Wenn der Uterus zur Allmende wird

Warum die staatliche Beeinflussung der Geburtenrate tragisch ist

Wenn unsere Vorfahren ein Grundstück in der Mitte ihres Dorfes gemeinschaftlich nutzen wollten, dann behandelten sie es bekanntlich als sogenanntes „Allmendegut“ – es gehörte niemandem alleine, sondern allen zusammen. So alt wie diese Allmende selbst ist hierbei allerdings zugleich ihr charakteristisches Problem, das in der einschlägigen Literatur unter dem Stichwort „Tragik der Allmende“ beschrieben wird: Will ein Mitglied der anonymen Miteigentümergemeinschaft zunächst noch warten, bis er seine Schafe zum Weiden auf die Allmende treibt, damit die Wiese sich vom vorherigen Grasen anderer erhole, dann riskiert er, dass ein dritter Dorfbauer ihm zuvorkommt. Da diesenfalls für seine Tiere gar nichts mehr zu fressen bliebe, muss er also unverzüglich handeln. Die Übernutzung der Allmende durch alle ist somit die Regel. Zuletzt bleibt karge Ödnis und für alle nichts mehr zu ernten. Anders gesagt: Die Tragödie aller Gemeingüter ist, dass das, was gemein ist, nie lange ein Gut bleibt.

Indem nun – mit dem Saarland voran – nicht mehr nur die Schul-, sondern auch die Kindergartenpflicht zum gesetzlichen Regelfall unseres Landes zu werden droht, gerät die Rolle der Frau als Mutter in einen wieder völlig neuen Kontext. Ihr Uterus wird gleichsam zur Allmende. Und dies kommt so:

In wohl allen traditionellen Kulturen gehört zum Selbsteigentum der Frau an ihrem Körper auch ihr individuelles Nutzungs- und Verfügungsrecht über den eigenen Uterus. Jedenfalls in unserem eigenen Kulturkreis ist dies mit Blick sowohl auf verbotene Zwangsehen, die Strafbarkeit von Vergewaltigung und die weitgehende Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch eine breit konsentierte Selbstverständlichkeit. In dem Maße jedoch, in dem die sogenannten kollektiven Sicherungssysteme – namentlich das der kollektivierten Altersversorgung im reinen Umlageverfahren – auf das Nachkommen weiterer Generationen existentiell angewiesen sind, kann die Entscheidung über das Ob und Wieviel von Nachkommen nicht mehr nur der individuellen Frau und ihrem individuellen Mann überlassen werden. Das Gemeineigentum an der Verfügungsmasse „Rentenbeitrag“ erfordert, dass auch die Ursachen dieses Beitrages – seine Einzahler – gemeinschaftlich verwaltet werden.

Dies nun erklärt das politische Interesse an der Generierung einer möglichst stabilen Bevölkerungszahl; sinkt die sogenannte Geburtenrate, entsteht administrativer Handlungsbedarf. Es müssen Anreize geschaffen werden, dass möglichst viele Frauen ihren Uterus wieder hinreichend gemeinschaftsdienlich einsetzen; sie sollen also Kinder gebären. Das intrauterine Geschehen wird so zur Sache auch der Allgemeinheit.

Der zunächst sanfteste Druck zum Einsatz des Uterus wird durch die üblichen finanziellen Anreize geschaffen: Frauen, die Kinder gebären, erhalten diverse staatliche Subventionen. Merken die Verwalter des Gemeininteresses jedoch, dass dieser erste Anreiz nicht hinreicht, um die zum Systemerhalt nötigen Nachkommen zu erzeugen, muss an anderen Stellschrauben des Gesamtkonstrukts gedreht werden. Weil die Mutter, die ihr eigenes Kind selbst betreut und erzieht, als Einzahlerin in die Sozialversicherungstöpfe bis auf weiteres ausscheidet, entsteht für die Sozialverwaltung ein Motiv, sie von dieser Tätigkeit zu entbinden. Im Idealfall für das Umlageverfahren gibt sie ihr Kind dann nämlich in die kostenpflichtige Betreuung Dritter und widmet sich selbst (wieder) ihrer vormaligen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit. Auf diese Weise bleibt sie dem Rententopf erstens selbst als Einzahlerin erhalten; zweitens zahlt sie das seinerseits sozialversicherungspflichtige Entgelt für ihre professionellen Betreuer; und – natürlich – drittens hat sie in der Gestalt ihres Kindes dem Verfahren einen weiteren künftigen Einzahler geboren.

