Nehmen wir einmal an, es gäbe tatsächlich eine CD mit den Namen von 1500 „Steuersündern“. Nehmen wir weiter an, es gäbe auch jemanden, der diese CD besäße und sie für 2,5 Millionen Euro an einen Staatsanwalt zu verkaufen bereit wäre. All dies anzunehmen würde natürlich auch bedeuten anzunehmen, dass das ganze keine politisch inszenierte Räuberpistole eines Staates in höchsten Zahlungsschwierigkeiten wäre. Und dass es der populistischen Stimmungsmache auf der Straße dienen sollte. Was würde es bedeuten, wenn die Story real ist und „der Staat“ dort zugriffe?
Zuerst denkt der rechtsphilosophisch vorgebildete Leser solcher Nachrichten natürlich an die berühmte Planke des antiken griechischen Philosophen Karneades. Prügeln sich zwei Schiffbrüchige auf hoher See um die nur einmal vorhandene, rettende Holzplanke, handelt keiner rechtswidrig, wenn er den anderen ersäuft. Mit anderen Worten: Not kennt kein Gebot und wenn es hart auf hart geht, muss das Recht nicht mehr interessieren. Erst kommt der steuerliche Zaster, dann die rechtliche Moral. Vorbei also anscheinend die Zeiten, als man sich hierzulande noch darüber erregte, wenn Staatspersonal ein Loch in das Gefängnis von Celle sprengte, um öffentliche Stimmungslagen zu beeinflussen. In der Mode gilt: Erlaubt ist, was gefällt. Im Steuerstrafrecht gilt: Erlaubt ist, was den Fiskus bereichert. War neulich noch jemand über Foltermaßnahmen gegen einen aussageunwilligen Täter irritiert? Macht nichts, der Zweck heiligt die Mittel und die Definitionsgewalt liegt – beim Staat, wo sonst?
Wie immer in solchen moralisch schweren Zeiten melden sich gleich vielerlei Experten zu Wort. Und für den juristisch versierten Betrachter geraten weite Teile der Presse zum reinen Slapstick. Aus der Gruppe derer, die da wissen, dass der Staat schon immer das für alle Beste tut, ragt zum Beispiel einer aktuell besonders heraus. Der relativiert die rechtsethische Frage, indem er darauf hinweist, dass jene CD schließlich nur Namen und Kontonummern enthalte. Der Erwerb sei daher rechtlich und moralisch unbedenklich. Denn ob etwas ‚dran sei am Vorwurf der Steuerhinterziehung, das werde erst die Prüfung durch die Fahnder weisen. Ich mag dieses Argument sehr. Denn es ist besonders lustig. Träfe es nämlich zu, würden aus meinen Steuermitteln sage und schreibe nur Namen- und Zahlenkolonnen erworben. Dann erst ginge die Prüfung los. Was aber kann einem Staatsanwalt (oder wem auch immer, der auf 2.500.000,00 Euro freien Zugriff hat) überhaupt erste Gewißheit verschaffen, aus jenen Datenreihen dereinst steuerlich relevante Erkenntnisse zu beziehen? So lange er die Daten nicht gesehen hat, ist es nicht mehr als eine bloße Hoffnung, eine Aussicht, eine Chance, ein Nichts. Sorgfalt kann er also bei der Auswahl der CD nicht walten lassen. Er muß blind glauben, dass auf der CD irgendetwas Relevantes steht. Wem muß er es glauben? Einem Straftäter. Einem Dieb. Einem Datendieb, der zugleich auch Experte im deutschen Steuer- und Steuerstrafrecht ist. Denn er muß ja wissen, dass er 1500 „Steuersünder“ zu verkaufen hat. Offenbar ist er hoch kompetent. Denn er hat schon 1500 mal steuerlich im einzelnen geprüft, was der steuerliche Kasus ist. Hätte er das nicht bereits erledigt (durch die dafür zugleich notwendige Prüfung aller Einzelveranlagungen aller Betroffenen), dann würde er ja die Unwahrheit sagen. Er würde also den kauflustigen Staatsanwalt (und den kaufwilligen Staat) gegebenenfalls betrügen. Das wäre kein netter Straftäter, finde ich.
Wie nämlich stünde dann „der Staat“ da, der 2.500.000,00 Euro für eine CD bezahlt hätte, aus der sich nicht die erhofften Steuermehreinnahmen von 100 Mio. Euro generieren ließen? Wäre das nicht wiederum – peinlich? Juristisch gesehen sollte ein Hehler – also der Käufer gestohlener Gegenstände – zur ansatzweisen Kompensation seiner Tat wenigstens sicherstellen, keinen Müll zu erwerben. Denn wie fühlt sich ein gewöhnlicher Hehler, wenn er hinter den Bahnhof von einer obskuren Person ein Radio kauft, das „vom Lkw gefallen ist“ und sich dann auch noch als funktionsuntüchtig erweist?
