FrEUheit, GleichhEUt, BrEUderlichkeit

Zwei europäische Tage mit meiner Lokalzeitung

Früher sah ich immer gerne „Wer dreimal lügt“ im Fernsehen. Der Sender präsentierte sechs absurd erscheinende Kurzreportagen und fragte dann, welches die drei wahren und welches die drei unwahren Geschichten gewesen seien. In Erinnerung geblieben ist mir beispielsweise, daß ein Blumenhändler in Holland – angeblich – Rosen in Dosen verpackte, um sie dann auch außerhalb der Saison unverwelkt verkaufen zu können. So und so ähnlich waren die Geschichtchen gestrickt.

An dieses Fernsehformat fühlte ich mich am 10. und 11. April dieses Jahres wieder erinnert, als ich in meiner Lokalzeitung von neuen EU-Rechtsquellen las. Nachdem man dort „in Brüssel“ bekanntlich verfügt hatte, daß Kulturorchester künftig nur noch eingeschränkt Musik von Wagner, Bruckner und Mahler interpretieren dürfen, weil die einfach zu laut komponiert haben, traf der allerbrandneueste Gag der eurokratischen Legislatur jetzt die bundesdeutschen Mattscheiben: Das EU-Parlament habe, hieß es, die EU-Kommission aufgefordert, ein Gesetz auszuarbeiten, demzufolge ARD und ZDF nur noch unsynchronisierte Filme und Beiträge in der Originalsprache mit deutschen Untertiteln senden dürften.

Am selben Tage berichtete meine Lokalzeitung darüber hinaus, ein CDU-Politiker namens Dieter-Lebrecht Koch, seines Zeichens EU-Parlamentarier und Mitglied des dortigen Verkehrsausschusses, wolle ein weiteres Projekt dringend vorantreiben: Werde der Airbag eines Autos unfallbedingt ausgelöst, setze ein Bordsystem sogleich einen Notruf ab. 112 bestelle also automatisch Hilfe an den Ort des Geschehens.

Nun erscheinen Höchstlärmgrenzen für Kulturorchester, Synchronisationsverbote für Fernsehsendungen und Zwangs-sms aus satellitengeorteten Pkws mir allesamt als Grotesken, die – verglichen mit Rosen in Dosen – das dreimalige Lügenkontingent des seinerzeitigen Fernsehformates bereits vollständig ausgeschöpft hätten. Doch die Rechtslage in der real existierenden EU ist inzwischen augenscheinlich weiter fortgeschritten, als es sich die Unterhaltungsabteilungen von Fernsehanstalten je hätte ausmalen können.

EU-Parlament und EU-Kommission wissen einfach besser, was für unsere Körper gut ist, als wir selbst. Also spielen Kammermusiker mit Ohrstöpseln und Pkw-Käufer erwerben ab 2010 gleich noch ein hochmodernes Zwangsautotelefon mit. Wie sagt Dieter-Lebrecht Koch: „Autofahrer sollten sich fragen, ob ihnen die Sicherheit nicht mehr wert ist als zum Beispiel teure Alufelgen“. Und wir fragen Dieter-Lebrecht zurück: Warum sollten Autofahrer sich diese Frage stellen? Sie ist doch von der EU schon beantwortet! So gibt die EU also – nach eigener Schätzung – statistisch jedes Jahr rund 2500 Verunglückten ein neues (nennen wir es einmal so:) Leberecht. Denn so viele Menschen müssten sterben, kämen die Sanitäter ohne Zwangs-sms zu spät.

Welcher EU-Bürger wird zweifeln: Aus der Gruppe der jährlich 2500 Geretteten werden nach nur wenigen Jahren Hunderte und Tausende neue Pflegebedürftige definiert werden, die – multimorbid und generalinsuffizient – weitere Gesetze einfordern. Da zeichnet sich doch gleich wieder legislativer Handlungsbedarf ab. Oder halten Sie für erträglich, daß ein durch lautstarke Airbag-Explosion schwerhörig gewordenes Unfallopfer keine Chance mehr hat, den Walkürenritt live zu hören, weil der zu leise gespielt wird?

Doch zurück zu unseren Fernsehgeräten. Wie reagierte „die Öffentlichkeit“ auf den heraufdrohenden Zwangs-Fremdsprachenunterricht aus dem unsynchronisierten TV? Und hier wird das Spiel nun erst wahrhaft spannend. Die EU-Medienkommissarin (jaja, so etwas gibt es) Viviane Reding ließ durch ihren Sprecher (jaja, so einen hat sie) Martin Selmayr mitteilen, es handele sich um ein „interessantes politisches Signal, das es ernst zu nehmen gilt“. Würden nun also bald tatsächlich Taube und Schwerhörige besser teilhaben können an Filmen in fremder Zunge?

Statt derartige Gesetzesvorhaben als den blanken Unsinn zu verspotten, der sie sind – und als der sie sich tags darauf erwiesen – wurden zunächst ernsthaft Erwägungen in diese Richtungen angestellt. Kurz: Man traute den EU-Spezialisten tatsächlich zu, über eine derartige Regel zu sinnieren. Und mein erster Gedanke war: Wie schützen wir nur die vielen Millionen Analphabeten in Deutschland, denen nun durch eine fehlende Synchronisation die Chance genommen würde, Filmen mit unlesbaren Untertiteln in fremden Sprachen zu folgen? Würden sie Vorleser gestellt bekommen, die die EU bezahlt? Vielleicht umgeschulte Mitarbeiter von insolventen Alufelgenherstellern? Wird man Mankell-Krimis künftig noch in Deutschland verfilmen dürfen – auf Deutsch?

Mir wurde jedenfalls schlagartig klar, daß wir in Europa weit mehr Video-Überwachungen brauchen. Besonders in EU-Amtsstuben. Um dort mehr Material für tolle neue Sendungen „Wer dreimal lügt“ zu filmen. Denn musikalische FrEUheit und GleichhEUt vor dem TV und BrEUderlichkeit in der 112 werden „in Brüssel“ einfach immer anders interpretiert, als wir das bislang kannten. Das Reservoir der Absurditäten ist einfach unerschöpflich. Endlich mal ein Gut, das definitiv nicht knapp ist. Wir sollten es zur Energiegewinnung einsetzen. Ich finde, dies ist ein interessantes politisches Signal, das es ernst zu nehmen gilt. Hat jemand eine Idee zur Umsetzung?

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