Carlos A. Gebauer
Sachfremde Erwägungen anzustellen, gilt unter Juristen eigentlich als Sakrileg. Als Einstellungsvoraussetzung für eine Grundschullehrerin beispielsweise darf nicht entscheiden, ob sie schön ist. Sondern maßgeblich ist, ob sie die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat. Und eine Baugenehmigung muß erteilt werden, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Ob der Leiter des Bauamtes ein Freund des Bauherrn ist, spielt keine Rolle. Und so weiter. Und so fort.
Es gibt allerdings Fälle, in denen pikanterweise gerade solche sachfremden Erwägungen auch von Juristen ganz ernsthaft in den Mittelpunkt aller Diskussion gestellt werden. Es sind dies die Fälle arbeitsrechtlicher Kündigungen. Hier gilt, daß ein Bewerber zwar nach dem Kriterium eingestellt wird, ob er die von ihm verlangte Arbeit erbringen kann. Beendigt hingegen wird das Arbeitsverhältnis nach einem anderen Kriterium. Nämlich nach der Frage, ob die Kündigung „sozial gerechtfertigt“ ist.
Die Stoßrichtung dieser Regelung aus dem Kündigungsschutzgesetz ist klar: Wer einmal „Arbeit“ hat, der soll sie möglichst behalten. Ob der dann aus solcherlei sozialen Gründen weiterbeschäftigte Arbeitnehmer etwas kann und tut, was dem Unternehmenszweck seiner Firma dauerhaft dient, bleibt weitgehend außer Betracht. Im firmeninternen Wettbewerb um das betriebliche Bleiberecht mit anderen Kündigungskandidaten entscheidet gnadenlos die Sozialauswahl unter den betrachteten Mitarbeitern und also eine „sachfremde Erwägung“.
Über den Hintergrund muß man nicht lange spekulieren. Selbstverständlich ragt auch hier der „Sozialstaat“ wieder tief in den argumentativen Raum.
Doch das „Sozialstaatsprinzip“ ist nicht das einzige Prinzip, das unsere Verfassung mit Liebe verfolgt. Bekanntlich schützt der deutsche Staat zugleich auch die natürlichen Lebensgrundlagen. So nimmt durchaus Wunder, warum nicht auch dieses Staatsziel längst ergänzend Einzug gehalten hat in unser bundesdeutsches Arbeitsrecht. Insbesondere ließe sich eine zeitgleiche Umsetzung der Ideale von „Arbeit und Umwelt“ perfekt damit erreichen, daß man den Umweltschutz zum Regelungsgegenstand auch des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes machte. Das Kündigungsschutzgesetz müßte nur ergänzt werden, etwa mit der Formulierung: „Die Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer ist rechtsunwirksam, wenn der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sie nicht rechtfertigt.“ Solange man danach nur nicht zur ausgewiesenen „Öko-Sau“ würde, bliebe der Arbeitsplatz sicher.
In Landschaftsrahmenplänen könnten Richtlinien für rechtmäßige Kündigungen niedergelegt werden. Ebenso auch, wie Betriebsräten Widerspruchsrechte zustehen, könnten dem Betriebsbeauftragten für den Umweltschutz Einspruchsrechte gegen Kündigungen zugeordnet werden.
Je mehr aber über sachfremde Erwägungen gestritten wird, desto weniger spielen sachgerechte Argumente noch eine Rolle. Zum Beispiel die, ob mit einem Kollegen überhaupt noch sinnvoll zusammengearbeitet werden kann. Möglicherweise war dies auch für Juristen ursprünglich der Grund, sich sachfremden Erwägungen gegenüber so skeptisch zu zeigen. Wie sähe unsere Welt aus, wenn nur noch schöne statt kluge Grundschullehrerinnen Kinder unterrichten und nur noch Freunde des Baudezernenten in Häusern wohnen? Wahrscheinlich würde das Soziale leiden. Spätestens in künftigen Generationen.