Ein Globaldorf namens Globadolf

Warum eine Weltregierung kein Glück sein kann

Erfolgreiche Staatswesen neigen seit jeher dazu, sich selbst mindestens als Großreich, besser aber noch gleich ganz als Weltreich zu sehen. Der neubabylonische Herrscher Nebukadnezar II soll von sich selbst gesagt haben, die Eroberung ferner Länder vom oberen bis zum unteren Meer und die Erschließung schwierigster Pfade habe einzig dem Ziel gedient, sein Volk üppig gedeihen zu lassen. Dass er bei dieser Gelegenheit gleich auch noch alle Unbotmäßigen tötete, steht seinem sagenhaften Ruf nicht entgegen. Bis heute muß jeder, der eine Fünfzehnliterflasche Champagner trinken will, zuerst den „Nebukadnezar“ öffnen.

Schon zuvor hatten die alten Ägypter bekanntlich den Anspruch erhoben, mit ihren Pyramiden gleich das Ewige an der Spitze mit dem Irdischen am Fuße architektonisch zu verbinden. Eine Nummer kleiner geht es praktisch nie. Anschließend waren die assyrischen Herrscher emsig damit befaßt, ihr Reich entlang des Mittelmeeres zu vergrößern. Und unwahrscheinlich ist, dass Alexander der Große – dessen politische Ambitionen bekanntermaßen ebenfalls nicht durch Bescheidenheit imponieren – jenen Großreich-Gedanken erst nach Osten exportieren mußte. Die Maurya-Dynastie dürfte von alleine auf die Idee gekommen sein, den gesamten indischen Subkontinent zu einer politischen Einheit zu verbinden. Noch weiter östlich ging aus der chinesischen Qin-Dynastie die Han-Dynastie und somit letztlich das bis heute geeinte China hervor. Um ein Haar hätte also auf unseren Computern „Made in Hana“ statt „Made in China“ gestanden. Römer und Byzantiner spielten dasselbe Spiel der großen Reiche, Mongolen und Azteken kein anderes und gegen das Britische Empire nimmt sich das Großprojekt namens Sowjetunion kartographisch durchaus übersichtlich aus.

Man darf also vermuten, dass absolute Macht nicht nur absolut korrumpiert, sondern von Alters her auch absolut Lust auf absolute territoriale Größe verschafft. Der Reiz, ein Reich zu regieren, in dem die Sonne niemals untergeht, scheint menschlich unwiderstehlich. Dem sympathischen philosophischen Standpunkt des individuellen Kosmopolitismus steht folglich komplementär die politische Nachfrage nach erdkreisrunder Herrschaft zur Seite.

Während sich die Altvorderen allerdings wegen ihrer beschränkteren technischen Möglichkeiten noch mit einer verhältnismäßig begrenzten Beherrschung von Landmassen bescheiden mußten, greift unser unterdessen heliozentrisch avancierter homo sapiens globalis lieber gleich ganz in die Vollen. Mutmaßlich vor dem Hintergrund, dass alle vorherigen Weltreiche aus merkwürdigen Gründen allesamt stets kollabierten, schuf der ganz moderne Machtmensch sich zunächst den Völkerbund und dann die Vereinten Nationen. Der lose Staatenbund der Genfer Liga, der 1920 künftigen Wahnsinn wie den des ersten Weltkrieges verhindern sollte, wurde nach dem Ende des zweiten dann 1946 liquidiert. Aus seinen Schwächen wollte man bei Gründung der UNO 1945 lernen, weswegen man ihr vorsorglich gewisse eigene Rechte gegenüber ihren Mitgliedsstaaten einräumte. Aus Schaden, heißt es, wird man klug. Immerhin sympathisch an der UNO ist, dass sie in einem Theater gegründet wurde. Gerade wir Deutschen mit unserer Republik aus einem Zoo in Bonn und einem Verfassungsgericht aus dem Schauspielhaus in Karlsruhe wissen derlei aggressionsfreie Friedfertigkeit zu schätzen.

