Bürokraten am Krankenbett

Carlos A. Gebauer

Ein stechender Schmerz im Unterbauch riß Ludger B. jäh aus seinem Schlaf. Hilflos blickte er in den frühen Sonntagmorgen und rieb sich den nichtendenwollenden Krampf. Während seine Frau kurz darauf den Wagen unter dem Krankenhaus parkte, notierte der diensthabende Arzt: Unklare Diagnose. Gegen Nachmittag fand Ludger B. langsam wieder Ruhe in einem Krankenbett. Zehn Tage intensiver Untersuchungen später wurde er – beschwerdefrei – entlassen. Die Ursache seiner Leiden blieb unaufgeklärt.

Nur durch Zufall erfuhr er drei Jahre später, welchen Umfang seine Krankenakte späterhin noch angenommen hatte. Denn: Ludger B. ist gesetzlich krankenversichert. Eigentlich hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht, daß bei allen Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten seines Lebens nie nach einem gefragt worden war: Nach Geld. Stets hatte er nur seinen gesetzlichen Krankenversicherer nennen und seine Versichertenkarte zeigen müssen. Alles andere geschah von selbst. Jedenfalls hatte Ludger B. das Gefühl, es geschehe von selbst. Tatsächlich lagen die Dinge auch dieses Mal anders. Denn das Krankenhaus sandte die Rechnung für seine Behandlung auch in diesem Falle an seine Krankenversicherung. Und der dort zuständige Sozialversicherungsfachangestellte entwickelte Zweifel: War die stationäre Behandlung des Ludger B. wegen Bauchkrämpfen an zehn Tagen tatsächlich erforderlich gewesen? Er wußte es nicht. Denn er war kein Arzt. Aber Zweifel hatte er dennoch. Also tat er, was zu tun war. Er beauftragte die Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen mit einem Gutachten.

Einige Monate später erschien ein Gutachter des Medizinischen Dienstes in dem Krankenhaus. Er nahm Einsicht in die Krankenakte von Ludger B. und meinte: Wegen bloßen Bauchkrämpfen muß niemand zehn Tage im Krankenhaus liegen. Das hätte man kostengünstiger ambulant erledigen können. Die Krankenhausärzte waren erstaunt. Erst kürzlich war ein Kollege wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafe und Schadensersatz verurteilt worden, weil er einen Patienten mit unklarem Befund nach Hause geschickt hatte. Macht nicht, sagte der Gutachter. Hier ist ja nichts passiert. Die Rechnung wird nicht bezahlt.

Das Krankenhaus reichte die Akte an einen Rechtsanwalt. Der erhob Klage für das Krankenhaus gegen die Krankenkasse. Knapp anderthalb Jahre später trug der von dem Sozialgericht bestellte Obergutachter Prof. Dr. R. seine sachverständige Ansicht zu dem Fall mündlich vor. Er erklärte, die Krankenhausärzte waren damals aus ihrer Sicht zutreffend von einem stationären Behandlungsbedarf ausgegangen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes entscheiden die Krankenhausärzte aus der jeweiligen Situation heraus, was medizinische notwendig ist. Nicht Jahre später ein Gutachter der Krankenkasse, der den Patienten nie sah. Und vor allem nicht mit seinem späteren Wissen, wie sich die Sache weiter entwickelte.

Drei Sozialrichter verurteilten also die Krankenkasse zur Zahlung an das Krankenhaus. Die Krankenkasse legte Berufung ein. Das Berufungsgericht mit seinen fünf Richtern wies die Berufung zurück. Die Kasse mußte Zahlen.

Jetzt, drei Jahre nach seinem Krankenhaus-Aufenthalt, saß Ludger B. mit einem Schulfreund in der Kneipe. Der arbeitete seit kurzem in dem Krankenhaus und hatte die Akte von dem Anwalt zu seinem Archiv zurückgesandt erhalten. Zwei Gutachter, acht Richter, vier Anwälte und ungezählte Sozialversicherungs- wie Justizangestellte kannten nun den Bauch von Ludger B. Gut, dachte er, daß ihn das alles nicht gekostet hatte.

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