Um den Erwerb richtig sauber und – wie es sich für einen Staat gehört – „amtlich“ abzuwickeln, sollten die Staatsbediensteten daher mit dem CD-Besitzer (Eigentümer kann er nach deutschem Recht an der Scheibe wohl nicht werden, § 935 BGB) zu einem Notar gehen und einen fein ausgeklügelten Vertrag beurkunden lassen. Der müßte regeln, dass der Verkäufer garantiert, aus den Daten jener Kaufsache-CD wenigstens Steuereinnahmen in Höhe von 100 Mio. Euro destillieren zu können. Sollte der Verkäufer seinerseits anwaltlich beraten sein, würde er sicher die genauen Bestimmungen darüber in den Vertrag aufnehmen lassen, welche Handlungen der deutsche Fiskus ihm schuldet, um die Erzielung jener 100 Mio. Euro sicherzustellen. Jedenfalls dürfte Lustlosigkeit im Steuereintreiben, Behördenschlendrian oder sonstige Versäumung fiskalischer Interessen nicht zu seinen Lasten gehen. Eine echte juristische Herausforderung. Zumal für den Notar, der seinerseits gut beraten ist, sich zuvor bei seiner Notarkammer rückzuversichern, ob die Niederschrift dieses zweifelhaften Geschäftes überhaupt beurkundungsrechtlich zulässig ist. Wer weiß, vielleicht prüft in genau diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, irgendwo in Deutschland ein Notar, was der Geschäftswert jener Urkunde sein wird: 2,5 Mio., 100 Mio oder 102,5 Mio Euro?
Arbeiten wir aber hier zunächst weiter mit Annahmen: Der kaufende Beamte hätte also von dem vertrauenswürdigen Datenstehler die CD erworben. Weil er und seine Behörde wissen, dass sie definitiv Diebesgut kaufen, werden sie – bösgläubig wie sie sind – nicht Eigentümer der Daten. Dennoch laden sie die Dateien gespannt in ihren Rechner hoch. Der Verkäufer zieht unterdessen mit seinem Kaufpreis (den er irgendwie dinglich hatte absichern müssen, weil die sittenwidrige Urkunde gemäß § 138 BGB rechtsunwirksam war) um die Häuser. Nun würden die Beamten feststellen, dass sie Datenmüll gekauft haben. Langweilige Namen, aussagelose Zahlenreihen und vielleicht ein paar Zumwinkel.pdfs, die sie schon lange kannten. Müßte nicht ein sorgsamer Behördenchef in Ansehung solcher Gefahren fürsorglich für seine Mitarbeiter eine besondere Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben, um die Seinen vor Regreßansprüchen der Innenrevision zu schützen? Immerhin wären 2.500.000,00 Euro Steuergelder ausgegeben. For nothing. Eine bahnbrechende aufsichtsrechtliche Herausforderung für das ganze Versicherungswesen.
Um all diese Mißlichkeiten zu umgehen, wäre ein Sondergesetz sinnvoll. Es könnte heißen: Gesetz zur Stärkung der Steuerehrlichkeit und Förderung des Erwebs illegal beschaffter Gegenstände. Dort würde man regeln können: „Beamte, die Hehlerware in der Hoffnung erwerben, diese zum weiteren Gelderwerb nutzen zu können, handeln nicht rechtswidrig.“ Da zum Zeitpunkt des Erwerbs denknotwendig auch noch nicht feststeht, ob die CD-Daten überhaupt auf verfolgbare Straftaten hindeuten, müßte allerdings auch noch die Unschuldsvermutung der Europäischen Menschenrechtskonvention modifiziert werden. Die Formulierung könnte lauten: „Wird von einer Person behauptet, sie habe eine Tat begangen, durch deren Verfolgung für die Staatskasse ein Gewinn zu erzielen wäre, so ist zu Lasten dieser Person bis zum rechtskräftigen Beweis des Gegenteils anzunehmen, dass sie jedenfalls rechtswidrig gehandelt hat.“ Man kann offenbar viele Juristen in den Staatsdienst einstellen, wenn man eine Rechtsordnung dergestalt in weiten Teilen völlig neu erfindet.
Die interessanteste Variante dieser gesetzlichen Neuregelungen findet sich übrigens nicht auf Seiten der Staatsbeamten, sondern auf der Seite von uns Bürgern. Wird nämlich das Hehlen von Waren zum Zwecke der Steigerung von staatlichen Einnahmen straflos gestellt und rechtmäßig, dann eröffnet sich für das allgemeine Publikum ein spannendes neues Marktsegment: Der Handel mit Daten, die früher immer vertraulich zu behandeln waren! Was einstmals beschlagnahmt wurde und in die polizeiliche Asservatenkammer kam – nun kann man es verkaufen! Diebe werden nicht mehr verfolgt, sondern handeln mit Strafverfolgungsbehörden attraktive Geschäftskonditionen aus. Einzugsermächtigung statt Handschellen. Und am lautesten applaudieren die Kapitalismuskritiker. Slapstick pur. Welch‘ ein Spaß!
Insbesondere für das Gesundheitswesen erschließen sich hier ungeahnte Möglichkeiten. Ärzte können Krankenkassen Informationen über medikamentöse Unverträglichkeiten von Patienten verkaufen und damit die Zeiträume des Überlebens von Hochbetagten erheblich verkürzen – zu Gunsten der öffentliche Haushalte. Auch die Geheimnisse von kostenintensiven Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitlosen könnten spannende Erwerbsgegenstände für staatliche Stellen werden. Die Zeiten sind hart und Planken sind selten, nicht nur in Griechenland? Wer solche Vergewaltigungen der Rechtsordnung auch nur ansatzweise für denkbar hält, macht sich – zumindest für jeden Juristen – absolut unwählbar.