Gleichwohl können derlei weltumspannende Allmachts- und Allzuständigkeitsambitionen eines mehr und mehr autonom agierenden Völkerrechtssubjektes nicht völlig unkritisch hingenommen werden. Immerhin waren es just in dem gerade vergangenen Jahrhundert jene Weltherrschaftsphantasien, die die Menschheit wie nie zuvor in ihrer Geschichte erdkreisumspannend an den Rand der eigenen physischen Vernichtung getrieben haben.

Unvergessen ist der Totalitätsanspruch eines Trierer Philosophen, der nicht irgendwelche Proletarier zur kollektiven Vereinsbildung aufrief, sondern gleich alle – aus allen Ländern! Unvergessen ist auch, dass seine Moskauer Adepten im Projekt der Russischen Revolution gleichsam nur den Ausgangspunkt einer dann ausdrücklichen Weltrevolution sehen wollten. Und egal, ob man nach der Kommunistischen Internationale oder nach der Sozialistischen Internationale blickt: Ihr Anspruch richtet sich ebenfalls stets auf den ganzen Globus. Mithin können die unsäglichen Gesänge der finstersten deutschen Periode nicht erstaunen, als man am deutschen Wesen selbstverständlich am liebsten auch gleich die ganze Welt genesen lassen wollte.

So streben die bösen Herrscher dieser Erde also genau wie ihr ewiger Widerpart, der globale Gutmensch, stets nach dem weltumspannenden Einfluß, nach der ein und einzigen Generallösung für alle Probleme dieser Welt. Alles aus nur einer Hand – auf dass sie uns nie schlage.

Woher allerdings die naive Hoffnung rührt, jene globale Weltherrschaft aus einer monopolen Quelle müsse dann stets auch eine menschenfreundliche sein, erschließt sich beim besten Willen – und mit dem nüchternen Blick auf die Geschichte eben dieser Welt – gerade nicht. Im Gegenteil. Nicht nur die Traditionen des weiland politisch zerklüfteten Europas zeigen, wie sehr des Menschen Leben gerade dort am erträglichsten und erquicklichsten geriet, wo jeder einzelne die permanente Chance zur individuellen Sezession unter die Regeln eines anderen Herrschers hatte. Wie wäre es wohl den Opfern der UdSSR oder der nationalen Sozialisten unter Hitler ergangen, wären deren Reiche bereits weltumspannend gewesen? Was, wenn seinerzeit nicht zumindest die USA eine Fluchtmöglichkeit vor der Vernichtung geboten hätten?

Man mag der jüngsten päpstlichen Enzyklika nachsehen, dass sie auf globale Einigkeiten setzt. Alles andere wäre für eine Kirche, die sich selbst als „καθολικός“ definiert, greifbar widersinnig. Aber eine auf überindividuellen Konsens gegründete Gemeinschaft ist nun einmal etwas anderes als eine unitär-zwangsweise Weltherrschaft, die den Anspruch erhebt, eine einheitliche Weltrepublik zu errichten und die als ihr Fernziel gar eine Weltinnenpolitik erstrebt. Beseitigt man aber das Streitpotential am Maschendrahtzaun, wenn man mit dem ranzigen Nachbarn eine Wohnungseigentümergemeinschaft gründet?

Eine allgegenwärtige, globale Weltregierung ist augenscheinlich die Art von Machtphantasie, bei der nicht nur Figuren wie Alice Schwarzer terminologisch auf sexualmedizinische Begrifflichkeiten zurückgreifen sollten. Hier geht etwas, nüchtern gesprochen, massiv in die falsche Richtung. Jahrhunderte der rechtsphilosophischen Erkenntnis, dass Gewalt stets geteilt sein muß, drohen in monopolbesoffene Vergessenheit zu geraten.

