Dazuverdienendürfen

von Carlos A. Gebauer

Konfuzius war ein großer Philosoph. Über den Staat sagte er, der sei in Gefahr, wenn die Begriffe in Unordnung gerieten. Dann sagen die Menschen nicht mehr das, was sie meinen, und sie meinen nicht mehr das, was sie sagen.

Wer diese Erkenntnis bezweifelt, der kann sie schnell in seinem persönlichen Lebensbereich überprüfen. Er muß nur beim nächsten Mittagessen beschließen, Messer als Gabeln, Gabeln als Löffel und Löffel als Messer zu bezeichnen. Wenn er dann mit der Familie den Tisch deckt, wird er verstehen, worum es geht.

Was am eigenen Eßtisch leicht verständlich ist, wird problematisch, sobald es um abstraktere Begriffe geht. Dann nämlich gilt es nicht mehr nur Teller und Schüsseln auseinanderzuhalten, sondern äußerst wolkige Phänomene zu unterscheiden. Solidarität zum Beispiel, oder Angemessenheit, Belastungsgrenzen, Rechte und Erforderlichkeiten. Wer hier nicht messerscharf definiert, denkt und redet, der handelt blitzschnell an allen Problemen vorbei.

Damit aber bei weitem noch nicht genug. Denn oftmals wird gerade die gedankliche Unschärfe eines Begriffes von Menschen ausgenutzt, die uns zu bestimmten Glauben verführen wollen. Das wissen wir spätestens seit George Orwells Roman „1984“.

Kürzlich saß ich mit meinem Freund Michael H. zusammen und wir sprachen über Arbeitslosigkeit. Michael H. ist ein schlauer Mann mit stets klarem Blick auf die Welt. Er berichtete mir von einem ehemaligen Angestellten. Der habe ihm berichtet, was er als Arbeitsloser – so wörtlich – „dazuverdienen darf „. Auf meine Frage, ob er denn wisse, wie hoch genau dieser Betrag sei, den ein Arbeitsloser dazuverdienen dürfe, meinte Michael H. jedoch, er erinnere sich nicht mehr an Details.

Was folgte, waren kritische Momente für unsere Freundschaft. Denn ich warf ihm vor, unüberlegt das Opfer einer begrifflichen Verwirrung geworden zu sein. Ein Arbeitsloser nämlich „darf“ so viel verdienen, wie er will. Niemand verbietet ihm, alles Geld der Welt sowohl zu verdienen, als auch „dazu zu verdienen“. Allenfalls werden ihm dann weitere Leistungen aus der Gemeinschaftskasse versagt. Warum sollte er die auch weiter bekommen? Er hätte ja selbst verdient.

Tückische begriffliche Hürden wie diese, daß vermeintlich verboten wäre, bestimmte Beträge zu verdienen, liegen wie grippale Gliederschmerzen auf den meisten Sozialstaats-Diskussionen. Wer da fordert, es müßten „soziale Errungenschaften“ verteidigt werden, der mag zunächst berichten, wer wann mit wem in welchem Ring worum gerungen hat. Wenn er erklärt hat, welcher Ringkämpfer wem was entwunden hat, dann erst kann sinnvoll diskutiert werden, ob er es behalten darf. Wer glücklich ist, „keinen Cent dazubezahlt zu haben“, der mag aufgefordert werden, zu erzählen, wozu genau er nichts bezahlt hat und wer statt seiner für den Rest aufgekommen ist. Und wer den „Sozialklau“ beklagt, der müßte zuerst beschreiben, wer der Dieb ist, den es zu halten gilt, und was der wem entwendet hat. Dann wird zu entscheiden sein, ob es einer Ergreifung des Täters bedarf. Gabeln wir also unsere Probleme zuerst auf, bevor wir versuchen, sie andere auslöffeln zu lassen!

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