Je früher es einer solchen Rentenallmende gelingt, die nachgeborenen Kinder dergestalt in sozialversicherungspflichtige Fremdbetreuung zu überführen, desto größer ist der systemerhaltende Nutzen des Konstrukts. Die Vorverlagerung der Schulpflicht in Form der Kindergartenpflicht auch auf das Klein- und Kleinstkindalter gerät so zur unmittelbaren Einnahmesteigerung für den allgemeinen Topf. Ergänzt um eine möglichst noch verkürzte Schulpflicht am Ende der Schulzeit und eine weitere Verkürzung der Studienzeiten durch Einführung entsprechend kürzerer Studiengänge, werden die Sozialkassen nochmals – diesmal schon in der Person und an der Person des Nachkommens – weiter bereichert.

Jenseits der diversen gesamtgesellschaftlichen Änderungen seelischer Art für alle Betroffenen kommt es bei alledem jedoch auch hier wieder zu der eingangs skizzierten „Tragik der Allmende“: Ausgerechnet all diejenigen Frauen, die infolge ihrer höchstpersönlichen Lebenssituation keine Chance haben, sozialversicherungspflichtig an dem allgemeinen Produktionsprozess ihrer Gesellschaft teilnehmen zu können, sehen in den vielerorts geleisteten staatlichen Subventionen für und an Kinder eine Möglichkeit, ihre eigene finanzielle Situation positiv zu beeinflussen. Bei ihnen kommt es zu einer – im Vergleich zum unbeeinflussten Ausgangszustand einer interventionsfreien Gesellschaft – überdurchschnittlichen Geburtenrate. Die Tragik der Allmende gebiert somit die Tragödie einer zunehmend ausgegrenzten Bevölkerungsgruppe.

Rechtschreibungsrecht

von Carlos A. Gebauer

Es gibt Themen, zu denen ist alles gesagt. Die Reform der deutschen Rechtschreibung gehört – scheinbar – dazu. Gerade diese Reform hat uns aber unbemerkt auch ganz neue rechtsstaatliche Erkenntnisse darüber verschafft, was wahre Folgerichtigkeit ist.

So hieß es zunächst, daß folgerichtig sei, dem Känguruh sein „h“ zu nehmen, damit es – sozusagen von hinten – aussehe wie ein Gnu. Zugleich aber wurde der Kuh ihr „h“ gelassen. Früher hätte man das nicht folgerichtig genannt. Jetzt ist das anders: Eine kleine Stange ist kein Stengel mehr, sondern ein frecher Stängel. Trotzdem soll der Redner Sprache sprechen, nicht sprächen.

Mit dem nötigen politischen Willen also kann der totale Rechtsstaat seine juristischen Gesetze federleicht über die Gesetze der Logik erheben. Und weil bekanntlich gerade Ausnahmen stets die Regel bestätigen, läßt sich auch jede noch so offenliegende Inkonsequenz als heiligende Bestätigung der Regel feiern. Streng logisch.

In ähnlich rasant-argumentativer Logik verteidigte zuletzt ein Namenloser die Rechtschreibungsreform deswegen als bestandswürdig, weil sie doch eigentlich nur für Behörden und Schulen verbindlich sei. Jeder andere könne weiterhin orthographisch treiben, was er wolle. Bis dahin war mir unbekannt, daß die Geltung einer Regel damit verteidigt werden kann, im Grunde gelte sie eigentlich kaum.

Spätestens mit diesem Satz wurde aber die kulturell-ästhetische Diskussion auch zu einer manifest juristischen. Denn: Was ist eigentlich, wenn ein Schüler im Diktat ein „Känguru greulich“ findet und genau deswegen sitzenbleibt?

