Rechtschreibungsrecht

von Carlos A. Gebauer

Es gibt Themen, zu denen ist alles gesagt. Die Reform der deutschen Rechtschreibung gehört – scheinbar – dazu. Gerade diese Reform hat uns aber unbemerkt auch ganz neue rechtsstaatliche Erkenntnisse darüber verschafft, was wahre Folgerichtigkeit ist.

So hieß es zunächst, daß folgerichtig sei, dem Känguruh sein „h“ zu nehmen, damit es – sozusagen von hinten – aussehe wie ein Gnu. Zugleich aber wurde der Kuh ihr „h“ gelassen. Früher hätte man das nicht folgerichtig genannt. Jetzt ist das anders: Eine kleine Stange ist kein Stengel mehr, sondern ein frecher Stängel. Trotzdem soll der Redner Sprache sprechen, nicht sprächen.

Mit dem nötigen politischen Willen also kann der totale Rechtsstaat seine juristischen Gesetze federleicht über die Gesetze der Logik erheben. Und weil bekanntlich gerade Ausnahmen stets die Regel bestätigen, läßt sich auch jede noch so offenliegende Inkonsequenz als heiligende Bestätigung der Regel feiern. Streng logisch.

In ähnlich rasant-argumentativer Logik verteidigte zuletzt ein Namenloser die Rechtschreibungsreform deswegen als bestandswürdig, weil sie doch eigentlich nur für Behörden und Schulen verbindlich sei. Jeder andere könne weiterhin orthographisch treiben, was er wolle. Bis dahin war mir unbekannt, daß die Geltung einer Regel damit verteidigt werden kann, im Grunde gelte sie eigentlich kaum.

Spätestens mit diesem Satz wurde aber die kulturell-ästhetische Diskussion auch zu einer manifest juristischen. Denn: Was ist eigentlich, wenn ein Schüler im Diktat ein „Känguru greulich“ findet und genau deswegen sitzenbleibt?

Wenn nicht mehr die Menschen einer Kulturgemeinschaft selbst über ihre Buchstaben entscheiden, sondern ihr Gesetzgeber, dann können wir eines sicher als nächstes erwarten: Ein Staat, der alle seine Gesetze leidenschaftlich gerne ändert, anpaßt, modifiziert und modernisiert, der wird selbstverständlich absehbar versucht sein, auch die Schreibweisen unserer Worte Jahr um Jahr neu zu justieren. Parteien werden nächtelang um Kompromisse ringen, wenn es gilt, die ausländerfreundlichste Variante des Wortes „Haimorrhoide“ zu bestimmen und die „Oberschine“ kann deutsch-französische Diplomantenkorps wochenlang beschäftigen. Jahr für Jahr werden dann neue Gesetzblätter und hieraus destillierte Duden Schulen neu diktieren, was in dieser Saison wie zu schreiben ist.

So grotesk oder absurd diese Spekulationen wirken mögen, eines sind sie: Folgerichtig! Warum? Ganz einfach. Kein Berufsstand beherrscht unsere Parlamente mehr, als der des Lehrers. Für jeden dieser Lehrer ist es geradezu eine Solidaritätspflicht gegenüber anderen Berufen, bald – genau wie Juristen – jedes Jahr neu nach der einschlägigen Vorschrift fahnden zu müssen.

Man halte jede Wette: Der gesetzlich verordnete Zwang zum jährlichen Dudenkauf wird zuletzt noch als beschäftigungspolitisch wertvoller Beitrag für die Buchindustrie gewertet werden. Spätestens dann wird wirklich alles zum Thema Rechtschreibung gesagt sein. Und das Parlament kann sich endlich anderen drängenden Gesetzesvorhaben widmen. Vielleicht dem Betonungs- und Aussprachegesetz. Oder der Verordnung über den Gebrauch von Eßbesteck. Oder einem Runderlaß über das wechselseitige Entkleiden zur Vorbereitung eines Geschlechtsverkehrs.

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