Wer glaubt, er könne die ganze Menschheit mit einheitlichen Ideen global beglücken, der hat offenkundig weder verstanden, was individuelle Würde besagt, noch wozu das Design einer geballt und totalhierarchisch durchstrukturierten Weltstaatsgewalt fähig ist. Wie sollen die Interessengegensätze einer weltweiten Menschheit ohne eine Chance zu individueller Bewegungsfähigkeit in notfalls andere politische, kulturelle oder religiöse Rahmenbedingungen friedlich gelöst werden? Durch herrschaftsfreien Diskurs im UNO-Sicherheitsrat? Durch bedingungslose Unterwerfung aller Menschen unter die Protokolle der Weisen von Kyoto? Durch G7-Gipfel? Oder G-8? G-20? G-192? Oder am besten gleich G-6,8 Milliarden? Wo liegt der menschenfreundlichste G-Punkt der One-World-Völkerverständigung?

Wenn wir nicht aufpassen, regiert eines Tages ein Hugo Chavez unsere Welt. Oder ein Kim Jong-il. Oder ein Robert Mugabe. Dann können wir unser globales Dorf gleich umbenennen. In Globadolf.

Gibt es unsoziale Gerechtigkeit?

von Carlos A. Gebauer

Die Welt diskutiert, was „soziale Gerechtigkeit“ sei. Unser Grundgesetz will den „sozialen Staat“. Schlaue Menschen schreiben dicke Bücher. Politiker definieren lautstark, engagiert, mit hochrotem Kopf. Aber wir einfachen Menschen? Wissen wir eigentlich noch, worum es geht? Wenn alle herkömmlichen Erklärungsversuche zu einer Frage gescheitert sind, dann ist es manchmal legitim, unorthodoxe Wege einzuschlagen.

Blicken wir also zunächst nach Nordamerika und betrachten die kanadische Zuckmücke. Während des Paarungsaktes dieser Spezies sticht die Zuckmücken-Frau dem Zuckmücken-Mann ihren Rüssel in den Kopf. Das ist nicht nett. Aber das ist auch noch nicht alles. Durch diesen Rüssel presst sie nämlich zudem eine Art Speichel in ihren Gatten, dessen Innereien sich hierdurch sogleich in Brei verwandeln. Noch bevor der Beischlaf beendet ist, hat sie ihren Liebsten leergeschlürft. Dann trennt sie sich von dessen – im wahrsten Sinne des Wortes – sterblicher Hülle.

Wir wollen hier nicht diskutieren, ob es für Scheidungsanwälte oder Steuerberater interessant sein könnte, mit Bildern von Zuckmücken zu werben. Hier interessiert allein die Frage: Halten wir dieses Verhalten gegenüber dem Mücken-Mann für „gerecht“?

Vor jeder Antwort auf diese Frage erscheint zunächst noch ein vergleichender Blick auf den Plattwurm diplozoon gracile angebracht. Der lebt bekanntlich parasitär in Fischkiemen und wenn sich eine Wurm-Frau mit ihrem Wurm-Mann einmal inniglich gefunden haben, dann bleiben sie für immer, lebenslang, in dieser besonderen körperlichen Verbindung vereint. Auch hier läßt sich im Vergleich fragen: Sind die Schicksale einerseits des Zuckmücken-Mannes und andererseits des Plattwurm-Mannes von unserer göttlichen – oder: natürlichen – Schöpfung „gerecht“ geregelt?

Beim Nachdenken über diese Schicksale wird zügig klar: Die Frage nach „Gerechtigkeit“ oder „Ungerechtigkeit“ stellt sich hier erst gar nicht. Denn hier geht es um Abläufe der von Gott – oder einer irgend sonst höher legitimierten Instanz – geregelten Natur. Der unorthodoxe Gedanke führt also zu dem ersten Ergebnis: Gerechtigkeitsfragen sind nur und ausschließlich für menschliches Leben und menschliches Handeln von Bedeutung. Nur das, was unsere menschliche Gemeinschaft betrifft, unterliegt einer Wertung als entweder gut und „gerecht“ oder schlecht und „ungerecht“.