Wenn nicht mehr die Menschen einer Kulturgemeinschaft selbst über ihre Buchstaben entscheiden, sondern ihr Gesetzgeber, dann können wir eines sicher als nächstes erwarten: Ein Staat, der alle seine Gesetze leidenschaftlich gerne ändert, anpaßt, modifiziert und modernisiert, der wird selbstverständlich absehbar versucht sein, auch die Schreibweisen unserer Worte Jahr um Jahr neu zu justieren. Parteien werden nächtelang um Kompromisse ringen, wenn es gilt, die ausländerfreundlichste Variante des Wortes „Haimorrhoide“ zu bestimmen und die „Oberschine“ kann deutsch-französische Diplomantenkorps wochenlang beschäftigen. Jahr für Jahr werden dann neue Gesetzblätter und hieraus destillierte Duden Schulen neu diktieren, was in dieser Saison wie zu schreiben ist.

So grotesk oder absurd diese Spekulationen wirken mögen, eines sind sie: Folgerichtig! Warum? Ganz einfach. Kein Berufsstand beherrscht unsere Parlamente mehr, als der des Lehrers. Für jeden dieser Lehrer ist es geradezu eine Solidaritätspflicht gegenüber anderen Berufen, bald – genau wie Juristen – jedes Jahr neu nach der einschlägigen Vorschrift fahnden zu müssen.

Man halte jede Wette: Der gesetzlich verordnete Zwang zum jährlichen Dudenkauf wird zuletzt noch als beschäftigungspolitisch wertvoller Beitrag für die Buchindustrie gewertet werden. Spätestens dann wird wirklich alles zum Thema Rechtschreibung gesagt sein. Und das Parlament kann sich endlich anderen drängenden Gesetzesvorhaben widmen. Vielleicht dem Betonungs- und Aussprachegesetz. Oder der Verordnung über den Gebrauch von Eßbesteck. Oder einem Runderlaß über das wechselseitige Entkleiden zur Vorbereitung eines Geschlechtsverkehrs.

Der Arzt und die Mehrheit

„Umverteilung ist die Belohnung,
die Gewinnerkoalitionen für die
Ermächtigung einer bestimmten
Regierung erhalten.“

Anthony de Jasay

Demokratie heißt: Die Mehrheit entscheidet. Das ist schön – solange man zur Mehrheit gehört. Was aber geschieht, wenn die eigene Zugehörigkeit zu einer Minderheit zu einem Dauerzustand wird? Was, wenn man ständig überstimmt wird?

Demokratietheoretiker haben dieses Problem selbstverständlich gesehen. Und sie haben Instrumente entwickelt, um den einzelnen vor dieser Gefahr zu schützen. Eines dieser Instrumente heißt: Grundrechte. Grundrechte sind nichts anderes als Inseln für den einzelnen inmitten eines Ozeans aus anderen, abweichenden gesellschaftlichen Mehrheiten. Auf diese sicheren Inseln soll sich jedermann zurückziehen können, ohne daß ihn die Mehrheit dorthin verfolgt, my home is my castle. Auf dem Papier schien die Sache damit geklärt. Das Individuum ist durch Menschen- und Bürgerrechte vor Eingriffen der Mehrheit in seine grundrechtlichen Sphären geschützt. Wer aber schützt das Papier vor der Mehrheit?

Hans-Hermann Hoppe stellte kürzlich eine spannende Frage: Angenommen, am nächsten Sonntag wären Weltwahlen – was wäre deren Ergebnis? Wir bekämen eine chinesisch-indische Koalitionsregierung! Denn „die“ sind einfach die meisten. Was wäre das weitere absehbare Ergebnis dieser Regierungsbildung? Um wiedergewählt zu werden, würde diese Regierung – wie man zwanglos annehmen darf – bestrebt sein, ‚soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung vorhandener Güter‘ zu erreichen. Die erste Analyse dieser Regierung erwiese: Der Westen hat viele, andere Regionen der Erde haben weniger Güter in ihrem Besitz – China beispielsweise oder Indien. Also würde die Minderheit des Westens im Wege staatlicher Solidaritätszuschläge absehbar zur Herausgabe ihrer Reichtümer an die weniger begüterten östlichen Wählermehrheiten veranlaßt.

