Freunde, Helfer und Behörden

Carlos A. Gebauer

Felix A. unterschied zwischen freundlichen und unfreundlichen Behörden. Freundliche Behörden beispielsweise waren die Paßstelle, die Kindergeldkasse, die Wohnungsbauförderungsanstalt und das Straßenverkehrsamt mit den Wunschkennzeichen. Unfreundlich dagegen waren der Zoll, das Finanzamt, die Bußgeldstelle und die Gebühreneinzugszentrale.

Mit Interesse hatte er verfolgt, als seine Gemeinde kürzlich sogenannte Bürgerbüros einrichtete. Dort versicherte man ihm, daß die Stadtverwaltung ihn von nun an insgesamt wie einen Kunden behandeln werde. Wenig später war er allerdings gerade deswegen etwas irritiert. Denn er erhielt von seiner bürgernahen Verwaltung wegen Falschparkens in der Innenstadt förmlich einen Bußgeldbescheid zugestellt, zahlbar binnen sieben Tagen. Für den Fall der Nichtzahlung wurde ihm – mit freundlichen Grüßen – eine umgehende, Zwangsvollstreckung in Aussicht gestellt. Ein Kunde, der König wäre, dachte er, würde anders behandelt.

Seit einigen Wochen jedoch zählte Felix A. auch den Bundesfinanzhof zu den unbedingt freundlichen Behörden. Dieses höchste deutsche Gericht in Steuerfragen hatte nämlich eine Entscheidung zugunsten der Steuerzahler gefällt. Irgendein Mitbürger hatte sich mit irgendeinem Finanzamt über irgendeine steuerliche Frage gestritten. Diese Frage war – selbstverständlich – sehr kompliziert. Felix A. hatte das Ganze nicht wirklich verstanden. Aber sein Steuerberater hatte ihm erklärt, daß der dortige Streit auch Bedeutung für seine Steuerschuld haben werde. Das höchste Gericht hatte also für den Bürger und gegen das Finanzamt entschieden. Folglich wähnte sich Felix A. auch für den eigenen Fall im Recht. In Gedanken begann er schon, die gesparten Steuern für andere Dinge auszugeben. Dann aber kam Post von seinem Steuerberater.

In dessen Büro lernte er einige Tage später, was ein „Nichtanwendungserlaß“ ist: Immer wieder streiten sich Bürger mit ihrem Finanzamt bei Gericht über Steuerfragen. Solche Prozesse entscheiden die Finanzgerichte. Gewinnt der Bürger diesen Streit in letzter Instanz bei dem Bundesfinanzhof, dann ärgert sich das Finanzamt. Denn es bekommt von dem Bürger weniger Geld. Ganz besonders ärgerlich ist es aber für das Finanzamt, wenn der siegreiche Bürger auch noch überall herumerzählt, wie der Bundesfinanzhof entschieden hat. Denn alle anderen Steuerzahler berufen sich dann auf dieses Urteil und wollen auch weniger Steuern bezahlen. Immerhin ist der Bundesfinanzhof die höchste Autorität in Steuerfragen. Was der sagt, das gilt. O-der genauer gesagt: Eigentlich gilt es. Denn die Finanzverwaltung kennt einen Trick. Dieser Trick heißt „Nichtanwendungserlaß“ und funktioniert etwa so, wie wenn ein Siebenjähriger abends so tut, als höre er nicht, daß seine Mutter ihn von der Straße nach Hause ruft.

Der Finanzminister erläßt eine Anweisung an alle Finanzämter. In dieser Anweisung sagt er ihnen, sie sollen so tun, als gäbe es die Entscheidung des Bundesfinanzhofes nicht. Will sich ein Bürger also darauf berufen, daß auch er weniger Steuern zahlen müßte, dann gilt: Soll er doch klagen! Das Urteil des Bundesfinanzhofes wird von dem Finanzamt einfach nicht angewendet. Das ist der Trick mit dem Nichtanwendungserlaß.