Für ein solch‘ gutes menschliches Zusammenleben in einer Gemeinschaft gibt es jedoch auch noch ein ganz anderes Wort. Das heißt: „sozial“. Anders ausgedrückt: Wer innerhalb einer Gemeinschaft von Menschen anderen Menschen Ungerechtigkeiten widerfahren läßt, der handelt „unsozial“. Dies führt zu dem zweiten Ergebnis der gedanklichen Reise durch Kanada und eine Fischkieme: Was gerecht ist, ist immer auch sozial. Und was ungerecht ist, muß immer auch unsozial sein. Folglich ist eine „unsoziale Gerechtigkeit“ ebenso undenkbar, wie eine „soziale Ungerechtigkeit“.

Man sieht, wie verwirrend es ist, alleine schon zwei Begriffe und ihre Verneinungen auseinanderhalten zu wollen. Obwohl der Gedanke ganz einfach ist, kann man sich in aller Breite darüber erklären. Manchmal allerdings hat man den Eindruck, daß diese Verwirrungen ganz bewußt gestiftet werden. Nämlich dann, wenn einer schlauer erscheinen will, als er in Wahrheit ist. Dann redet er nicht einfach von „Gerechtigkeit“, sondern von „sozialer Gerechtigkeit“, obwohl es das gleiche ist. Das ist länger, klingt kompetenter und erweckt den Eindruck, er hätte wirklich Ahnung von dem, was er sagt. In Wahrheit erzählt er aber nur von seinen unermüdlichen Versuchen, einen Zuckmücken-Mann mit einer Plattwurm-Frau zu vermählen.

Cowboys und Marionetten

von Carlos A. Gebauer

Lange hielten sie sich für Cowboys. Abenteuerlustig saßen die Brummi-Fahrer am Steuer ihrer Lastwagen. Vor ihnen lagen die endlosen Weiten der Landstraße. Fern der Heimat und unbeobachtet durchpflügten sie die Welt, immer der Sonne entgegen. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet bei ihnen der Niedergang unserer Freiheit wie in einem Brennglas offenbar werden könnte?

Denn wo immer sie heute fahren, wissen die maut-durstigen Augen von Toll-Collect schon, wo sie sind. Wenn der Autobahnpolizist sie dann anhält, dann kann er exakt lesen, was sie in den letzten Minuten taten. Ihre Tachoscheibe gibt urkundlichen Aufschluß über alle ihre Geschwindigkeiten, einschließlich der Pausenzeiten, in denen sie einen Kaffee nahmen oder gaben. Aus den Begleitdokumenten zu ihrer Fracht liest der Staat, mit wem sie zuletzt gesprochen haben und zu wem sie aufgebrochen waren. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Mit Führerschein, Fahrzeugpapieren und Personalausweis, die sie mitzuführen verpflichtet sind, läßt sich ohne weitere Schwierigkeit ermitteln, wo sie wohnen und für wen sie arbeiten. Ihr Arbeitgeber muß dulden, daß in Amtshilfe hurtig beigezogene Zollbeamte sein Büro durchsuchen. Denn interessant ist auch, ob der Steuermann am Lenker nicht vielleicht ein Schwarzarbeiter ist. Über die Datenbänke seiner Krankenversicherung lassen sich anschließend alle medizinischen Parameter des Fahrers problemlos ermitteln. Und wenn – durch Blutprobe oder demnächst auch nur einen einfachen Abstrich mit dem Wattebausch auf der Autobahn – der DNA-Code des Verdächtigten in die Zentralrechner der Behörden eingespielt ist, lassen sich dort in Sekundenschnelle alle möglichen Abgleiche und Überprüfungen vornehmen. Bald, schwärmen die Verfolger, haben wir sogar biometrische Daten auf den Ausweisen. Dann wird alles noch einfacher. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Wer glauben möchte, damit stießen die Späher-Blicke des Staates an die Grenzen ihres Sichtfeldes, der irrt. Ein interessierter Blick in die Dateien der gerade neu geschaffenen ‚Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen‘ bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ist gar zu verlockend. Der könnte doch erweisen, daß unser ältlicher Trucker von irgendwoher noch eine Rente bezieht, von der unser Staat bislang nichts wußte. Damit könnte zum Beispiel erklärbar werden, warum er eine Armbanduhr trägt, die für seine Verhältnisse eigentlich zu teuer ist. Das würde deuten auf eine neue, mögliche Regelwidrigkeit im Leben des Cowboys: Hat er Steuern hinterzogen? Verlockend ist, wenn die Behörde nun gleich auch noch einen Blick auf die Konten- und Depotbestände des Verdächtigen wirft. Das kann sie bald online, ohne daß er oder seine Bank es überhaupt auch nur erführen. Unbeobachtet war gestern. Überwacht ist heute.