Was bei dieser Fiktion einer Weltwahl unmittelbar einleuchtet, läßt sich – wiederum nach Hans-Hermann Hoppe – auf ein einfaches Muster reduzieren: Wenn A und B etwas besitzen möchten, was nur C innehat, dann können sie sich entweder anstrengen und dieses etwas selber erwerben, oder sie stimmen demokratisch über das Recht zum Besitz am begehrten Gut ab. Kaum aber haben sie C überstimmt, schon sind sie die neuen Besitzer. Ganz demokratisch.

Nach diesem Muster funktionieren demokratische Staaten in ihrem Inneren seit langem. Immer konstituieren sich gewisse Mehrheiten und überstimmen zu ihren eigenen Gunsten Minderheiten. Das erklärt die Arbeitnehmerpolitik zu Lasten der Minderheit von Arbeitgebern ebenso, wie die Verbraucherschutzpolitik zu Lasten der Minderheit von Unternehmern. Es erklärt auch – auf der demokratischen Suche nach der möglichst absolutesten aller Mehrheiten – die aktuelle Herausbildung von Klimaschutzpolitiken (wer kann schon für Umweltverschmutzung sein?), von Kriegen gegen den Terror (wer würde für Terror das Wort ergreifen?) und von Kriegen gegen den Hunger (wer möchte für Hunger in der Welt eintreten?). Es erklärt schließlich, den stets umgehend lautstarken Protest aller Sozialisten gegen jedes irgendwie positiv aufkeimende patriotische Gefühl, weil die bloße Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen patria regelmäßig die Gefahr birgt, eine Wählergruppe zu konstituieren, die noch größer ist, als die Masse der Elenden, Benachteiligten, Zukurzgekommenen und aller, die ihr Herabsinken in diese Kaste potentiell befürchten. Es mag schließlich hierzulande auch die Ursache dafür sein, daß sich im gleichheitsverliebten Deutschland mit seiner immer willigen Bereitschaft, irgendwelche herausgehobenen Kleingruppen aus sozialen Gerechtigkeitsgründen niederzustimmen, das Skatspiel von A, B und C einer so eminenten Beliebtheit erfreut: Wer es wagt, die anderen auf Grundlage seines glücklichen Blattes risikolustig zu „reizen“, der wird sodann von den beiden anderen gemeinsam bekämpft.

Was hat nun all dies mit Ärzten und Patienten zu tun? Ganz einfach: Ärzte sind gegenüber der übrigen Bevölkerung in der Unterzahl. Wer also die Mehrheit der Nichtärzte gegen die Minderheit der Mediziner zu einer Einheit verbindet, der erwirkt für sich politisch einen strategischen Vorteil. Damit nicht genug. Wenn es ihm zusätzlich – beispielsweise – gelingt, die „gesetzlich Versicherten“ gegenüber den privat Versicherten in die Mehrheitsposition zu bringen, der hat einen doppelten strategischen Vorteil. Er kann gesundheitspolitisch schalten und walten, wie es ihm beliebt.

Bieten aber nicht unsere Grundrechte Schutz gegen solche Eingriffe? Auf dem Papier ja, in der Wirklichkeit – leider – nein. Denn die Definitionshoheit darüber, was der Schutzbereich eines Grundrechtes sei, liegt im Ergebnis bei niemandem anderen, als bei der Mehrheit. Das aber ist schlecht. Für Ärzte ebenso, wie für privat Versicherte. Daß bei solcher Politik nämlich zuletzt kein Arzt mehr übrig bleibt, der noch betriebswirtschaftlich sinnvoll handeln kann und daß die letzte Chance der Mediziner, über Privatliquidationen ihren monatlich-persönlichen break even point zu erreichen, das wird der selbstverliebten Mehrheit von ihren zuständigen Gesundheitspolitikern nicht erklärt. Schade.