Auf die Frage von Felix A., was er nun tun müsse, antwortete sein Steuerberater ihm: Sie müssen auch klagen! Zwar seien die Finanzgerichte sehr überlastet und der Prozeß werde einige Jahre dauern. Aber an dessen Ende könnte Felix A. mit einiger Wahrscheinlichkeit den vorläufig vollstreckbar angeforderten und bereits gezahlten Steuerbetrag wieder erstattet erhalten. Auf seinem Weg von dem Steuerberater nach Hause fragte sich Felix A.: Ob das Finanzamt ihn dereinst bei der Steuerrückerstattung als König Kunde bezeichnen werde? Er war gespannt.

Karstadt, Ver.di und Schröder

von Carlos A. Gebauer

Indem ich diese Zeilen schreibe, bangen tausende Mitarbeiter der Firma Karstadt-Quelle um ihren Arbeitsplatz. Denn Ihr Arbeitgeber ist – vorsichtig gesprochen – in finanziellen Schwierigkeiten. Das alleine wäre sicher für sich gesehen eine Nachricht wert, nicht aber schon einen weiteren Kommentar. Denn daß Unternehmen in Deutschland in Insolvenz fallen, hat inzwischen – traurig genug – gleichsam schon folkloristischen Charakter.

Das Drama um den Niedergang von Karstadt weist jedoch weitere, ganz besondere Noten auf. Zum einen wird in der Öffentlichkeit berichtet, daß die Dienstleistungsgewerkschaft „Ver.di“ gemeinsam mit dem Betriebsrat des Unternehmens schwerste Vorwürfe gegen das Management der Firma erhebt. Zum anderen erheben sich anschwellend sowohl Rufe wie auch Angebote, der Staat müsse die Rettung Karstadts zu seiner Sache machen.

Auch diese weiteren Gesichtspunkte der aufkeimenden öffentlichen Debatte wären – in guter bundesrepublikanischer Tradition – kaum der Rede wert, wenn nicht der Zeitpunkt des Debattenbeginns ein besonderer wäre. Zeitgleich mit dem Ruf nach dem rettenden Staat werden nämlich auch noch ganz andere Zahlen bekannt. Diese besagen, daß der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr wahrscheinlich mit dem fantastischen Negativrekord von 44 Milliarden Euro abschließen dürfte. Anders gesagt: Alleine der Bund gibt also im laufenden Jahr aller Voraussicht nach 44 Milliarden Euro mehr aus, als er einnimmt. Dieser Betrag wird sich nach allem hinter der Zeile finden, die die erforderliche „Nettoneuverschuldung“ des Bundes für dieses Jahr ausweist.

Wer – wie ich – einfachen Gemütes ist, mag dazu neigen, Vergleiche zu seinem eigenen Erleben zu ziehen: Wenn ich Jahr für Jahr meine Rechnungen nur deshalb noch bezahlen kann, weil ich mir von der Bank immer neues Geld leihe, dann habe ich augenscheinlich ein dauernd wachsendes Problem.

Nun gibt es also Stimmen, die sinngemäß ebenso fordern wie anbieten, der Staat möge die Schulden der Firma Karstadt übernehmen, damit die dortigen Arbeitsplätze „gerettet“ würden. In der Sache heißt dies nicht anderes als: Es möge Geld von einem überzogenen Konto auf ein anderes überzogenes Konto umgebucht werden. Mit der makaberen Konsequenz, daß die Mitarbeiter auf den „geretteten“ Arbeitsplätzen anschließend durch ihre erhöhten Steuern die angestiegenen Staatsschulden bedienen.