Und so wird, Stück für Stück, aus unserem Asphalt-Cowboy ein Gegenstand der Bürokratie-Mechanik, bis er zuletzt nur noch Marionette ist an den schattigen Fäden seines lenkenden Staates. Denen, die sagen, wer nichts zu verbergen habe, der müsse auch nichts befürchten, rufen wir zu: Betet, daß Euch Eure allmächtigen Puppenspieler niemals werden quälen wollen.

Warum mir Eheverträge eine Herzensangelegenheit sind

Carlos A. Gebauer

Als ich hörte, daß geschiedene Frauen Freiwild seien, dachte ich nur eines: Ich möchte eine geschiedene Frau sein. Dann lernte ich Rita P. kennen. Sie erklärte mir nicht nur, daß ich als Mann niemals eine geschiedene Frau sein könne. Insbesondere machte sie mir klar, wie wenig erstrebenswert ihr Schicksal war.

Rita P. nämlich hatte ohne Ehevertrag geheiratet. Damals, sagte sie, habe sie den Gedanken an einen Ehevertrag für eine emotionale Entgleisung gehalten. Ehe habe schließlich nichts mit Verträgen zu tun. Wenn man sich nicht gegenseitig vertraue, dann solle man erst gar nicht heiraten. Das war damals ihr felsenfester Standpunkt. Zu spät hatte sie gemerkt, daß einerseits Eheverträge und andererseits Respekt und Vertrauen überhaupt keine Gegensätze sind. Wer für seine Ehe nämlich keinen Ehevertrag schließt, für den gelten trotzdem Regeln. Und diese Regeln sind die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen des Eherechtes. Die aber sind bisweilen sehr, sehr überraschend.

Die von Hause aus vermögende Rita P. nun hatte zu Beginn ihrer Ehe gleich mehrere Fehler gemacht: Zuerst hatte sie sich von ihrem Bräutigam nicht schriftlich den Stand ihres Kontos bestätigen lassen. Diese Unterlassung rächte sich nun böse. Denn wer nicht beweisen kann, daß er schon zu Beginn seiner Ehe über ein stattliches Vermögen verfügte, der wird zum Scheidungstermin so behandelt, als habe er seinen ganzen Besitz während der Ehe erworben. Da ihr Ehemann während der Ehe keinen eigenen Ehrgeiz entwickelt hatte, sparend Rücklagen zu bilden, mußte Rita P. zuletzt die Hälfte ihres Barvermögens an ihn überweisen. Das Familiengericht nannte das „Zugewinnausgleich“. Rita P. nannte es: Ein Verbrechen.

Ihr nächster Fehler war gewesen, zu Beginn der Ehe in die Wohnung ihres Mannes zu ziehen. Dessen Einrichtung hatte sie nicht gemocht. Gemeinsam mit ihm war alles neu gekauft worden. Rita P. hatte bezahlt. Als der Scheidungsrichter Rita P. bestätigte, daß nach dem Gesetz der gesamte Hausrat trotzdem ausschließlich ihrem geschiedenen Mann gehörte, war sie wiederum erstaunt. Der Richter sprach von „Hausratverordnung“. Rita P. sprach von Irrsinn.