Sind die genannten Minderheiten und jeder Restbestand an gesundheitspolitischer Rationalität unter der Geltung der Mehrheitsregel also gänzlich schutz- und wehrlos? Nein! Und: Die Rettung läßt sich sogar formulieren: Es gibt mehr Patienten und Ärzte, als Gesundheitspolitiker. Brechen wir also auf und überstimmen wir diese Leute einfach! Ganz demokratisch.

Das HWS-Miet-Pkw-Drama

von Carlos A. Gebauer

Das Schicksal der Gisela F. ist in einer Weise tragisch, daß ihr Name bereits geändert war, noch bevor die Redaktion es tun konnte.

Gisela F. hat eine Schwäche: Sie mag sportliche, schwarze Autos mit auskömmlicher Motorkraft. Mit einem solchen befuhr sie eines Tages die sanft geschwungenen, malerischen Landstraßen des Moseltales. An einer Engstelle hinter einer unübersichtlichen Kurve mußte sie wegen eines emsig werkelnden Landwirtes anhalten, um auf den Parkplatz des Landgasthofes Moselglück zu gelangen. Sekundenbruchteile später verspürte sie einen deftigen Schlag auf ihr Fahrzeugheck. Ein anderer Tourist war – von der lieblichen Architektur des Gasthauses abgelenkt – mit seinem robusten Kombi in ihr Fahrzeugheck hineingedroschen.

Die Regulierung der Schäden mit dem Versicherer des Gegners gelang zunächst flüssig. Dann allerdings schälten sich zwei neuralgische Schadenspositionen aus den allseitigen Aktendeckeln. Gisela F. nämlich erklärte zum einen, ein „Halswirbelschleudertrauma“ erlitten zu haben, im Fachjargon liebevoll genannt: HWS. Zum anderen hatte sie unbedarft das Angebot eines örtlichen Autovermieters akzeptiert, ihr schnellstens einen Ersatzwagen anzudienen. Die Preisgestaltung auf dem flugs unterzeichneten Vertrag als „Unfallersatztarif“ schien ihr besonders sinnvoll.

Die Versicherung aber mochte ein Schmerzensgeld für die unangenehmen Nackenbeschwerden nicht zahlen. Denn sie zweifelte, daß Gisela F. tatsächlich ein „HWS“ erlitten hatte. Hintergrund dieses Zweifels ist, daß in Deutschland derzeit gleichsam Folklore ist, nach Auffahrunfällen HWS-Beschwerden anzugeben. Tatsächlich ist der menschliche Rückenschmerz in etwa so unerforscht, wie das Liebesspiel pubertierender Brontosaurier. Und ob einer wirklich Schmerzen hat, läßt sich regelmäßig nicht sicher feststellen. Weder von Hausärzten, noch auch von Orthopäden, Neurologen, Radiologen oder gar Psychologen. Entweder man glaubt es, oder nicht. Die Glaubensfrage klärte auch ein 45seitges interdisziplinäres Sachverständigengutachten nicht, das von dem angerufenen Gericht eingeholt wurde. Gisela F. schulterte es mit Fassung und augenzwinkerte, vielleicht hätte man eher ein theologisches Gutachten gebraucht.

Weitaus ärgerlicher fand sie, daß die immensen Kosten für den Unfallersatz-Mietwagen ihr nur teilweise ersetzt wurden. Hier sah sie sich als das Kollateral-Opfer eines Grabenkrieges zwischen Versicherung und Vermiet-Firma. So haben Pkw-Vermieter für die Geschädigten von Pkw-Unfällen einen besonderen Tarif ersonnen. Den zeichnet aus, daß der Preis nicht mit dem Kunden verhandelt wird, sondern dem gegnerischen Haftpflichtversicherer einfach diktiert wird. Weil der Geschädigte zu Marktforschungen nicht verpflichtet ist, darf er demnach jeden Preis akzeptieren. Das freut den Vermieter, der die üblichen Preise gerne verdoppelt oder verdrei- oder vervierfacht. Erst neuerdings berichtigt die Rechtsprechung diese Art der Abrechnungstradition zu Lasten der Vermieter. Im Falle von Gisela F. wurde dergestalt berichtigt – und ihre Klage abgewiesen.

