicht lange und sie hatten ein neues Wort für ihre Forderung gefunden. Etwas, was noch besser ist, als Gleichberechtigung: Gleichstellung. Der Staat, sagten sie, muß dafür sorgen, daß alle immer überall jedem gegenüber gleichgestellt sind. Sie schrieben in die Verfassung, der Staat müsse das fördern. Und schließlich schufen sie den Entwurf eines Antidiskriminierungegesetzes. Sie träumten davon, daß jede Stadtverwaltung so lange nur Frauen einstellen dürfe, bis genausoviele Frauen wie Männer dort arbeiten. Und genauso viele Weiße wie Schwarze, Behinderte wie Nichtbehinderte, Skinheads wie Nichtskinheads. Jeder und jede muß also alles mit allen immer genau gleich machen. Erst dann sind alle Menschen wirklich gleich. So sagten sie.
Und ich? Ich warte seither auf die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungs-Richtlinie in das deutsche Recht. Zwar gefällt mir nicht, demnächst vielleicht aus rechtlichen Gründen abwechselnd mit Frauen und Männern schlafen zu müssen. Aber die Aussicht, dann endlich auf dem Behindertenparkplatz vor meinem Büro parken zu können, macht mich tief, tief glücklich.