Am lautesten jedoch war die Auseinandersetzung der künftigen Ex-Eheleute im Zusammenhang mit der Unterhaltsfrage. Rita P. – aus gutem Hause – hatte während aller Ehejahre Wert gelegt auf geordnete Finanzen und ein auskömmliches Einkommen. Ihr Mann war in seiner Lebensgestaltung nicht vordringlich an Exzessen der Berufstätigkeit interessiert gewesen. Er, der schon ihren Namen angenommen hatte, füllte gerne das Bild eines „neuen Mannes“ aus, der die Karriere seiner Frau gut erträgt. Leider hatten sich seine Erwerbsmöglichkeiten konjukturbedingt vermindert. Kurz vor der Trennung war er arbeitslos geworden. Der Streit über die Höhe seines nachehelichen Unterhaltes geriet heftig. Rita P. war irritiert, neben ihrem halben Vermögen und der Einrichtung auch nachehelichen Unterhalt zahlen zu sollen. Doch das Gesetz sprach klare Worte.

Einige Monate später habe ich Rita P. wieder getroffen. Sie schien nicht entspannter. Zwar werde ihre Unterhaltspflicht nun bald enden, erzählte sie, weil ihr Ex-Mann neu heirate. Daß er aber von der neuesten Möglichkeit Gebrauch machen wolle, ihren Namen auf seine neue Frau zu übertragen, bereitete Rita P. viel Kummer.

Wer sich auf den Gesetzgeber verlasse, statt sich eigenes Recht zu schaffen, sei wohl doch nicht so gut beraten, meinte sie. Liebe hin, Vertrauen her: Ehe, wem Ehe gebührt, doch wer ein Herz beherrschen möchte, der sollte lieber Kardiologe werden.

Der Schiffbruch unserer Rechtsordnung – Jetzt auch auf CD!

Nehmen wir einmal an, es gäbe tatsächlich eine CD mit den Namen von 1500 „Steuersündern“. Nehmen wir weiter an, es gäbe auch jemanden, der diese CD besäße und sie für 2,5 Millionen Euro an einen Staatsanwalt zu verkaufen bereit wäre. All dies anzunehmen würde natürlich auch bedeuten anzunehmen, dass das ganze keine politisch inszenierte Räuberpistole eines Staates in höchsten Zahlungsschwierigkeiten wäre. Und dass es der populistischen Stimmungsmache auf der Straße dienen sollte. Was würde es bedeuten, wenn die Story real ist und „der Staat“ dort zugriffe?

Zuerst denkt der rechtsphilosophisch vorgebildete Leser solcher Nachrichten natürlich an die berühmte Planke des antiken griechischen Philosophen Karneades. Prügeln sich zwei Schiffbrüchige auf hoher See um die nur einmal vorhandene, rettende Holzplanke, handelt keiner rechtswidrig, wenn er den anderen ersäuft. Mit anderen Worten: Not kennt kein Gebot und wenn es hart auf hart geht, muss das Recht nicht mehr interessieren. Erst kommt der steuerliche Zaster, dann die rechtliche Moral. Vorbei also anscheinend die Zeiten, als man sich hierzulande noch darüber erregte, wenn Staatspersonal ein Loch in das Gefängnis von Celle sprengte, um öffentliche Stimmungslagen zu beeinflussen. In der Mode gilt: Erlaubt ist, was gefällt. Im Steuerstrafrecht gilt: Erlaubt ist, was den Fiskus bereichert. War neulich noch jemand über Foltermaßnahmen gegen einen aussageunwilligen Täter irritiert? Macht nichts, der Zweck heiligt die Mittel und die Definitionsgewalt liegt – beim Staat, wo sonst?