Auf dem Gerichtsgang richtete Gisela F. noch kurz einige Worte an den Mann, der wie stets mit messerscharfem Verstand, tadellosen Umgangsformen und brillanter Rhetorik für die Versicherung prozessiert hatte: „Besuchen Sie doch mal den Landgasthof Moselglück – am besten Sie fahren gleich mit Ihrem Auto hin!“

Vom Nutzen der globalen Darmflora

von Carlos A. Gebauer

Die sicherste Methode, eine angebetete Frau nicht erobern zu können, besteht bekanntlich darin, sich neben sie zu begeben und dort die Bemerkung abzusondern: „Schönes Wetter heute“.

Anders als in dieser Situation allerdings beschäftigen Wetter und Klima die Menschen seit jeher. Und das Interesse an Barometer und Thermometer intensiviert sich derzeit erheblich. Meine eigene Großmutter wies mit skeptischem Blick aus dem Fenster praktisch ganzjährig darauf hin, dass das Wetter – wie sie es nannte – „verrückt spielt“. Meine Erinnerungen an ihre meteorologische Weltsicht gehen auf den Sommer 1976 zurück, als sie in Anbetracht eines strahlend blauen Himmels mehrfach hintereinander betonte: „Ich glaube, wir kriegen heut’ noch Gewitter“. Nach ihrer Einschätzung lag die Ursache der dekompensierenden Witterung beim Menschen: „Mit den Atomen machen die noch die ganze Welt kaputt“.

Während der erste klimatische Horrorsommer meiner Großmutter nach Kennerurteil einen der besten Weine des Jahrhunderts verursachte, verschob sich die allgemeine Wahrnehmung über den wahrhaft Schuldigen am Klima merklich. Anstelle der Atome gerieten nun Abgase – und mithin auch mein Gasfuß – in das öffentliche Blickfeld. Skeptisch also betrachtete ich, wie unter meinem rechten Fuß durch Abwärtsneigung seines Ballen die Gletscher der Alpen dahinschmolzen. Einer muß es ja gewesen sein.

Angestrengt kramte ich in meinen bruchstückhaften Erinnerungen an den grundschulischen Sachunterricht. Wie war das mit den Eiszeiten? Wann waren die noch mal? Vor oder nach dem zweiten Weltkrieg? Wir reizüberfluteten Modernmenschen müssen uns so viele Zahlen, Daten und Fakten merken – da kann man schon einmal den Überblick verlieren. Sollte also tatsächlich die energieintensive Weißblechproduktion für meine geliebten Bierdosen die Neandertaler niedergestreckt haben? Wie viele Autos hatte Henry Ford verkauft, bevor diese – wer sonst? – im Jahre 1926 einen Hurrikan über New Orleans fegen ließen, gegen den Katrina 2005 ein Kinderspiel war?

Vielleicht gibt es noch andere Schuldige für dererlei? Ich suchte weiter und fand: Wirklich schuld sind – Hexen! Während der sogenannten „Kleinen Eiszeit“ um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ereignete sich mitten in Europa Entsetzliches: Die Winter endeten nicht, die Sommer waren feucht, das Jahr 1628 war sogar eines ganz ohne Sommer. Zwei Jahre zuvor, Ende Mai 1626, fiel in der Region um Stuttgart plötzlich ein Meter Hagel vom Himmel. Anschließend schoß scheidend kalter Nordwind heran, fror das Wasser ein und ließ Wein, Roggen, Gerste mit allem Laub an Halm und Zweigen ersterben.

