von Carlos A. Gebauer
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück ist möglicherweise ein kluger Mann. Kürzlich ließ er verlauten, er wolle nun eine neue Experten-Kommission einberufen. Diese solle einen „Ethik-Kodex“ vorbereiten, der sich – neben anderen wichtigen Themen – zu den Gehältern für Manager verhalte.
Der Feld-, Wald- und Wiesen-Konsument alltäglicher Agenturmeldungen wird diese Mitteilung – ebenso wie ihr Bahn-, Bus- und Schreibtisch-Konsument – wahrscheinlich gelesen und durch die sinnreichen Raster seines Ultrakurzzeitgedächtnisses sofort in den Papierkorb verschoben haben. Aus Gründen, die mir unklar sind, blieb mein Blick aber auf auf dieser Nachricht kleben. Ein Gefühl sagte mir: Irgendetwas war hier besonders. Ich hielt inne und besann mich.
„Ethik“ klingt gut und „Kodex“ wirkt auch nicht gefährlich. Grobe Vorstellungen davon, was ein Ethik-Kodex sein könnte, stellten sich zügig ein. Angestrebt war offenbar eine Art Benimm-Regelung. Trotzdem blieb eine Art Hilflosigkeit. Ich beschloß, die Sache systematisch anzugehen. Ein in Fragen der Philosophie und des Rechtes beschlagener Freund half.
Wir taten zunächst für einen Augenblick so, als verstünden wir „Ethik-Kodex“ so wenig wie beispielsweise „Tetropotassiumpyrophosphatsodiumbenzoat“. Wir zerlegten den Begriff also zur Aufklärung in seine Teile und stellten fest: Ethik ist die Wissenschaft vom guten Handeln und ein Kodex ist ein in sich abgeschlossenes Regelwerk. Plötzlich lichtete sich der Nebel unseres zögernden Unverständnisses und wir fragten: Was legitimiert eigentlich den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes, Philosophen zu versammeln, um Leitlinien für eine moralisch wertvolle Manager-Vergütung zu finden? Uns war klar: Nichts!
Nach dem Verfassungsrecht kommt Ministerpräsidenten die Aufgabe zu, an Staatsgewalten teilzuhaben. Staatsgewalt verwirklicht sich in Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsakten und Gerichtsentscheidungen. Nirgendwo aber wird ein Ministerpräsident aufgerufen, durch Expertenkommissionen Maßstäbe für menschliches Handeln außerhalb dieser Staatsgewalt setzen zu lassen. Die Einsetzung einer solchen Kommission ist daher nichts anderes, als etwa die Einberufung einer Konferenz internationaler Schneider zur Neuregelung von Üblichkeiten zum Krawattenbinden oder die Einholung eines Gutachtens über aktuelle Haarschnitt-Konventionen. Der Ministerpräsident ist hier nirgendwo berufen, zu handeln.
Es bleibt die Frage, was ihn dennoch antreibt. Möglicherweise hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, die der Regelungs- und Bestimmungsmacht von Staat und Politikern nicht zugänglich sind. Möglicherweise hat der Ministerpräsident erkannt, daß man die höchstindividuelle Zahlungsbereitschaft von Menschen für bestimmte Leistungen mit Gesetzen ebensowenig erreicht, wie man beispielsweise Appetit auf Äpfel an jedem Dienstag dekretieren kann. Möglicherweise hat er gelernt, daß eine Spitzenvergütung mit Gesetzen genausowenig mit Erfolg nach oben limitiert werden kann, wie die Höhe eines Mindestlohnes nach unten. Möglicherweise verbreitet sich auch das Wissen, daß man die Leidenschaft eines Ausbilders ebensowenig herbeiverfügen kann, wie das Geld für eine Lehrlingsvergütung. Und möglicherweise will der Ministerpräsident in weiser gesetzgeberischer Zurückhaltung einfach nur das Vernünftige mit der Kraft einer überzeugenden Begründung, statt mit Staatsgewalt aussprechen. Dann wäre er möglicherweise ja tatsächlich ein kluger Mann.