von Carlos A. Gebauer
Ein Bekannter meint, der Konsum von Marihuana dürfe niemals legalisiert werden. Denn eine Unzahl von Juristen verlöre die Möglichkeit zu den spannendsten Diskussionen. Seine Frau jedoch glaubt, diese Diskussionen hätten einen anderen Hintergrund. Sie ist überzeugt, Ursache für viele Grabenkämpfe im Betäubungsmittelrecht sei, daß es zwei Sorten von Richtern gäbe: Die einen rauchten Gras und die anderen wollten genau das bekämpfen. Ich persönlich halte für völlig ausgeschlossen, daß ein deutscher Richter persönlich jemals mit Betäubungsmitteln auch nur in Kontakt gekommen sein könnte. Dennoch muß ich gestehen, daß die Literatur zu diesem Lebensbereich gewisse Besonderheiten aufweist.
Kürzlich hatte sich das Bundesverfassungsgericht wieder mit Cannabis zu befassen. Genauer gesagt: Mit 3,6 Gramm Cannabis aus der Hosentasche eines 20jährigen. Was war geschehen? Polizisten hatten den Mann kontrolliert, den Stoff sichergestellt und Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigte, die Sache mit geringem Erledigungsaufwand abzuschließen und beantragte bei dem zuständigen Amtsgericht den Erlaß eines Strafbefehls. (Das ist die unaufgeregteste Variante, eine Straftat zu sanktionieren. Der Täter bekommt Post, verzichtet auf Einspruch, zahlt eine Geldstrafe und gut ist.) Aber die Staatsanwaltschaft hatte ihre Rechnung ohne das Amtsgericht gemacht. Dort war nämlich ein Richter zuständig, der Cannabis-Delikte augenscheinlich als nicht strafwürdige Lappalie ansieht. Er unterschrieb also den Strafbefehl nicht, sondern bestimmte Termin zur Hauptverhandlung.
In der Hauptverhandlung war der Angeklagte geständig und das Gericht regte eine Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld an. Das wiederum gefiel nun der Staatsanwaltschaft nicht, die ihre Zustimmung hierzu verweigerte. In dieser strafprozessualen Situation, die Kartenspielern das Wort „unentschieden“ auf die Zunge zaubern könnte, zog das Amtsgericht gleichsam den außerordentlichen Joker der konkreten Normenkontrolle. Nach dem Grundgesetz nämlich kann ein Gericht in einer Art Zwischenstreit das Bundesverfassungsgericht fragen, ob eine bestimmte verfahrensentscheidende Gesetzesbestimmung verfassungswidrig ist. Genau so geschah es hier. Nachdem es rasch Gutachten des Bundesgesundheitsministeriums und die Stellungnahmen einiger internationaler Sachverständiger zu der Frage eingeholt hatte, wie die Wissenschaft derzeit über Cannabis denke, erließ das Amtsgericht einen sogenannten Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht.
Nur knapp zweieinhalb Jahre später entschied das Bundesverfassungsgericht bereits, daß es sich mit der Sache inhaltlich nicht auseinanderzusetzen habe. Denn der Vorlagebeschluß war unzulässig, weil das Amtsgericht gewisse Formalien übersehen hatte. Im übrigen wies es darauf hin, daß das soziale Leben von den sozialschädlichen Wirkungen des Umganges mit Drogen freigehalten werden sollte. Überdies sei der Gesetzgeber frei, Cannabis und Alkohol unterschiedlich zu behandeln (2 BvL 8/02).
Nach Lektüre solcher Entscheidungen verrühre ich den Saft einer Limette, frische Minzblätter, braunen Zucker, Eiswürfel und Sprudelwasser in einem Glas, fülle es auf mit Rum und wiederhole den Vorgang so lange, bis ich nicht mehr lesen kann.