Wie immer in solchen moralisch schweren Zeiten melden sich gleich vielerlei Experten zu Wort. Und für den juristisch versierten Betrachter geraten weite Teile der Presse zum reinen Slapstick. Aus der Gruppe derer, die da wissen, dass der Staat schon immer das für alle Beste tut, ragt zum Beispiel einer aktuell besonders heraus. Der relativiert die rechtsethische Frage, indem er darauf hinweist, dass jene CD schließlich nur Namen und Kontonummern enthalte. Der Erwerb sei daher rechtlich und moralisch unbedenklich. Denn ob etwas ‚dran sei am Vorwurf der Steuerhinterziehung, das werde erst die Prüfung durch die Fahnder weisen. Ich mag dieses Argument sehr. Denn es ist besonders lustig. Träfe es nämlich zu, würden aus meinen Steuermitteln sage und schreibe nur Namen- und Zahlenkolonnen erworben. Dann erst ginge die Prüfung los. Was aber kann einem Staatsanwalt (oder wem auch immer, der auf 2.500.000,00 Euro freien Zugriff hat) überhaupt erste Gewißheit verschaffen, aus jenen Datenreihen dereinst steuerlich relevante Erkenntnisse zu beziehen? So lange er die Daten nicht gesehen hat, ist es nicht mehr als eine bloße Hoffnung, eine Aussicht, eine Chance, ein Nichts. Sorgfalt kann er also bei der Auswahl der CD nicht walten lassen. Er muß blind glauben, dass auf der CD irgendetwas Relevantes steht. Wem muß er es glauben? Einem Straftäter. Einem Dieb. Einem Datendieb, der zugleich auch Experte im deutschen Steuer- und Steuerstrafrecht ist. Denn er muß ja wissen, dass er 1500 „Steuersünder“ zu verkaufen hat. Offenbar ist er hoch kompetent. Denn er hat schon 1500 mal steuerlich im einzelnen geprüft, was der steuerliche Kasus ist. Hätte er das nicht bereits erledigt (durch die dafür zugleich notwendige Prüfung aller Einzelveranlagungen aller Betroffenen), dann würde er ja die Unwahrheit sagen. Er würde also den kauflustigen Staatsanwalt (und den kaufwilligen Staat) gegebenenfalls betrügen. Das wäre kein netter Straftäter, finde ich.

Wie nämlich stünde dann „der Staat“ da, der 2.500.000,00 Euro für eine CD bezahlt hätte, aus der sich nicht die erhofften Steuermehreinnahmen von 100 Mio. Euro generieren ließen? Wäre das nicht wiederum – peinlich? Juristisch gesehen sollte ein Hehler – also der Käufer gestohlener Gegenstände – zur ansatzweisen Kompensation seiner Tat wenigstens sicherstellen, keinen Müll zu erwerben. Denn wie fühlt sich ein gewöhnlicher Hehler, wenn er hinter den Bahnhof von einer obskuren Person ein Radio kauft, das „vom Lkw gefallen ist“ und sich dann auch noch als funktionsuntüchtig erweist?

Um den Erwerb richtig sauber und – wie es sich für einen Staat gehört – „amtlich“ abzuwickeln, sollten die Staatsbediensteten daher mit dem CD-Besitzer (Eigentümer kann er nach deutschem Recht an der Scheibe wohl nicht werden, § 935 BGB) zu einem Notar gehen und einen fein ausgeklügelten Vertrag beurkunden lassen. Der müßte regeln, dass der Verkäufer garantiert, aus den Daten jener Kaufsache-CD wenigstens Steuereinnahmen in Höhe von 100 Mio. Euro destillieren zu können. Sollte der Verkäufer seinerseits anwaltlich beraten sein, würde er sicher die genauen Bestimmungen darüber in den Vertrag aufnehmen lassen, welche Handlungen der deutsche Fiskus ihm schuldet, um die Erzielung jener 100 Mio. Euro sicherzustellen. Jedenfalls dürfte Lustlosigkeit im Steuereintreiben, Behördenschlendrian oder sonstige Versäumung fiskalischer Interessen nicht zu seinen Lasten gehen. Eine echte juristische Herausforderung. Zumal für den Notar, der seinerseits gut beraten ist, sich zuvor bei seiner Notarkammer rückzuversichern, ob die Niederschrift dieses zweifelhaften Geschäftes überhaupt beurkundungsrechtlich zulässig ist. Wer weiß, vielleicht prüft in genau diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, irgendwo in Deutschland ein Notar, was der Geschäftswert jener Urkunde sein wird: 2,5 Mio., 100 Mio oder 102,5 Mio Euro?

