Fiskalische Nächstenliebe

Carlos A. Gebauer

Steuern zahlen zu müssen, ist ärgerlich. Noch ärgerlicher ist, selbst Steuern bezahlen zu müssen, während man andere kennt, die keine Steuern zahlen. Wie aber mag sich erst einer fühlen, der Steuern nur deswegen zahlt, weil ein anderer genau diese Steuer nicht bezahlt? Man glaube nicht, das wäre unmöglich. Im deutschen Steuerrecht ist alles möglich. Alles. Wirklich: Alles.

Der Hauseigentümer B hatte sich schon lange über seine Terrasse geärgert. Sie war schief, feucht und unansehnlich. Eines Tages hatte B genug gespart und wandte sich an den Bauunternehmer U. Schon nach einer ersten Besichtigung wurden B und U handelseinig. U versprach, die Terrasse zu richten. Sie sollte trocken gelegt, eingeebnet und mit einem hübschen Dachvorsprung versehen werden. Gegen alle Befürchtungen von B begannen die Arbeiten zügig, wurden rasch durchgeführt und schon nach wenigen Wochen saß B in seinem neu hergerichteten Garten. Glücklich. Die Rechnung von U über immerhin 16.000,– EURO überwies B nur wenige Tage später. Dies schien ihm nur recht und billig, denn schließlich hatte auch U seine Leistungen unverzüglich und gut erbracht. Alles schien gerichtet.

Aber einige Monate später kam Besuch. Der Finanzbeamte F stand bei B vor der Tür und begehrte zweierlei: Erstens Einlaß und zweitens 2.400,– EURO. B hatte nämlich einen Fehler gemacht. Er hätte dem zwischenzeitlich insolventen und ausgewanderten U nicht ohne weiteres 16.000,– EURO bezahlen dürfen. Das war rechtswidrig. So jedenfalls sagen die Paragraphen 48 bis 48d des Einkommensteuergesetzes in ihrer Fassung nach dem Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe. Mit anderen Worten: Hätte B die Änderungen des Einkommensteuergesetzes durch ständige Lektüre des Bundesgesetzblattes gelesen, wären die Kosten seiner neuen Terrasse für ihn nicht auf jetzt insgesamt 18.400,– EURO gestiegen.

Was war geschehen? Irgendjemand – wir wissen nicht, wer – muß dem Gesetzgeber verraten haben, daß die generelle Steuerbelastung in Deutschland eher hoch ist. Und irgendjemand – wir wissen nicht, wer – muß auch verraten haben, daß Bauarbeiten deswegen bisweilen „schwarz“ ausgeführt werden. In Reaktion auf diesen ungeheuerlichen Vorgang war der Gesetzgeber also geradezu gezwungen, zu handeln. Zu seinem Bedauern war es angesichts der knappen Personaldecken in den Finanzämtern nicht möglich, jeden deutschen Bauarbeiter täglich und ganztägig von einem Beamten begleiten zu lassen. Also verdoppelte der Gesetzgeber einfach seine Steuerpflichtigen, indem er den Bauherrn B neben dem Unternehmer U verpflichtete, auch dessen Steuern mit zu bezahlen. Der B hätte dem U selbst richtiger Weise nur 85% seiner Rechnung bezahlen dürfen. Wegen der restlichen 2.400,– EURO war der B – wie jeder Bauherr – verpflichtet, das zuständige Finanzamt des Bauunternehmers zu ermitteln, bis zum 10. Tag des Folgemonats nach Bezahlung eine Steueranmeldung auf dem richtigen Formular vorzunehmen und den Restbetrag auf das Konto des Finanzamtes unter Angabe der Steuernummer des U zu zahlen. So einfach geht das. Über das Internet kann sogar jeder das nach der Umsatzsteuer-Zuständigkeitverordnung ausnahmsweise zuständige Finanzamt ermitteln, wenn sein U ein Ausländer sein sollte. Alles ist geregelt.

Wenn B demnächst seinen Dachstuhl renoviert, wird er gewiefter vorgehen. Denn jetzt weiß er: Entweder, er besteht auf Vorlage einer amtlichen Freistellungsbescheinigung des Handwerkers oder er vermietet den Dachstuhl zuvor an einen Freund. Dann schützt ihn das Kleinvermieterprivileg vor der Haftung für fremde Steuern. Nie aber wird er F verraten, daß der ihm vielleicht sogar 2.784,– EURO hätte abverlangen können. Aber alles muß man auch nicht sagen. Nicht alles. Wirklich: Nicht alles.

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