Wer, mag man fragen, hält solcherlei Form der Arbeitsplatzrettung für klug? Die Antwort ist nahe: Neben Politikern unterschiedlichster Couleur muß namentlich die Dienstleistungsgewerkschaft „Ver.di“ in dieser Strategie Sinn sehen, sonst würde sie sie nicht fordern. Wer aber ist „Ver.di“? Ist dies nicht die Gewerkschaft, die im Jahre 2003 selbst mit einem operativen Verlust von 59 Millionen Euro ihre Geschäfte abgeschlossen hat? Mit anderen Worten: Hat nicht auch „Ver.di“ im vergangenen Jahr schlicht mehr Geld ausgegeben, als eingenommen?

Im Ergebnis sehen wir also in diesen Tagen die Konferenzen dreier Fast-Pleitiers, die einander die Welt der Finanzen erklären. Wer sich an das Waldsterben und die Umwelt-Debatten der 1980er Jahre mit ihren kernigen Sprüchen erinnert, könnte durchaus formulieren: Wir behandeln unsere Volkswirtschaft so, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum. Und er könnte fragen: Erscheint auch dieses mal wieder ein Holzmann im Wald?

Fiskalische Nächstenliebe

Carlos A. Gebauer

Steuern zahlen zu müssen, ist ärgerlich. Noch ärgerlicher ist, selbst Steuern bezahlen zu müssen, während man andere kennt, die keine Steuern zahlen. Wie aber mag sich erst einer fühlen, der Steuern nur deswegen zahlt, weil ein anderer genau diese Steuer nicht bezahlt? Man glaube nicht, das wäre unmöglich. Im deutschen Steuerrecht ist alles möglich. Alles. Wirklich: Alles.

Der Hauseigentümer B hatte sich schon lange über seine Terrasse geärgert. Sie war schief, feucht und unansehnlich. Eines Tages hatte B genug gespart und wandte sich an den Bauunternehmer U. Schon nach einer ersten Besichtigung wurden B und U handelseinig. U versprach, die Terrasse zu richten. Sie sollte trocken gelegt, eingeebnet und mit einem hübschen Dachvorsprung versehen werden. Gegen alle Befürchtungen von B begannen die Arbeiten zügig, wurden rasch durchgeführt und schon nach wenigen Wochen saß B in seinem neu hergerichteten Garten. Glücklich. Die Rechnung von U über immerhin 16.000,– EURO überwies B nur wenige Tage später. Dies schien ihm nur recht und billig, denn schließlich hatte auch U seine Leistungen unverzüglich und gut erbracht. Alles schien gerichtet.

Aber einige Monate später kam Besuch. Der Finanzbeamte F stand bei B vor der Tür und begehrte zweierlei: Erstens Einlaß und zweitens 2.400,– EURO. B hatte nämlich einen Fehler gemacht. Er hätte dem zwischenzeitlich insolventen und ausgewanderten U nicht ohne weiteres 16.000,– EURO bezahlen dürfen. Das war rechtswidrig. So jedenfalls sagen die Paragraphen 48 bis 48d des Einkommensteuergesetzes in ihrer Fassung nach dem Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe. Mit anderen Worten: Hätte B die Änderungen des Einkommensteuergesetzes durch ständige Lektüre des Bundesgesetzblattes gelesen, wären die Kosten seiner neuen Terrasse für ihn nicht auf jetzt insgesamt 18.400,– EURO gestiegen.

