Cowboys und Marionetten

von Carlos A. Gebauer

Lange hielten sie sich für Cowboys. Abenteuerlustig saßen die Brummi-Fahrer am Steuer ihrer Lastwagen. Vor ihnen lagen die endlosen Weiten der Landstraße. Fern der Heimat und unbeobachtet durchpflügten sie die Welt, immer der Sonne entgegen. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet bei ihnen der Niedergang unserer Freiheit wie in einem Brennglas offenbar werden könnte?

Denn wo immer sie heute fahren, wissen die maut-durstigen Augen von Toll-Collect schon, wo sie sind. Wenn der Autobahnpolizist sie dann anhält, dann kann er exakt lesen, was sie in den letzten Minuten taten. Ihre Tachoscheibe gibt urkundlichen Aufschluß über alle ihre Geschwindigkeiten, einschließlich der Pausenzeiten, in denen sie einen Kaffee nahmen oder gaben. Aus den Begleitdokumenten zu ihrer Fracht liest der Staat, mit wem sie zuletzt gesprochen haben und zu wem sie aufgebrochen waren. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Mit Führerschein, Fahrzeugpapieren und Personalausweis, die sie mitzuführen verpflichtet sind, läßt sich ohne weitere Schwierigkeit ermitteln, wo sie wohnen und für wen sie arbeiten. Ihr Arbeitgeber muß dulden, daß in Amtshilfe hurtig beigezogene Zollbeamte sein Büro durchsuchen. Denn interessant ist auch, ob der Steuermann am Lenker nicht vielleicht ein Schwarzarbeiter ist. Über die Datenbänke seiner Krankenversicherung lassen sich anschließend alle medizinischen Parameter des Fahrers problemlos ermitteln. Und wenn – durch Blutprobe oder demnächst auch nur einen einfachen Abstrich mit dem Wattebausch auf der Autobahn – der DNA-Code des Verdächtigten in die Zentralrechner der Behörden eingespielt ist, lassen sich dort in Sekundenschnelle alle möglichen Abgleiche und Überprüfungen vornehmen. Bald, schwärmen die Verfolger, haben wir sogar biometrische Daten auf den Ausweisen. Dann wird alles noch einfacher. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Wer glauben möchte, damit stießen die Späher-Blicke des Staates an die Grenzen ihres Sichtfeldes, der irrt. Ein interessierter Blick in die Dateien der gerade neu geschaffenen ‚Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen‘ bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ist gar zu verlockend. Der könnte doch erweisen, daß unser ältlicher Trucker von irgendwoher noch eine Rente bezieht, von der unser Staat bislang nichts wußte. Damit könnte zum Beispiel erklärbar werden, warum er eine Armbanduhr trägt, die für seine Verhältnisse eigentlich zu teuer ist. Das würde deuten auf eine neue, mögliche Regelwidrigkeit im Leben des Cowboys: Hat er Steuern hinterzogen? Verlockend ist, wenn die Behörde nun gleich auch noch einen Blick auf die Konten- und Depotbestände des Verdächtigen wirft. Das kann sie bald online, ohne daß er oder seine Bank es überhaupt auch nur erführen. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Und so wird, Stück für Stück, aus unserem Asphalt-Cowboy ein Gegenstand der Bürokratie-Mechanik, bis er zuletzt nur noch Marionette ist an den schattigen Fäden seines lenkenden Staates. Denen, die sagen, wer nichts zu verbergen habe, der müsse auch nichts befürchten, rufen wir zu: Betet, daß Euch Eure allmächtigen Puppenspieler niemals werden quälen wollen.

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