Im Gefolge der damaligen Suche nach Verantwortlichen entschloß sich die herrschende Meinung zunächst für eine Schuldzuweisung an mutmaßlich hexerisch tätig gewordene Mitbürgerinnen. Die Jahre 1626 bis 1630 markieren folgerichtig einen Höhepunkt der europäischen Hexenverfolgung. Die Unappetitlichkeit der öffentlichen Hexenverbrennungen riefen indes auch sensiblere Gemüter auf den Plan. Und offenbar war es ein deutsch-niederländischer Arzt namens Johann Weyer, der als erster vehementer gegen die Hinrichtung von Hexen anging, da sie – wie er darlegte – häufig gar nicht wachen Geistes, sondern melancholisch waren. Für die europäischen Juristen markierte diese Diskussion übrigens den Anfangspunkt der Frage nach der strafprozessualen Schuldfähigkeit eines Angeklagten, wie der deutsch-britische Historiker Wolfgang Behringer in einem kleinen Band über Hexen lesenswert beschreibt. Daß sich heute ausgerechnet Pyromanen gerne auf Prozeßunfähigkeit berufen, ist eine kleine Perfidie der weiteren Geschichte, die leider partout nicht in die hiesigen Überlegungen passt.

Für klimabedingte Katastrophen stehen demnach derzeit schon ohne weiteres drei potentielle Tatverdächtige bereit: Die Atome, meine Kohlendioxid-Immissionen und – sicher auch zeitgenössisch irgendwo auffindbare – Hexen. Nun sind gerade wir Deutschen aufgerufen, uns zu der Frage des Klimawandels wirklich ernste Gedanken zu machen. Denn wir, als die Erfinder des Besitzstandsdenkens, haben ersichtlich allen Grund, dessen wahre Ursache zu finden und sie sodann (naturgemäß sozialverträglich!) zu eliminieren. Nur so nämlich lässt sich unser bundesrepublikanischer Besitzstand an unseren wohlvertrauten meteorologischen Rahmenbedingungen verteidigen.

Was indes alle Theorieansätze bei der Suche nach dem wahrhaft Schuldigen für milde Winter, heiße Sommer, wilde Bäche und sprunghafte Flüsse verbindet, ist dies: Allesamt gehen davon aus, nicht nur den Verantwortlichen bereits gefunden zu haben. Sondern sie meinen auch, dass es überhaupt nur einen einzigen solchen geben könne. Was aber, wenn es gleich eine Vielzahl solcher Ursachen gäbe, die – aufeinandertreffend – das jeweilige Klima gestalten? Denn welchen Grund könnte es geben, annehmen zu wollen, die Steuerung nur eines aus einer Unzahl von Faktoren könnte im Ergebnis dorthin führen, wo man anzugelangen sich erhofft? Ist nicht die Reduktion von vielen Problembündeln auf einen einzigen handhabbaren Begriff und Gedanken das klassische Instrument, um sich zugleich entlastet zu fühlen aber das Problem gleichwohl ungelöst zu lassen? Das jedenfalls beschreibt der Bamberger Psychologe Dietrich Dörner in einem bemerkenswerten Buch über die „Logik des Misslingens“.

Wenn es schon den Wetterfröschen in der prime time des TV nicht verlässlich gelingt, auch nur das regelhafte Wetter von übermorgen ansatzweise vorauszusagen: Wie können wir dann meinen, in Anbetracht unserer nur geringen Datenbestände über historisches Wetter nun auch noch gleich das ganze Weltklima planen und steuern zu wollen? Reicht uns denn unsere makroökonomische Inkompetenz schon nicht mehr?

Diogenes Laertios zitiert in seinem Werk über Leben und Meinungen berühmter Philosophen den naturphilosophischen Klimaexperten Epikuros (342 – 271 v. Chr.) mit dessen Überlegungen: „Donner kann entstehen nicht nur durch Luftblähung in den Höhlungen der Wolken wie in unseren Darmgefäßen, sondern auch durch das Gerassel des sich in Luft verflüchtigenden Feuers“. Mithin ist also keinesfalls abwegig, wenn uns der TV-Wettermann Jörg Kachelmann derzeit allabendlich als seinen Expertenrat gegen die unberechenbaren Launen des Wetters schlicht verdauungsregulierende Kost empfiehlt. Immerhin darf sich ein jeder Verdauender freuen, nicht in einer bösartig herbeigehexten Hungerperiode zu leben.

So weist uns also zuletzt die Darmflora von Jörg Kachelmann den Weg durch den Klimawandel. Aber: Machen Sie auch das möglichst nicht zum Thema, wenn Ihnen die Angebetete noch einmal begegnen sollte!

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