Arbeiten wir aber hier zunächst weiter mit Annahmen: Der kaufende Beamte hätte also von dem vertrauenswürdigen Datenstehler die CD erworben. Weil er und seine Behörde wissen, dass sie definitiv Diebesgut kaufen, werden sie – bösgläubig wie sie sind – nicht Eigentümer der Daten. Dennoch laden sie die Dateien gespannt in ihren Rechner hoch. Der Verkäufer zieht unterdessen mit seinem Kaufpreis (den er irgendwie dinglich hatte absichern müssen, weil die sittenwidrige Urkunde gemäß § 138 BGB rechtsunwirksam war) um die Häuser. Nun würden die Beamten feststellen, dass sie Datenmüll gekauft haben. Langweilige Namen, aussagelose Zahlenreihen und vielleicht ein paar Zumwinkel.pdfs, die sie schon lange kannten. Müßte nicht ein sorgsamer Behördenchef in Ansehung solcher Gefahren fürsorglich für seine Mitarbeiter eine besondere Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben, um die Seinen vor Regreßansprüchen der Innenrevision zu schützen? Immerhin wären 2.500.000,00 Euro Steuergelder ausgegeben. For nothing. Eine bahnbrechende aufsichtsrechtliche Herausforderung für das ganze Versicherungswesen.

Um all diese Mißlichkeiten zu umgehen, wäre ein Sondergesetz sinnvoll. Es könnte heißen: Gesetz zur Stärkung der Steuerehrlichkeit und Förderung des Erwebs illegal beschaffter Gegenstände. Dort würde man regeln können: „Beamte, die Hehlerware in der Hoffnung erwerben, diese zum weiteren Gelderwerb nutzen zu können, handeln nicht rechtswidrig.“ Da zum Zeitpunkt des Erwerbs denknotwendig auch noch nicht feststeht, ob die CD-Daten überhaupt auf verfolgbare Straftaten hindeuten, müßte allerdings auch noch die Unschuldsvermutung der Europäischen Menschenrechtskonvention modifiziert werden. Die Formulierung könnte lauten: „Wird von einer Person behauptet, sie habe eine Tat begangen, durch deren Verfolgung für die Staatskasse ein Gewinn zu erzielen wäre, so ist zu Lasten dieser Person bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass sie jedenfalls rechtswidrig gehandelt hat.“ Man kann offenbar viele Juristen in den Staatsdienst einstellen, wenn man eine Rechtsordnung dergestalt in weiten Teilen völlig neu erfindet.

Die interessanteste Variante dieser gesetzlichen Neuregelungen findet sich übrigens nicht auf Seiten der Staatsbeamten, sondern auf der Seite von uns Bürgern. Wird nämlich das Hehlen von Waren zum Zwecke der Steigerung von staatlichen Einnahmen straflos gestellt und rechtmäßig, dann eröffnet sich für das allgemeine Publikum ein spannendes neues Marktsegment: Der Handel mit Daten, die früher immer vertraulich zu behandeln waren! Was einstmals beschlagnahmt wurde und in die polizeiliche Asservatenkammer kam – nun kann man es verkaufen! Diebe werden nicht mehr verfolgt, sondern handeln mit Strafverfolgungsbehörden attraktive Geschäftskonditionen aus. Einzugsermächtigung statt Handschellen. Und am lautesten applaudieren die Kapitalismuskritiker. Slapstick pur. Welch‘ ein Spaß!

Insbesondere für das Gesundheitswesen erschließen sich hier ungeahnte Möglichkeiten. Ärzte können Krankenkassen Informationen über medikamentöse Unverträglichkeiten von Patienten verkaufen und damit die Zeiträume des Überlebens von Hochbetagten erheblich verkürzen – zu Gunsten der öffentliche Haushalte. Auch die Geheimnisse von kostenintensiven Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitlosen könnten spannende Erwerbsgegenstände für staatliche Stellen werden. Die Zeiten sind hart und Planken sind selten, nicht nur in Griechenland? Wer solche Vergewaltigungen der Rechtsordnung auch nur ansatzweise für denkbar hält, macht sich – zumindest für jeden Juristen – absolut unwählbar.

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