Was war geschehen? Irgendjemand – wir wissen nicht, wer – muß dem Gesetzgeber verraten haben, daß die generelle Steuerbelastung in Deutschland eher hoch ist. Und irgendjemand – wir wissen nicht, wer – muß auch verraten haben, daß Bauarbeiten deswegen bisweilen „schwarz“ ausgeführt werden. In Reaktion auf diesen ungeheuerlichen Vorgang war der Gesetzgeber also geradezu gezwungen, zu handeln. Zu seinem Bedauern war es angesichts der knappen Personaldecken in den Finanzämtern nicht möglich, jeden deutschen Bauarbeiter täglich und ganztägig von einem Beamten begleiten zu lassen. Also verdoppelte der Gesetzgeber einfach seine Steuerpflichtigen, indem er den Bauherrn B neben dem Unternehmer U verpflichtete, auch dessen Steuern mit zu bezahlen. Der B hätte dem U selbst richtiger Weise nur 85% seiner Rechnung bezahlen dürfen. Wegen der restlichen 2.400,– EURO war der B – wie jeder Bauherr – verpflichtet, das zuständige Finanzamt des Bauunternehmers zu ermitteln, bis zum 10. Tag des Folgemonats nach Bezahlung eine Steueranmeldung auf dem richtigen Formular vorzunehmen und den Restbetrag auf das Konto des Finanzamtes unter Angabe der Steuernummer des U zu zahlen. So einfach geht das. Über das Internet kann sogar jeder das nach der Umsatzsteuer-Zuständigkeitverordnung ausnahmsweise zuständige Finanzamt ermitteln, wenn sein U ein Ausländer sein sollte. Alles ist geregelt.

Wenn B demnächst seinen Dachstuhl renoviert, wird er gewiefter vorgehen. Denn jetzt weiß er: Entweder, er besteht auf Vorlage einer amtlichen Freistellungsbescheinigung des Handwerkers oder er vermietet den Dachstuhl zuvor an einen Freund. Dann schützt ihn das Kleinvermieterprivileg vor der Haftung für fremde Steuern. Nie aber wird er F verraten, daß der ihm vielleicht sogar 2.784,– EURO hätte abverlangen können. Aber alles muß man auch nicht sagen. Nicht alles. Wirklich: Nicht alles.

Befreundete Ehepaare

von Carlos A. Gebauer

Der technische Bundesbahnsekretär Götz-Hagen R. ist ein Pechvogel. Während er seinem Bruder half, Eier aus dem elterlichen Hühnerstall in Kartons zu verpacken, klingelte sein Funktelefon. Er legte die letzten Eier beiseite und meldete sich. Das war rechtswidrig. Denn nach der EWG-Verordnung des Europäischen Rates Nr. 1907/90 in der Fassung vom 17. November 2003 muß man „alle Eier eines Behältnisses ohne Unterbrechung sortieren oder verpacken“.

Götz-Hagen R. hatte also Anlaß, jenes Telefonat zu verbergen. Da er seine berufliche Laufbahn ändern und Betriebsaufseher werden wollte, lag ihm an einem tadellosen Lebenslauf. Mit einem nur „eingeschränkten horizontalen Wechsel des Funktionsbereiches innerhalb der Laufbahn“ war er nicht zufrieden. Nur der aber wäre noch möglich, wenn ihm der volle Laufbahnwechsel verschlossen bliebe, sagt die Eisenbahn-Laufbahnverordnung.

Doch es kam anders. In Sichtweite arbeitete sein Kegelbruder Jens F. an Bienenständen. Wie man weiß, müssen Gegenstände, die zur Honigerzeugung benutzt werden, nach Gebrauch mindestens 20 Minuten einer Temperatur von 230° C ausgesetzt werden. Jens F. aber hatte es eilig. Er erhitzte seine Schöpfkellen in dem Betriebsraum nur 15 Minuten. Das war ein Verstoß gegen die Bienenseuchenverordnung. Als Jens F. das Bienenvolk verließ, traf er auf Götz-Hagen R. und befürchtete, ebenfalls von ihm beobachtet worden zu sein. Unter seinem schlechten Gewissen glaubte er im Angriff die beste Verteidigung und sagte: Ich werde von Deinem Telefonat im Hühnerstall berichten, wenn Du von meinem Bienendelikt erzählst! So wurden beide gleichsam Brüder im Rechtsverstoß. Und meist schmiedet nichts Menschen mehr zusammen, als das Wissen um die Leichen im Keller des anderen.

