von Carlos A. Gebauer
Ellis Huber ist Mediziner und Funktonär im Gesundheitssystem. Erst als Ärztekammerpräsident, dann als Vorstand einer Krankenkasse. Derzeit wagt er sich literarisch in die Sphäre der politökonomischen Gestaltung. In seinem jüngsten Buch fordert er „die Gesundheitsrevolution“.
Daß nun ein Arzt Politik, Ökonomie und Juristerei betreibt, müßte im Grunde nicht weiter bekümmern. Auch könnte – beispielsweise – ein Anwalt chirurgische Tips zur pfiffigen Naht an einem Milzriß geben oder revolutionär über orthopädische Dampfbügeleisen-Therapien durch nackte Haut veröffentlichen. Der Unterschied wäre nur: Jener Anwalt ließe sich sofort zwanglos als harmloser Spinner entlarven, der von dem, was er schreibt, keine Ahnung hat. Bei einem etablierten Gesundheitsfunktionär liegen die Dinge anders. Was der sagt, das hat für das breite Publikum Gewicht, selbst wenn es fachkundigen Ökonomen und Juristen den Angstschweiß aus der Haut treibt. Aus Journalistenkreisen verlautet sogar, daß man ausgerech-net jenen Ellis Huber gerne konsultiere, wenn Fragen der Gesundheitsversorgung zu diskutieren sind.
Was aber besagt die Huber’sche „Gesundheitsrevolution“? Der Leser taucht nicht nur ab in die – sinngemäß – noch behagliche Darstellung, nett sein zueinander halte Menschen gesund. Hinter diesen zuweilen sogar wissenschaftlich befußnoteten Thesen lauern die kältesten Tiefen eines schäumenden Meeres von massiven Fehleinschätzungen. Gemeinsam mit Kurt Langbein führt Huber seinen Leser zwang- und gliederungslos mal durch medizinische Statistiken, mal durch Einzelfallschilderungen, mal durch therapeutische Kritiken, um sodann hieraus die bemerkenswertesten Schlüsse zu ziehen. Wir Laien lernen erstaunt „Gesundheit läßt sich nicht verordnen“ und hören den Ruf nach einer „anderen Rationalität“. Wie genau die allerdings aussähe, das wird – abgesehen etwa von der Forderung nach „Tanzkursen“ in Krankenhäusern – nicht ansatzweise konkret mitgeteilt. Statt Handfestes zu beschreiben, wird wortwolkig mal eine „ökosoziale“ Erneuerung des Systems gefordert, mal eine „biopsychosoziale Medizin“ – was immer das eine oder das andere im einzelnen sein sollten. In Begeisterung für megabehördlich ferngesteuerte – trotzdem aber „souveräne“ – Patienten brennen die Autoren ein grelles Feuerwerk der sagenhaftesten Widersprüchlichkeiten ab: Schlecht sei einerseits, daß die „Krankheitsindustrie die Regeln der Marktwirtschaft völlig auf den Kopf “ stelle, andererseits aber, daß ein „Turbo-Kapitalismus“ Wunden schlage. Dann wieder fordern die Verfasser eine „Abkehr von der Egomanie“, um gleich im nächsten Absatz einer „Authentizität der eigenen Persönlichkeit“ zu huldigen. Wenn ihre argumentativen Perversionen über die „Reanimation des Sozialen“ schließlich soweit gediehen sind, daß sie wegen schädlicher „Nebenwirkungen von ungewollten Schwangerschaften“ (Kind?) über die verbesserte Finanzierung von Abtrei-bungen sinnieren, dann spätestens werden sich die meisten Leser, die nicht durch die Abgründe des deutschen Gesundheitswesens schon endgültig jede intellektuelle Orientierung verloren haben, aus diesem Werk verabschieden. Die wenigsten Leser werden daher bemerken, daß Huber zu allem Überfluß – gleichsam zum Beleg seiner welthistorischen Unbedarftheit – für die Gesundheitsversorgung auch noch eine „Kulturrevolution“ fordert. Wenn solche Ärzte weiter Gesellschaftspolitik betreiben, werden Anwälte bald wirklich selbst operieren müssen.