von Carlos A. Gebauer
Neulich nachts im Traum hörte ich eine Stimme. Sie sprach: Der Gesundheitsexperte der CSU, Horst Seehofer, fordert die Einführung einer Bürgerversicherung. Dann, noch immer halb schlafend, hörte ich weitere Stimmen, die über seine Vorschläge diskutierten.
Was mich aus dem Schlaf hochfahren ließ, waren nicht die Ideen Horst Seehofers selbst. Ihm traue ich nämlich inzwischen die Behauptung zu, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten. Beunruhigend war, daß seine Zuhörer ihn durchgängig als „Gesundheitsexperten“ bezeichneten. Wer aber, fragte ich mich, ist wirklich ein „Gesundheitsexperte“? Der ehemalige Verwaltungsangestellte des Landratsamtes Ingolstadt? Oder vielleicht – ein Arzt?
Aber auch dann, wenn man Herrn Seehofer richtigerweise als Politiker im Bereich des Gesundheitswesens bezeichnet, wird sein derzeitiges Eintreten für eine „Bürgerversicherung“ nicht weniger problematisch. Denn gerade als Verwaltungsexperte müßte er die seit Jahrzehnten tagtäglich erwiesene Unmöglichkeit erkannt haben, die Gesundheit eines Volkes effektiv behördlich mit Krankenkassen verwalten zu können. Selten ist dies klarer beschrieben worden, als in einem soeben veröffentlichten Urteil des Bundessozialgerichtes (Az.: B 3 KR 18/03 R). Hier lesen wir nun höchstrichterlich bestätigt folgendes:
Besteht zwischen einer Krankenkasse und einem Krankenhaus Streit darüber, ob der versicherte Patient tatsächlich stationärer Hilfe bedarf, muß die Kasse sofort umfänglich tätig werden. Sie muß (noch während der Patient vielleicht schmerzgebeugt auf Hilfe wartet) mit ihren Sozialversicherungsfachangestellten und ihrem Medizinischen Dienst im einzelnen konkret darlegen und nachweisen, warum, wo und wann genau eine ambulante Behandlung dieselbe Aussicht auf Heilungserfolg bietet. Ihre Auffassung muß sie dem Krankenhaus und ihrem Versicherten mitteilen. Der Patient hat hierzu ein gesetzlich verbrieftes Anhörungsrecht. Bleibt die Kasse bei ihrem Standpunkt, hat sie ihrem Versicherten einen förmlichen Ablehnungsbescheid zuzustellen. Mit Rechtsbehelfsbelehrung. Und mit der Möglichkeit, binnen eines Monats Widerspruch gegen diese Ablehnung einzulegen. Kommt es auch dann zu keiner Einigung, muß das Sozialgericht entscheiden. Klagefrist: Ein weiterer Monat. Sollte sich ein menschenfreundlicher Sozialrichter schließlich ein bürgernahes Herz fassen und unbürokratisch entscheiden, dann hat der Patient vielleicht schon keine Schmerzen mehr.
So und nicht anders stellt sich die Lage in der gesetzlichen Krankenversicherung aktuell dar. Und diese Situation möchte Herr Seehofer nicht beseitigen. Sondern er möchte sie unter dem Titel „Bürgerversicherung“ auf weitere Bevölkerungskreise – übrigens auch auf Sozialrichter – ausdehnen. Redet so ein „Experte“?
Mich regt all dies viel zu sehr auf. Vielleicht sollte ich mich wegen der nächtlichen Stimmen auch einmal selbst zeitnah in kompetente ärztliche Behandlung begeben. Oder endlich einmal in Ruhe die Bedienungsanleitung zur Zeitschaltung meines Radioweckers lesen, damit ich – wenn es soweit ist – nicht mitten in der Nacht, sondern erst morgens die ersehnte Nachricht höre: Horst Seehofer ist dem Beispiel des vormaligen Sozialexperten Rudolf Drechsler und der Anregung Konrad Adams gefolgt und hat das Amt eines Konsuls übernommen. In Pjöngjang/Nordkorea.