von Carlos A. Gebauer
Die Präsidentin des Landgerichtes E. ist eine Frau mit Perspektiven. Sie möchte vorankommen und Präsidentin des Oberlandesgerichtes K. werden. Hierzu brauchte sie ein Zeugnis ihres Dienstvorgesetzten, des Oberlandesgerichtspräsidenten aus H. Der schrieb ihr ein – wie die regionale Presse weiß – im Grunde hervorragendes Zeugnis. Leider aber endete er mit der Bemerkung, sie wäre illoyal, habe kein Zeitmanagement und es ermangele ihr an Wahrheitsliebe.
Weil nun Außenstehende diese Formulierungen vielleicht dahin deuten könnten, die Präsidentin sei chaotisch und lüge bisweilen, sah sie sich zur Verteidigung gezwungen. Nicht zuletzt drohte ihr auch der Verlust des angestrebten Amtes, nämlich dann, wenn dieses von dem mitbewerbenden Präsidenten des Landesjustizprüfungsamtes D. errungen würde.
Sie tat also, was zu tun ist, und klagte bei dem zuständigen Verwaltungsgericht G. gegen das ihr erteilte Zeugnis. Die angerufenen Richter des Verwaltungsgerichtes ihrerseits taten, was geboten war, und erhoben den schwierigen Beweis über die Frage von Lüge und Wahrheit.
Im Kern gab es differierende Erinnerungen zweier Herren über den Inhalt eines bestimmten Gespräches. Der eine Teilnehmer dieses Gespräches war just jener Präsident, der das streitige Zeugnis abgefaßt hatte. Der andere Herr war ein Mitarbeiter des Landesjustizministeriums. Weil die Herren beharrlich Verschiedenes bekundeten, sah sich das Verwaltungsgericht genötigt, beide mit ihren Erklärungen unter Eid zu nehmen. Denn der zeugniserteilende Präsident hatte schließlich ein gewisses eigenes Interesse, sich nicht mit seinem eigenen Tun in Widerspruch zu setzen. Dies kann erfahrungsgemäß die Wahrheitsliebe schmälern. Desgleichen sahen die Verwaltungsrichter Anlaß, auch den Herrn aus dem Ministerium besonders genau zu befragen. Denn er ist der Lebensgefährte der sich um berufliches Fortkommen bewerbenden Frau Präsidentin. Und auch dies ist bekanntlich zuweilen der Wahrheitsliebe nicht förderlich.
Die dann unter dem Schwur erklärten Erinnerungen über das streitige Gespräch wichen wohl immer noch voneinander. Daher drängte sich für die Beteiligten ein Verdacht auf. Und der hieß, einer der beiden muß die Unwahrheit gesagt, im Volksmund: gelogen haben.
Was also konnte nur die Konsequenz dieser Zeugenvernehmung und ihres Ausganges sein? Die Akte bekam jetzt – wie es Juristen in ihrer blumigen Sprache gerne umschreiben – einen roten Deckel, das heißt: Es ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes der eidlichen Falschaussage.
Als ich meinem Nachbarn all dies erzählte und ihm berichtete von den Germanen, die unter Eichen sitzend reimten „Aus dreier Zeugen Mund wird stets die Wahrheit kund!“, da erboste er sich über die Justiz. Das, meinte er, könne doch wohl alles nicht wahr sein. Ich aber beruhigte ihn: Ist es nicht im Gegenteil gleichermaßen schön wie beruhigend, zu sehen, daß auch bei der Justiz richtige Menschen arbeiten?