Aber es kam anders. Denn sie hatten die Rechnung ohne ihre Frauen gemacht. Frau R. wollte nicht, daß ihr Mann Betriebsaufseher würde. Sie war nämlich schwanger und freute sich, demnächst bei der Arbeit keine Geräte mehr „mit hoher Fußbeanspruchung“ bedienen zu müssen. Diese Aussicht eröffnete ihr – bestimmt nicht ohne guten Grund, wie sie überzeugt war – die Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen. Da die Dienstzeiten für Betriebsaufseher andere waren, als die für Sekretäre, fürchtete sie, nachts alleine mit einer Fußleiter das eheliche Hochbett erklimmen zu müssen. Genau davor hatte sie Angst. So verfiel sie auf eine List: Sie versprach der Frau von Jens F., zu vergessen, daß diese die saugfähigen Bodenauflagen am Ausgang ihres Fasanen-Stalles bei der letzten Geflügelseuche nicht durchgängig mit Desinfektionsmittel feucht gehalten hatte. Dieser Verstoß gegen die Geflügelpest-Verordung würde nur ungesühnt bleiben können, wenn Jens F. seinen Widersacher auffliegen ließe. Und so geschah es.

In seinem Sekretariat dachte Götz-Hagen R.: Gesetze haben Nebenwirkungen, vor denen keine Packungsbeilage schützt.

FrEUheit, GleichhEUt, BrEUderlichkeit

Zwei europäische Tage mit meiner Lokalzeitung

Früher sah ich immer gerne „Wer dreimal lügt“ im Fernsehen. Der Sender präsentierte sechs absurd erscheinende Kurzreportagen und fragte dann, welches die drei wahren und welches die drei unwahren Geschichten gewesen seien. In Erinnerung geblieben ist mir beispielsweise, daß ein Blumenhändler in Holland – angeblich – Rosen in Dosen verpackte, um sie dann auch außerhalb der Saison unverwelkt verkaufen zu können. So und so ähnlich waren die Geschichtchen gestrickt.

An dieses Fernsehformat fühlte ich mich am 10. und 11. April dieses Jahres wieder erinnert, als ich in meiner Lokalzeitung von neuen EU-Rechtsquellen las. Nachdem man dort „in Brüssel“ bekanntlich verfügt hatte, daß Kulturorchester künftig nur noch eingeschränkt Musik von Wagner, Bruckner und Mahler interpretieren dürfen, weil die einfach zu laut komponiert haben, traf der allerbrandneueste Gag der eurokratischen Legislatur jetzt die bundesdeutschen Mattscheiben: Das EU-Parlament habe, hieß es, die EU-Kommission aufgefordert, ein Gesetz auszuarbeiten, demzufolge ARD und ZDF nur noch unsynchronisierte Filme und Beiträge in der Originalsprache mit deutschen Untertiteln senden dürften.

Am selben Tage berichtete meine Lokalzeitung darüber hinaus, ein CDU-Politiker namens Dieter-Lebrecht Koch, seines Zeichens EU-Parlamentarier und Mitglied des dortigen Verkehrsausschusses, wolle ein weiteres Projekt dringend vorantreiben: Werde der Airbag eines Autos unfallbedingt ausgelöst, setze ein Bordsystem sogleich einen Notruf ab. 112 bestelle also automatisch Hilfe an den Ort des Geschehens.

Nun erscheinen Höchstlärmgrenzen für Kulturorchester, Synchronisationsverbote für Fernsehsendungen und Zwangs-sms aus satellitengeorteten Pkws mir allesamt als Grotesken, die – verglichen mit Rosen in Dosen – das dreimalige Lügenkontingent des seinerzeitigen Fernsehformates bereits vollständig ausgeschöpft hätten. Doch die Rechtslage in der real existierenden EU ist inzwischen augenscheinlich weiter fortgeschritten, als es sich die Unterhaltungsabteilungen von Fernsehanstalten je hätte ausmalen können.

EU-Parlament und EU-Kommission wissen einfach besser, was für unsere Körper gut ist, als wir selbst. Also spielen Kammermusiker mit Ohrstöpseln und Pkw-Käufer erwerben ab 2010 gleich noch ein hochmodernes Zwangsautotelefon mit. Wie sagt Dieter-Lebrecht Koch: „Autofahrer sollten sich fragen, ob ihnen die Sicherheit nicht mehr wert ist als zum Beispiel teure Alufelgen“. Und wir fragen Dieter-Lebrecht zurück: Warum sollten Autofahrer sich diese Frage stellen? Sie ist doch von der EU schon beantwortet! So gibt die EU also – nach eigener Schätzung – statistisch jedes Jahr rund 2500 Verunglückten ein neues (nennen wir es einmal so:) Leberecht. Denn so viele Menschen müssten sterben, kämen die Sanitäter ohne Zwangs-sms zu spät.

Welcher EU-Bürger wird zweifeln: Aus der Gruppe der jährlich 2500 Geretteten werden nach nur wenigen Jahren Hunderte und Tausende neue Pflegebedürftige definiert werden, die – multimorbid und generalinsuffizient – weitere Gesetze einfordern. Da zeichnet sich doch gleich wieder legislativer Handlungsbedarf ab. Oder halten Sie für erträglich, daß ein durch lautstarke Airbag-Explosion schwerhörig gewordenes Unfallopfer keine Chance mehr hat, den Walkürenritt live zu hören, weil der zu leise gespielt wird?

Doch zurück zu unseren Fernsehgeräten. Wie reagierte „die Öffentlichkeit“ auf den heraufdrohenden Zwangs-Fremdsprachenunterricht aus dem unsynchronisierten TV? Und hier wird das Spiel nun erst wahrhaft spannend. Die EU-Medienkommissarin (jaja, so etwas gibt es) Viviane Reding ließ durch ihren Sprecher (jaja, so einen hat sie) Martin Selmayr mitteilen, es handele sich um ein „interessantes politisches Signal, das es ernst zu nehmen gilt“. Würden nun also bald tatsächlich Taube und Schwerhörige besser teilhaben können an Filmen in fremder Zunge?

Statt derartige Gesetzesvorhaben als den blanken Unsinn zu verspotten, der sie sind – und als der sie sich tags darauf erwiesen – wurden zunächst ernsthaft Erwägungen in diese Richtungen angestellt. Kurz: Man traute den EU-Spezialisten tatsächlich zu, über eine derartige Regel zu sinnieren. Und mein erster Gedanke war: Wie schützen wir nur die vielen Millionen Analphabeten in Deutschland, denen nun durch eine fehlende Synchronisation die Chance genommen würde, Filmen mit unlesbaren Untertiteln in fremden Sprachen zu folgen? Würden sie Vorleser gestellt bekommen, die die EU bezahlt? Vielleicht umgeschulte Mitarbeiter von insolventen Alufelgenherstellern? Wird man Mankell-Krimis künftig noch in Deutschland verfilmen dürfen – auf Deutsch?

Mir wurde jedenfalls schlagartig klar, daß wir in Europa weit mehr Video-Überwachungen brauchen. Besonders in EU-Amtsstuben. Um dort mehr Material für tolle neue Sendungen „Wer dreimal lügt“ zu filmen. Denn musikalische FrEUheit und GleichhEUt vor dem TV und BrEUderlichkeit in der 112 werden „in Brüssel“ einfach immer anders interpretiert, als wir das bislang kannten. Das Reservoir der Absurditäten ist einfach unerschöpflich. Endlich mal ein Gut, das definitiv nicht knapp ist. Wir sollten es zur Energiegewinnung einsetzen. Ich finde, dies ist ein interessantes politisches Signal, das es ernst zu nehmen gilt. Hat jemand eine Idee zur Umsetzung?

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